Dieser Montag, der 14. Juli hatte für Jean-Marie Halsdorf eigentlich ein quatorze juillet werden sollen, ein richtig großer Tag. Um 10 Uhr hatte der Innen- und Landesplanungsminister einen Termin in der Abgeordnetenkammer, gemeinsam mit seinen beiden Kabinettskollegen Claude Wiseler (CSV), dem Bautenminister, und Lucien Lux (LSAP), dem Umwelt- und Transportminister. Endlich, endlich sollte Gelegenheit sein, zu zeigen, dass es voran geht mit der Umsetzung des IVL-Konzepts; mehr als vier Jahre, nachdem das IVL veröffentlicht worden war, und knapp elf Monate vor den nächsten Wahlen. Zwei so genannte „sektorielle Pläne“ wollten die drei Minister vorstellen. Einen über die Grands ensembles paysagers, die in Zukunft besonders schützenswerten Landschaften, einen zweiten über Transports, der Korridore reserviert für 50 vorrangig zu realisierende Verkehrswege: für Bahnverbindungen und Busspuren, für den Auto- wie für den Radverkehr, und sogar Korridore für Fußgänger. Plus ein Konzept für ein Parkraum-Management.
Halsdorf selbst ist zwar nicht Herr über die beiden Pläne. Federführend sind, so steht es im Landesplanungsgesetz, die jeweiligen Fachminister, Umweltminister Lux für den Landschaftenplan, für den Transportplan Transportminister Lux und Bautenminister Wiseler für das Straßenkapitel. Der Landesplanungsminister aber koordiniert alles. Und nachdem er Ende Mai ein „Monitoring“ des IVL vorgestellt hatte, aus dem hervorgeht, dass die Landesplanung der Entwicklung hinterherläuft, hätte Jean-Marie Halsdorf Gelegenheit haben sollen, Führungsstärke zu zeigen. Gleich vier Parlamentsausschüsse waren eingeladen am Montagmorgen, und damit hätte mehr als die Hälfte aller Abgeordneten zugehört. Nach der Mittagspause sollte es weiter gehen: Pressekonferenz um 14.30 Uhr. Eine umfangreiche Pressemappe und eine Powerpoint-Diashow lagen schon Mitte letzter Woche bereit.
Doch schon am Donnerstag vergangener Woche bahnt sich Ungemach an. Am Nachmittag sitzt Jean-Marie Halsdorf mit Lucien Lux zusammen und berät mit ihm die Auftritte vor Presse und Parlament am 14. Juli. Zuvor hat Halsdorf in der Abgeordnetenkammer eine schwere halbe Stunde erlebt und den Zorn der Opposition wegen der im Luxemburger Wort vor zwei Wochen vorab veröffentlichten Karte eventuell zu fusionierender Gemeinden über sich ergehen lassen müssen. Während die beiden Minister konferieren, trifft eine E-Mail von Fernand Boden ein. Der Minister für Landwirtschaft, Weinbau, mittelständische Wirtschaft, Wohnungsbau und Tourismus schickt auf drei Seiten elf kritische Anmerkungen zum Sektorplan über die schützenswerten Landschaften.
Lux und Halsdorf bemerken die Depesche nicht gleich. So kommen Bodens Anmerkungen erst am Tag danach zur Sprache, während der Regierungsratssitzung, die die Planentwürfe gutheißen soll. Lux will darüber auf der Stelle diskutieren, denn ursprünglich war die Präsentation der Pläne für den 7. Juli vorgesehen, wegen kurzfristiger Abstimmungsprobleme jedoch abgesagt worden. Fernand Boden wehrt ab: Er habe, leider, die elf Kritiken selber noch nicht eingehend studiert. Sie beträfen allerdings nicht nur den Wohnungsbau, für den unter seiner Federführung ein eigener Sektorplan erstellt wird, sondern auch Tourismus, Handel und Landwirtschaft. Über die Kritiken reden könne man aber durchaus nach der öffentlichen Vorstellung der beiden Pläne, meint das dienstälteste Regierungsmitglied. Dem Timing im Wege stehen wolle er nicht. Lux sieht das anders: Die Kritiken am Landschaftsplan seien zum Teil weit reichend. Dann müsse die Präsentation der beiden Pläne eben zum zweiten Mal verschoben werden.
Die Kabinettsmitglieder der CSV sind bestürzt: Man müsse doch an Jean-Marie Halsdorf denken. Wie stünde der da, wenn die Vorstellung ausfiele? Lux platzt der Kragen: Wie er selber denn da stehe, wenn Entwürfe der Regierung vorgelegt würden, von denen diese noch nicht weiß, ob sie zu ihnen stehen kann?
Da ergreift der Premier das Wort. Wurde bislang über den Sektorplan der schützenswerten Landschaften debattiert, erklärt Jean-Claude Juncker nun, zum Sektorplan Transport gebe es noch starken Diskussionsbedarf. Im Norden des Landes beispielsweise machen Bürmermeister von entlang der Nationalstraße 7 gelegenen Gemeinden sich Sorgen um die Realisierung von Umgehungsstraßen und ob der Sektorplanentwurf dem wohl Rechnung trage. Damit ist der Tagesordnungspunkt Landesplanung abgeschlossen, und ein paar Stunden später wird Parlamentariern und Presse knapp mitgeteilt, die Vorlage der Sektorpläne sei „reportée à une date ultérieure“.
Für Jean-Marie Halsdorf ist das ein Desaster. Die Bedeutung der Sektorpläne reicht über die Landesplanung hinaus. In seiner Sitzung am heutigen Freitag soll sich der Regierungsrat mit drei weiteren Entwürfen aus dem Hause Halsdorf befassen. Sie sollen den Weg zur Territorialreform bereiten: Da ist der Gesetzentwurf über jene Communautés urbaines, zu denen die Gemeinden in den Ballungsräumen um die Hauptstadt, Esch/Alzette und die Nordstad zusammengeschlossen werden und an die sie einzelne Zuständigkeiten abtreten sollen. Ein weiterer Gesetzentwurf betrifft den politischen Urlaub für kommunale Mandatsträger, drittens schließlich soll das Kabinett die Gemeindefusions-Kartografie gutheißen.
Mit diesen drei Projekten in der Tasche will der Innen- und Landesplanungsminister im Herbst durchs Land reisen, für die Territorialreform und freiwillige Fusionen werben. Zwar sollen die großen politischen Entscheidungen erst unter der nächsten Regierung fallen. Aber je mehr Gemeinden positiv gegenüber dieser Initiative eingestellt sind, desto besser für die CSV. Für die Partei, für die „jidder Eenzelen zielt“, ist die Kontrolle über die Gemeinden ein wichtiges Element ihrer Basisarbeit. Halsdorfs Tour wird deshalb strategisch bedeutsam für die Partei sein, und der frühere Syvicol-Generalsekretär, der als Minister Anfang letzten Jahres so stark in die Kritik geriet, dass Jean-Claude Juncker ihm eine Art Beschäftigungsgarantie auch für die nächste Legislaturperiode erteilte, hat sich und der CSV einiges zu beweisen.
Da wäre es gut, wenn er bei der Gelegenheit auch auf die beiden Sektorplanentwürfe verweisen könnte. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist die Landesplanung höchstwahrscheinlich eine so technokratische Sache, dass schon der Begriff „sektorieller Plan“ sich anstrengend anhört. Den Gemeindeverantwortlichen dagegen könnte der Minister klarer machen, wohin das Land sich entwickeln soll, wären die Entwürfe schon öffentlich. Schon die IVL-Euphorie, die vor fünf Jahren Halsdorfs Vorgänger Michel Wolter zu erzeugen sich bemühte, hatte vor allem die Gemeinden erfassen sollen. Hinzu kommt, dass die Funktion sektorieller Pläne darin besteht, den Generalbebauungsplänen der Gemeinden verbindliche Vorgaben zu machen. Da sämtliche Gemeinden im Land bis spätestens 2011 gehalten sind, ihre Generalbebauungspläne zu überarbeiten, wird die Neugier auf die Sektorplanentwürfe immer größer.
Ob sie vielleicht in einer der ersten Regierungsratssitzungen nach der Sommerpause gutgeheißen werden, steht dahin. Die elf kritischen Anmerkungen der Beamten Fernand Bodens zum Sektorplanentwurf über die schützenswerten Landschaften betreffen nicht nur Detailfragen. Zwar wird unter anderem auch ein Begriff wie „Siedlungserweiterung“ als „nicht ausreichend erklärt“ eingeschätzt, und das ist vielleicht nur eine Frage der Formulierung. Ganz klar prinzipieller Natur dagegen ist der Vorwurf, im Landschaftenplan werde zwar erklärt, die „Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft“ solle „nicht eingeschränkt“ werden, aber nicht, was unternommen würde, falls ihre Leistungsfähigkeit sinkt.
Ein wenig klingt das so, als hätten Bauernverbände mit Erfolg ihre Partikularinteressen geltend gemacht. Vielleicht so ähnlich, wie verschiedene Bürgermeister Lobbyarbeit für die Aufnahme weiterer Umgehungstraßen in den Transport-Sektorplan leisteten? Warum auch nicht. Es ist allein die Auffassung Jean-Marie Halsdorfs und seiner leitenden Beamten, die Landesplanung überwiegend von oben herab zu betreiben und staatlicherseits mit Sektorplänen Entwicklungswege vorzugeben. Das steht durchaus im Widerspruch zum Landesplanungsgesetz, das eine Partizipation von unten ausdrücklich vorsieht: Parallel zur staatlichen Sektorplanung sollen in den sechs Regionen im Land Regionalpläne aufgestellt werden – worin von Anfang an die Gemeinden und die Öffentlichkeit einzubinden sind.
Doch während das Koalitionsabkommen von CSV und LSAP eine sektorielle und eine regionale Planung noch vorsah, gelangte der Minister nach und nach zur Auffassung, Regionalplanung funktioniere nicht, und noch am Dienstag vergangener Woche meinten er und sein leitender Beamter Romain Diederich auf einer Konferenz an der Uni, erst müsse die Territorialreform abgeschlossen sein, dann könne man Regionalplanung betreiben. Das Problem ist nur, dass sie noch immer gesetzlich vorgeschrieben ist. Und dass eine landesweite partizipative Regionalplanung die Gemeinden daran interessieren soll, die Vorgaben aus den Sektorplänen auch wirklich zu übernehmen.
Es sind demnach „regionale“ Elemente, die Fernand Boden mit den Bedenken zur Landwirtschaft und der Premier mit Anmerkungen aus verschiedenen Gemeinden in die Diskussion um die Sektorpläne einfließen ließen. Ironischer Weise haben damit ausgerechnet zwei Kabinettskollegen aus der gleichen Partei die latent längst vorhandene Krise der Landesplanung zugespitzt.