Indien-Mission des Wirtschaftsministers

Wir haben ein Problem

d'Lëtzebuerger Land du 14.01.2010

Die Menschenmenge wogt hin und her in Halle 14 der New Delhi Auto Expo. Dabei ist Halle 14 eine der größten hier. Und nicht nur die neuen preiswerten Modelle der heimischen Marke Tata sind zu sehen, sondern ebenso Audis und Jaguars, die sich die allermeisten Inder nie werden leisten können; mag In-diens Wirtschaft auch weiter mit an die zehn Prozent jährlich wachsen. Doch in Indien führt der Traum vom sozialen Aufstieg wie im Rest der Welt übers Auto. Dass der Zutritt zum Messegelände an diesem Tag stundenlang gesperrt werden muss, weil die Besucherzahl mit 200 000 doppelt so groß geworden ist, wie polizeilich erlaubt, zeigt, wie intensiv dieser Traum geträumt wird.

Diesmal gibt es auf der Messe, auf der es so kunterbunt zugeht wie in einem Bollywood-Film, erstmals ­einen Luxemburger Stand. Wieso auch nicht: Schon zu Zeiten weniger leidenschaftlicher Auto-Träume war die New Delhi Auto Expo die größte in Asien, und auf der Automesse Shanghai stellen die Zuliererer aus dem Großherzogtum sich schon länger vor. Beim Erstauftritt in Delhi sind sie allerdings nicht stark verteten, schon gar nicht mit Standpersonal. ArcelorMittal als Produzent von Spezialstahl für Karrosserien und CTI Systems als Spezialist für Lagersys­teme in der Autoindustrie haben Informationsmaterial geschickt. Von der Ideenschmiede IEE sind Modelle von Detektoren zur Zündung von Airbags zu sehen. Durch Mitarbeiter vertreten ist Ceratizit, deren Hartmetallerzeugnisse unter anderem auch im Autobau verwendet werden. Doch das fällt leichter, da Ceratizit auch in Kolkata, 1 400 Kilometer weiter östlich, produzieren lässt.

Als Wirtschaftsminister Jeannot Krecké mit einer 40-köpfigen Delegation und allerhand Presse vorbei schaut, ist VIP Products aus Niederkerschen der einzige Zulieferer im engeren Sinne, von dem Krecké sogar den Firmenchef begrüßen kann: Peter Friberg ist Mitentwickler einer Substanz, die in Reifen gespritzt wird und sie von innen her dichthalten soll, falls es einen Platten gibt. Friberg, der fast einem Aktionskünstler gleicht, wenn er einen Autoreifen immer wieder mit einer dicken Nadel perforiert und anschließend wieder aufpumpt, ist der Blickfang am Luxemburger Stand.

Doch nicht nur sind die Autozulieferer schwach auf der größten Automesse Asiens vertreten. Der Entourage, die mit Krecké auf dessen vierter Wirtschaftsmission durch Indien reist, gehört neben Ceratizit und VIP Products nur noch die Paul Wurth S.A. als Industriebetrieb an. Vom produzierenden Gewerbe im weiteren Sinne sind noch Vertreter der Konditorie Oberweis und von Vinsmoselle dabei – das war’s. Umso stärker vertreten sind in der Delegation Consultants, Steuerexperten und Dienstleister aus Handel, Logistik und IT. Das fällt auf.

Sollte die industrielle Seite Indiens, im Unterschied zu der Chinas, der verlängerten Werkbank der ganzen Welt, am Ende nicht interessant genug sein für die Luxemburger Industrie? Mit seinem Dienstleistungssektor, der bereits jetzt 55 Prozent zum BIP beiträgt und von dem die IT-Branche zu neun Zehnteln für den Export arbeitet, scheint Indien schon in einer Art postindustrieller Phase angekommen. Doch diese Perspektive stimmt für Aswani Sareen, den Managing Director der Ceratizit-Niederlassung in Kolkata, nicht: Die Industrialisierung Indiens habe sich nur verspätet. „Nokia produziert neuerdings hier für den Weltmarkt, Nissan wird demnächst eine große Produk-tion eröffnen, und auch Volkswagen will das tun.“ Mit allen Betätigungsmöglichkeiten, die sich dann auch für Zulieferer ergäben. Später halt.

So gesehen, würde schon die Teilnahme an der Automesse in Delhi, aber vielleicht auch die an der Wirtschaftsmission des Ministers einigen perspektivischen unternehmerischen Ein­satz erfordern. Jeannot Krecké sieht das so: „Dieser Saal müsste voll sein“, schimpft er in seiner Ansprache zu einer Paul-Wurth-Soirée im Nobel­hotel Delhi Oberoi. Wer sich jetzt nicht Asien zuwende, sei demnächst erledigt. Paul Wurths Beispiel sei nachahmenswert: 1983 den ersten Hochofen in Indien errichtet und zehn Jahre später eine Niederlassung eröffnet. Zu einer Zeit immerhin, als der „Subkontinent“ noch stark im Sozialismus-Modell Nehrus von einer in erster Linie agrarisch produzierenden Gesellschaft steckte.

„Eine Schwäche“ nennt auch Fedil-Vorsitzender Dennewald die geringe Beteiligung Industrieller. Man werde dafür „stärker sensibilieren müssen“. In der noch anhaltenden Krise seien viele Unternehmer allerdings „weniger nach außen orientiert als sonst“.

Über die geringe Beteiligung der heimischen Industrie an der-Delegation wird der Minister immer wieder klagen. Aber auch er kann – zumindest in seinen öffentlichen Auftritten – nicht immer im Sinne der Industrie wirken. Hochrangige Gespräche mit indischen Ministern werde er führen, um ArcelorMittal und Paul Wurth bei ihren Aktivitäten in Indien zu helfen, streut Krecké geheimnisvoll.

Abgesehen davon führt in nur drei Tagen die Reise in die drei Millionenstädte Delhi, Kolkata und Mumbai. Dort steht jeden Abend ein Seminar mit lokalen Unternehmern auf dem Programm, das klären soll, weshalb Luxembourg and India – a joint venture for mutual benefit sein könnte. Richtig überzeugen kann Krecké dabei nicht. Er habe diese Seminare „eigentlich nicht so gern“, gibt er vor Journalisten offen preis, und das sieht man später auch. Krecké tut vor allem, was er besonders gut kann: über Probleme reden. Doch dabei werden die Probleme größer, als sie sein sollten, wenn es darum geht, indische Unternehmen für eine Zusammenarbeit mit Firmen aus Luxemburg zu interessieren.

In Kolkata, das bis 2001 Kalkutta genannt wurde wie Mumbai Bombay, erklärt Krecké, „kein Land“ habe „Innovation so nötig wie Luxemburg“, ohne zu erläutern, wie er das meint. Kolkata, einst die Hauptstadt der Kolonie Britisch-Indien, zählt heute zu den ärmsten Metropolen auf dem „Subkontinent“. Hier ist es nicht selten, dass auf öffentlichen Plätzen Familien mit ihren abgemagerten Kühen im Freien leben, aber hier erkundigen die lokalen Unternehmer sich beim Seminar auch besonders intensiv nach Luxemburger Erfolgen mit „grünen Technologien“, erneuerbaren Energien und Klimaschutz. Was vermutlich auch daran liegt, dass Kolkata große Probleme mit Wasser- und Luftverschmutzung hat.

Vielleicht ließe sich ja ein gemeinsamer Nenner zwischen Luxemburg und Indien herstellen, indem man unterstreicht, dass zur Lösung von Menschheitsanliegen wie sauberem Wasser, sauberer Luft oder umweltfreundlicher Energieversorgung die Innovationskraft aller gefragt sei. Krecké geht es lieber negativ an, spricht vom noch unrentablen Sonnenstrom und davon, dass es in Luxemburg „nicht genug Wind“ für Windkraftwerke gebe. Kurz danach erinnert ein Fragesteller tatsächlich an Luxemburgs hohe Pro-Kopf-CO2-Emissionen, will wissen, ob sich damit wie in anderen entwickelten Ländern ein Transportproblem verbindet, und wie es gelöst wird. Das fasst der Wirtschaftsminister als Kritik am Tanktourismus auf und doziert sieben Zeitzonen entfernt von daheim, dass es dem Klima nicht helfe, wenn „der Autofahrer aus Thionville bei sich tankt“, als diskutiere er mit dem Mouvement écologique.

Aber auch wenn Krecké in den Seminaren Luxemburg ziemlich problembeladen zeichnet, wird die vierte Indienmission, die er seit seinem ersten Amtsantritt 2004 vornimmt, wahrscheinlich zu einem Erfolg. Die, die daran teilnehmen, wissen, dass in Indien schnelle Resultate kaum zu haben sind und es auf Beharrlichkeit ankommt. Das ist der Bürokratie wegen so, aber auch wegen der indischen Kultur und ihrem hohen Anteil an Spiritualität. In einem Interview mit der Times of India am Sonntag vergangener Woche hat der Slowene Slavoj Žižek, ­einer der einflussreichsten Philosophen Europas, erklärt, die Frage, wie „moderne Systeme wie die IT-Industrie unter den Zwängen der Globalisierung mit traditionellen Lebensweisen koexistieren können“, könne eher in Indien beantwortet werden als in ­China. Dazu passt, dass es nach den abendlichen Seminaren zu vorgerückter Stunde bei Speis und Trank schon vorkommen kann, dass ein indischer Unternehmer auf die Frage, welche Veränderungen der anhaltende Wirtschaftsaufschwung in der Gesellschaft hinterlasse, mit dem Bekenntnis antwortet, vor 20 Jahren sei alles besser gewesen.

Zum anderen ist das Leitmotiv der Indien-Mission gar nicht, In­dustrie-kooperationen anzubahnen, sondern Luxemburg als Gateway nach Europa zu empfehlen. Das hat vor allem mit Finanzdienstleistungen, Steuerrecht und IT zu tun. Denn am 1. April wird das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Indien und Luxemburg in Kraft treten. Seine Regeln sind unter anderem so angelegt, dass es sich für indische Firmen lohnen würde, Softwarelösungen von Luxemburg aus zu vermarkten. Ebenfalls unterstützt wird das Headquartering, die Verlegung des Hauptsitzes eines Betriebs. Und schließlich könnte die Bildung einer speziellen Art Luxemburger Holding interessant sein, mit der indische Gesellschaften auf Fundraising in Europa gehen: Dem Mischkonzern Tata wird das Konzept ebenso vorgetragen wie Indiens größtem Baufinanzierer. Dazu sind die vielen Consultants mit Krecké gereist. In einer Zeit, da in Indien Wirtschaftsdelegationen am laufenden Band ­anklopfen, ist schon das gar kein ­kleiner Erfolg.

Peter Feist
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