Mutmaßliche Schmiergeldaffäre im Mittelstandsministerium 2007

Es lief wie geschmiert

d'Lëtzebuerger Land du 17.12.2009

Manuel Dos Santos1, portugiesischer Junggeselle, zog 2000 nach Luxemburg. Er arbeitete als Lastwagenfahrer, erledigte mehrtägige internationale Touren für ein Luxemburger Transportunternehmen. Bis er sich 2006 mit seinem Chef stritt, weil der ihm keine Sonntagsarbeit bezahlen wollte, wenn er, durch den Fahrtenplan bedingt, den heiligsten Tag der Woche irgendwo in Europa in der Kabine seines Sattelzuges ausharren musste. „Ich wollte nicht mehr sonntags im Lastwagen schlafen und obendrein noch nicht mal bezahlt werden“, erzählt er. Nachdem er wieder für eine Fahrt eingeteilt wurde, die ihn zwang, das Wochenende über in Italien zu bleiben, und er früher zurückfuhr – ohne dem Chef Bescheid zu sagen –, wurde Dos Santos entlassen. Er erhielt zwar nach einem Verfahren wegen unrechtmäßiger Entlassung eine kleine Entschädigung und Anspruch auf Arbeitslosengeld, war aber dennoch einstweilen ohne Job.

So saß er in einer Diekircher Kneipe, haderte mit seinem Schicksal und erzählte einem Landsmann, er wolle künftig als Selbständiger kleine Transporte nach Portugal und zurück fahren – die Leute schickten immer portugiesische Waren nach Luxemburg. Der Landsmann hörte aufmerksam zu. „Willst du denn nicht lieber mit großen Sattelzügen fahren?“, fragte er. Für die dafür nötige Genehmigung könne er jemanden empfehlen. Dieser Jemand sagte Dos Santos, er solle sich beim Mittelsstandsministerium einen Antrag auf eine Handelsermächtigung besorgen, fragte ihn nach der Adresse, an der Dos Santos in Portugal gewohnt hatte, bevor er nach Luxemburg zog. Und nach 3 500 Euro – sonst nichts.

Kurz darauf gab ihm der Mann ein Attest der Confederaçao da Indústria Portuguesa (CIP). Dem Attest, ausgestellt in Lissabon Anfang 2006, kann man, außer Dos Santos’ persönlichen Eckdaten, entnehmen, dass er zwischen Januar 1994 und Februar 2000 Besitzer und technischer Leiter (gérant technique) von Transportes Manuel war, einer im nationalen und internationalen Transportwesen tätigen Firma. Dem Zertifikat zufolge hatte er also genau so viel Berufserfahrung, wie er benötigte, um in Luxemburg eine Firma betreiben zu können.

Geschwind schickten ihn seine Bekannten mit dem falschen Attest zu einer staatlich zugelassenen Übersetzerin und zum Notar, damit er sich seine Ehrenhaftigkeit bescheinigen lasse. Mit den übersetzten Zertifikaten und der Bescheinigung wurde er an eine Diekircher Buchhaltungsfirma verwiesen, die für ihn die Handelsermächtigung beim Mittelstandsministerium beantragen würde. Doch der Buchhalter hielt ihn hin. Zwar sprach er die 3 500 Euro nie direkt an, die Dos Santos dem Kontaktmann zahlen sollte. Doch er wiederholte mehrmals, er könne den Antrag nicht abschicken, ohne zu erklären weshalb. „Er wusste von dem Geld, auch wenn er es nie angesprochen hat.“ Dos Santos zahlte, sagt er. Man teilte ihm mit, er könne die Handelsermächtigung beim Buchhalter abholen. Sie wurde dem Buchhalter, nicht ihm, zugeschickt, und er erhielt sie in einem Umschlag der Buchhaltungsfirma, nicht in einem Ministeriumsumschlag.

Wenige Wochen später, Dos Santos arbeitete mittlerweile bei einem Bauunternehmen als Lastwagenfahrer, hört er im Radio, das Mittelstandsministe-rium habe illegale Machenschaften aufgedeckt. Eine Reihe von Personen habe Anwärtern auf Handelsermächtigungen ohne die dafür nötigen beruflichen Qualifikationen, Diplome und Belege für vergangene Berufspraxis gefälscht. Man habe die Informa-tionen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Da fluchte Dos Santos wahrscheinlich erst einmal ausgiebig. Er hatte ein Problem. Denn seine Firma, Transportes Manuel, hat es nie gegeben. Was auf dem Zertifikat aus Portugal steht, ist frei erfunden. Dos Santos lebte zwischen 1994 und 2000 die meiste Zeit noch nicht einmal in Portugal, sondern in Frankreich.

Ähnlich wie Dos Santos machten es rund 120 weitere Antragsteller. Das Muster war fast immer das gleiche. EU-Bürger, meist Portugiesen, beantragten eine Handelsermächtigung, meist, um Baufirmen oder andere mit dem Baugewerbe verbundene Handwerksfirmen zu gründen. Ohne dass sie durch einen Meisterbrief, ein Ingenieurdiplom oder eine langjährige Berufspraxis dazu qualifiziert gewesen wären. Über dieses Hindernis half eine Reihe findiger Mittelsmänner und -frauen hinweg. Die besorgten gefälschte Dokumente, so genannte CE-Zertifikate, die in der EU benutzt werden, um zu bescheinigen, dass in Drittstaaten Schulabschlüsse, Diplome und Berufserfahrung erworben wurden. Das Ministerium geht davon aus, dass ein Teil der Fälschungen direkt von Mitarbeitern der CIP in Lissabon ausgestellt wurden, die dafür zwischen 500 und 1 500 Euro verlangten. Ein weiterer Teil wurde, wie es scheint, auf blanken Dokumenten hier in Luxemburg ausgefüllt.2 Ihr Inhalt war quasi maßgeschneidert, immer so, wie es die Antragsteller brauchten. Diese konnten somit absolut perfekte und vollständige Antragsdossiers einreichen – die Anträge rutschten aufgrund der eindeutigen Sachlage durch die Kommissionen wie geschmiert.

Das lässt sich aus den Argumenten herauslesen, die der Vertreter des Ministeriums im Rahmen von vier Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vortrug. Zwei Firmen und ihre jeweiligen gérants techniques – ein Bauunternehmer und ein Dachdecker – gingen dagegen vor, dass ihnen das Ministerium die Zulassungen entzogen hatte, nachdem es den Fälschun­gen auf die Spur gekommen war. Und die Richter schlussfolgerten in beiden Fällen, der Entzug der Zulassung sei rechtens gewesen.3 Der Dachdecker, vom Ministerium verdächtigt, anderen Antragstellern gefälschte Dokumente besorgt zu haben, weswegen seine Ehrenhaftigkeit nicht mehr gegeben sei, will gegen das Urteil in Berufung gehen.

Der Bauunternehmer, vom Ministerium dazu aufgefordert, konnte das auf den CE-Zertifikaten ausgewiesene Diplom nicht vorlegen – die Schule, an der er dafür gebüffelt haben will, gab es gar nicht. Sein Zertifikat hatte zudem bescheinigt, er habe zwischen 1979 und 1981 sowie zwischen 1989 und 1996 eigene Firmen in Portugal geleitet. Obwohl er, wie das Ministerium mit Auszügen aus dem Register belegte, seit 1979 beim Centre Commun de la Sécurité Sociale (CCSS) und auch bei der Pensionskasse angemeldet war und demnach hier in Luxemburg arbeitete. Dass seine eigenen Brüder vor mehreren Beamten des Ministeriums ausgesagt hatten, die Angaben auf seinen Zertifikaten seien gefälscht, half seiner Sache nicht. Ebensowenig wie die Tatsache, dass seine Zertifikate von der gleichen Hand (der eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin seiner Buchhaltungsfirma) geschrieben waren, die viele andere Fälschungen erstellt haben soll.

Es waren solche Widersprüche und Ungereimtheiten, die Beamte des Ministeriums auf die Tricksereien aufmerksam werden ließen. Als man dort anfing, systematisch die Angaben der Antragsteller zu prüfen, beispielsweise sie mit denen der CCSS zu vergleichen – mittlerweile ist der Prozess der Handelsermächtigungsvergabe ISO-zertifiziert –, stießen sie in einen wahren Sumpf aus Seilschaften und Bestechung, eine gut geschmierte Ket­te, die mutmaßlich von der portugiesischen Industriekammer in Lissabon, über Luxemburger Buchhaltungsfirmen und ehemalige Staatsdiener geradewegs ins Mittelstandsministerium zu reichen schien. Nicht nur der Betrug wurde aufgedeckt. Weil die Fälschungen so schön maßgeschneidert waren, kam der Verdacht auf, dass jemand innerhalb des Ministeriums den Fälschern zuarbeitete. Zwei Mitarbeiter wurden nach Auffliegen der Affäre im April sozusagen unschädlich gemacht. Sie seien in einem anderen Ministerium mit „unsensiblen Aufgaben“ beauftragt“, sagt Emmanuel Baumann, Erster Regierungsrat im Mittelstandsministerium. Über das nötige Wissen, um die Dokumente maßgeschneidert zu falsifizieren, verfügten allerdings nicht nur die Mitarbeiter der Abteilung Handelsermäch­tigun­gen des Mittelstandsministeriums, sondern eben auch Buchhaltungsfirmen, deren auch eine Reihe unter Verdacht stehen.

Hinter den Kulissen war das Ministerium fleißig. Die Akten von 20 000 Handelsermächtigungen wurden geprüft, in 120 Fällen, so Baumann, fand man gefälschte Dokumente und entzog die Zulassung. Nur vier Betroffene fochten die Entscheidung an. Zwischen 20 und 30 falsche Firmenchefs nutzten die vom Ministerium gestellte Übergangsfrist von sechs Monaten, um ihre Situation zu legalisieren, stellten neue, tatsächlich qualifizierte, technische Leiter ein. Die restlichen 100, so Baumann, fochten den Zulassungsentzug nicht an. Diese 100 Firmen gibt es nicht mehr. Eine beeindruckende Zahl, wenngleich im Vergleich zu den 13 000 Anträgen, die das Ministerium mittlerweile jährlich bearbeitet, eine geringe. Jahrelang trieben die Fälscher ihr Spiel. Denn aus dem Urteil des geschassten Bauunternehmers geht hervor, dass das Ministerium Dossiers mit CE-Zertifikaten bis zurück ins Jahr 2000 überprüfte, also selbst davon ausging, dass die Betrüger sieben Jahre lang aktiv waren, bevor das System aufflog.

„Wir haben das intern aufgedeckt und sind selbst damit zum Staatsanwalt gegangen“, so Baumann vehement. Seither liegt der Ball bei den polizeilichen Ermittlern und der Staatsanwaltschaft. „Einerseits wissen wir nicht über alle Ermittlungsresultate Bescheid, und andere Fragen konnten wir nicht beantworten, um die Ermittlungen nicht zu behindern“, unterstreicht der Regierungsrat. Ihm liegt vielleicht auch deswegen viel daran, dies hervorzuheben, weil die dürftige, wenige Zeilen umfassende, Pressemitteilung im April 2007 hastig verschickt wurde, nachdem und weil das Land beim Ministerium anrief, um die Verantwortlichen mit den immer lauter werdenden Gerüchten über Korruptionsfälle im eigenen Haus zu konfrontieren. Und damit, dass sich einige Personen, darunter ein ehemaliger Mitarbeiter eines weiteren Ministeriums, deswegen in Untersuchungshaft befänden. Auch dieser ehemalige Staatsbedienstete gehört, wie die zwei damals noch im Ministerium aktiven Mitarbeiter, zu den mittlerweile rund zehn Beschuldigten, die man als Hauptmittelsmänner ausgemacht hat, so Staatsanwalt Jean-Paul Frising auf Nachfrage. Dieser Mann, bestätigt er dem Land, der unqualifizierten Antragstellern Handelsermächtigungen versprach, habe nach dem derzeitigen Ermittlungsstand Gelder an die noch aktiven Ministe-riumsmitarbeiter weitergeleitet. Anklage wurde noch nicht erhoben, erwiesen ist demnach nichts.

Ebenso hartnäckig wie die Vorwürfe damals, hält sich allerdings noch einer: Ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter des Mittelstandsministeriums soll jahrelang die Hand aufgehalten haben. Zwar sollen keine Fälschungen im Spiel gewesen sein, er habe eher ein Geduldsspiel mit den Antragstellern gespielt. Auch solche, die legitimen Anspruch auf eine Genehmigung hatten, ließ er schmoren, so zwei anonyme Quellen, bis sie mit Zuwendungen Bewegung ins Dossier brachten. „Das sind Gerüchte“, sagt Baumann knapp. Frising sieht das ebenso und fügt hinzu, dafür habe er nie Beweise gesehen.

Außerdem machen sich Staatsdiener und Inhaber öffentlicher Ämter erst seit einer Gesetzesänderung vom 15. Januar 2001 schon strafbar, wenn sie Zuwendungen, finanzieller oder anderer Natur, verlangen. Und nicht, wie vor der Gesetzesänderung, erst dann, wenn sie solche Zuwendungen tatsächlich erhalten und annehmen, der Bestechungsakt vollzogen wurde. Doch das könnte einem Ermittler nur derjenige bestätigen, der die Zuwendung erbracht hat, der Bestecher. Der macht sich in jedem Fall strafbar und müsste sich erst einmal selbst belasten, bevor er mit dem Finger auf den Bestochenen zeigen könnte. Angesichts dieser Gesetzeslage dürfte es in der Tat schwer fallen, Beweise aufzutreiben.

Die Untersuchung gegen das Netz der Fälscher der CE-Zertifikate dauert an, erklärt Frising. Bedingt ist das durch den enormen Ermittlungsaufwand. Hunderte von Beteiligten wurden verhört, ob als Zeugen oder weil sie unter Verdacht stehen, selbst Fälschungen angefertigt, vermittelt oder eingesetzt zu haben, bestochen oder Bestechungsgelder angenommen zu haben. „Bis zu 20 000 Euro wurden pro Genehmigung gezahlt“, so Frising. Er hofft, die Untersuchung im ersten Halbjahr 2010 abschließen und Anklage gegen die wichtigsten Mittelsmänner erheben zu können. Auf deren mutmaßliche Vergehen stehen zwischen fünf und zehn Jahre Haft. Aber auch die Bestecher werden sich verantworten müssen, weit über hundert an der Zahl – denn dass die Polzei bei ihren Ermittlungen noch mehr Betrüger enttarnt hat, als es dem Ministerium selbst gelang, ist nicht auszuschließen. Erst diese Verfahren können Licht ins Dunkel der Vorgänge innerhalb des Ministeriums bringen. Und auf folgende, bislang noch ungestellte Frage: Sollte sich unwiderruflich erweisen, dass Mitarbeiter des Ministeriums Schmiergelder angenomen haben, hätte dann bis heute nicht schon jemand die politische Verantwortung übernehmen müssen?

1 Name von der Redaktion geändert
Michèle Sinner
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