Bei einem terroristischen Anschlag ums Leben zu kommen, sei statistisch gesehen so wahrscheinlich wie von einem Hai zerfleischt zu werden. In Deutschland, präzisierte der Comedy-Entertainer noch. Das war vor Brüssel, ein oder zwei Tage davor. Mein Hirn schüttelte den Kopf, in der Logikabteilung ratterte es bedenklich. In der Nord- und Ostsee, wo die netten Osterhasenkörbchen stehen, schwimmen doch vorwiegend Fischstäbchen, vom guten Käpt’n Iglo vorbildlich betreut. Haie steigen eher selten in U-Bahnen oder in Flugzeuge, das ist empirisch belegt, sie kommen auch nicht gerade häufig an den Wellness-Arealen der europäischen Hauptstädte vorbei geschlendert. Es sei denn, alle schrecklichen Prophezeiungen bewahrheiteten sich, die von Nostradamus, die vom Club of Rome, betreffs Untergang der Küstenmetropolen, nicht nur der pittoresken Eilande und Inselchen, deren Häuptlinge uns schon lang verzweifelt zuwinken.
Aber das hat der Comedy-Mann sicher nicht gemeint, man kann ja nicht alle Ängste miteinander mischen und unkoordiniert horrortrippen. Es muss doch korrekte Angstabteilungen geben, einer kann sich nicht alle schnappen, er würde ja überschnappen. Obwohl es natürlich genug für alle gibt, ich will nicht in die Details gehen.
Das Publikum klatschte, am nächsten oder übernächsten Tag war Brüssel, die Haie waren untergetaucht. Dann ging es wieder los mit den Aussagen und Bekundungen, mit der Solidarität, dem Nicht-Unterkriegen-Lassen und dem Lifestyle, der aber meistens Lebensstil genannt wurde, das klang seriöser. Und natürlich den Werten. Und all den tapferen und bewundernswerten Aussagen, Angst, neinnein, Angst nicht. Sonst würden die ja siegen. Todesmutig, bibberte die Zeitzeugin als die Pariser_innen en terrasse gegen den Tod prosteten, am liebsten hätte sie alle Pariser Kinder eingesperrt, bevor sie sich als Zielscheiben auf öffentlichen Plätzen präsentierten, auch die bösen. Aber weder die einen noch die anderen hörten auf sie.
Komisch, wie rationell oder auch nur prinzipientreu die Menschen reagierten, zumindest verbal. Niemand ließ verlauten, er würde nie wieder in etwas steigen, schon gar nicht in etwas Unterirdisches oder etwas Überirdisches, Fliegendes. Keine sagte, sie würde nur noch aussteigen. Oder sich zuhause verbarrikadieren, um nur noch Pudding zu essen und Kinderfilme anzuschauen, oder Socken zu stricken mit vier Stricknadeln, jede Zehe einzeln. Und wie eigenartig und überraschend diese trotzig-würdige Haltung ist, die wahrlich eine Haltung ist. In einer angesichts des Todes vollkommen trostlosen Gesellschaft, in der die Angst das Thema ist, in all ihren Tarnungen und Verkleidungen, mit all ihren modischen Labels und Etikettierungen. In der ein immer größerer Teil der Bevölkerung von Schweißausbrüchen und Fluchtreflexen befallen wird, wenn er nur an einer Supermarktkasse steht oder in einem Bus sitzt. In der die häufigsten Attacken weder Räuber- noch Bärenattacken sind, sondern Panikattacken, und die gute, zuverlässige, alte Angst mehr und mehr zur sedierungsbedürftigen Angststörung verkommt.
Die Angst, diese mächtige Begleiterin, macht manche von uns natürlich vollkommen ohnmächtig. Aber was wären wir ohne sie? Lange wären wir sicher nicht. Heldenhaft wird ihr derzeit getrotzt, gleichzeitig wird sie abgewertet. Als schlechte Ratgeberin wird sie gebetsmühlenartig- bieder zu entschärfen versucht. Ein etwas starrer Angstexperte sitzt in vielen Talkrunden, wie die meisten jetzt Gefragten seiner Zunft stellt er beschwichtigende Vergleiche an: wie gefährlich der Straßenverkehr zum Beispiel doch nicht sei. Und wie neue Ängste uns viel mehr ängstigten als die guten alten Ängste, wie die, von einem Auto zünftig tot gefahren zu werden.
Wer wird schon zugleich vom Blitz getroffen und vom Hai verspeist? Ein bisschen väterlich wirkt das ja alles. Verdrängung, nannte man das mal auf antik.