Deutschlands Islamdebatte

Eine Frage des Glaubens

d'Lëtzebuerger Land du 06.04.2018

Die Alternative für Deutschland wollte es wissen: Per Kurznachrichtendienst Twitter ließ der Berliner Landesverband der AfD Mitte März darüber abstimmen, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Verschiedene Screenshots zeigten, dass 83 Prozent der mehr als 20 000 Teilnehmer mit „Ja“ abstimmten. Da dieses Ergebnis der rechtspopulistischen Partei wohl nicht in den Kram passte, verschwand die Abstimmung wenige Stunden später und war auf dem Twitter-Konto der Partei nicht mehr auffindbar. Doch die politischen Kontrahenten hatten es dokumentiert, wie Werner Graf, Berliner Landeschef der Grünen: „Jetzt hat die AfD Berlin doch aus Versehen ihre Umfrage gelöscht! Sowas dummes! Zum Glück hab ich mal ein Foto gemacht!“ Die AfD gab sich zerknirscht: „Gelöscht ist gelöscht, das kann man nicht wieder herstellen“, so der Sprecher Ronald Gläser. Er wies darauf hin, dass eine solche Umfrage nicht repräsentativ und im konkreten Fall ganz offenbar manipuliert worden sei. „Natürlich haben wir so ein Ergebnis nicht erwartet.“

Es war Horst Seehofer, deutscher Heimatminister und Parteivorsitzender der CSU, der mit seiner Bemerkung, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, die Glaubensfrage wieder auf die politische Agenda hievte. Wohl übersehend, dass diese Frage von vornherein obsolet ist, denn das deutsche Grundgesetz gewährt die Religionsfreiheit als Grundrecht. Es gibt zudem eine Trennung von Staat und Religion. Deutschland ist ein Staat, der von westlichen Werten geprägt ist, die auf einem – mittlerweile diffusen – Verständnis christlicher oder jüdisch-christlicher Tradition fußt. Die Gegenfrage, was denn zu Deutschland gehöre, beantworten konservative und rechtspopulistische Politikerinnen und Politiker ungern, wohlwissend dass in den eigenen Parteien Grundwerte des Christentums nicht immer geachtet werden.

Doch in Bayern sind im Herbst Landtagswahlen und Seehofer sieht sich immer zuerst dem Wohl seiner Partei, denn der Bundesrepublik verpflichtet. Seine Ausspruch folgt der CSU-Prämisse, die in der AfD den wichtigsten Gegner bei der Wahl im September ausmacht und sich nun daran macht, dieser mit Parolen die Wählerinnen und Wähler abspenstig zu machen. Dies ist sehr viel einfacher, als den Rechtspopulisten mit politischen Inhalten zu begegnen.

Alexander Dobrindt, Sprecher der CSU-Abgeordneten im Bundestag, legte im Nachrichtenmagazin Focus nach, der Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, sei „ein Integrationshemmnis. Er vermittelt ein falsches Signal.“ Zuwanderer müssten sich „integrieren wollen und dürfen nicht neben uns oder gar gegen uns hier leben wollen“. Dobrindt ergänzte, dass seine Partei die Debatte mit klarer Kante, direkt und konservativ führe. „Die CSU wird sich da nicht bewegen, schließlich ist die Mehrheit der Bevölkerung der Mehrheit, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört.“

Rein statistisch gesehen, gehört der Islam schon lange zu Deutschland. Muslime leben seit Jahrhunderten in den jeweiligen deutschen Staaten der Geschichte. Zurzeit sind es knapp fünf Millionen. Rund die Hälfte davon sind deutsch Staatsangehörige. Die meisten entstammen einer Familie mit Migrationshintergrund, der in der Türkei, in Jugoslawien, aber auch in Marokko oder Tunesien seine Wurzeln hat. Mit diesen Ländern hatte West-Deutschland ab 1961 Abwerbeabkommen geschlossen. Die sogenannten Gastarbeiter halfen in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit beim Wiederaufbau und leisteten ihren Beitrag zum Wirtschaftswunder. Als dieses endete, die westdeutsche Industrie erstmals kriselte und 1973 ein Anwerbestopp erlassen wurde, kehrte nur ein Teil der Migranten zurück in ihre Herkunftsländer. „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“, befand damals der Schweizer Schriftsteller Max Frisch. Etwa vier Millionen türkische Muslime waren aufgrund des Anwerbeabkommens eingewandert. Bei der Volkszählung 1987 wurden in der damaligen Bundesrepublik 1,3 Millionen muslimische Türken und etwa 280 000 andere Muslime registriert.

Dies waren nicht die ersten muslimischen Einwanderer. Herzog Ferdinand von Kurland schenkte – wie es damals in der höfischen Diplomatie üblich war – König Friedrich Wilhelm I. von Preußen im Jahr 1731 22 türkische Gardisten. Bereits ein Jahr später ließ der preußische König seinen muslimischen Untertanen im Langen Stall, dem Reit- und Exerzierhaus in Potsdam, einen Saal zu einer Moschee umbauen. Dies war der erste Moscheebau auf deutschem Boden. Das Gebetshaus blieb nicht erhalten und es existiert auch keine Abbildung davon.

In der aktuellen Diskussion gingen sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, beide von der CDU, auf Distanz zur bayerischen Schwesterpartei. Schäuble kommentierte: „Wir können den Gang der Geschichte nicht aufhalten. Alle müssen sich damit auseinandersetzen, dass der Islam ein Teil des Landes geworden ist.“ „In einen Dialog kommt man nicht, wenn Politiker bei Menschen, die ohnehin Vorbehalte gegen den Islam haben, leichtfertig Vorurteile schüren“, sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und empfiehlt der CSU, sie solle „mal tief durchatmen“. Es sei schließlich genug Heimat für alle da.

Martin Theobald
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