Weder für noch gegen Katar

Stéphanie und Guillaume von Luxemburg in Katar
Photo: SIP/minfin
d'Lëtzebuerger Land du 23.06.2017

„Wir sind weder für noch gegen Katar“, beschrieb Außenminister Jean Asselborn am Dienstag die Haltung im neuesten Konflikt der arabischen Welt. Tags zuvor hatten er und seine europäischen Kollegen bei ihrem monatlichen Treffen in Kirchberg die Situation am Golf besprochen. Seit Anfang Juni haben Saudi Arabien, Bahrein, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten die diplomatischen Beziehungen zu Katar abgebrochen, katarische Staatsbürger ausgewiesen und Wirtschaftssanktionen verhängt, indem sie direkte Verkehrsverbindungen untersagt haben. US-Präsident Donald Trump wertete dieses Vorgehen auf Twitter als persönlichen Erfolg indem er es direkt auf seinen rezenten Besuch in der Re­gion zurückführte. Die Lage ist delikat, weil sich trotz Trumps Tweets aus westlicher Sicht nicht so eindeutig zwischen den Guten und den Bösen unterscheiden lässt, die autoritär geführten Golfstaaten aber zumindest als eine der wenigen „stabilen“ Regionen im Nahen und Mittleren Osten galten. Zu den konfessionellen Differenzen kommt hinzu, dass Katar und Iran an entgegengesetzten Enden das gleiche Gasfeld anzapfen und sich das kleine Emirat deshalb nicht direkt mit der großen islamischen Republik anlegt. Dabei wollen die Europäer ihre Beziehungen nach Abschluss des Atomabkommens mit den Iran normalisieren, das heißt, die Wirtschaftsbeziehungen ausbauen, während der US-Präsident versucht, ein Reiseverbot für die Bürger ausgewählter muslimischer Staaten, darunter des Irans, durchzusetzen.

Nachdem die Nachbarländer bereits vor zwei Jahren einmal ihre Botschafter aus Katar abgezogen hatten, werfen sie dem Emirat erneut vor, Terroristen zu finanzieren. Sie haben eine Liste mit Namen von Personen und Organisationen vorgelegt, denen Katar den Geldhahn zudrehen soll, wenn sich die Beziehungen zwischen den Golfstaaten wieder normalisieren sollen. Die EU-Minister wurden sich am Montag in Kirchberg darauf einig, den selbsternannten Vermittler Kuweit in seinen Anstrengungen zu unterstützen und, wie Jean Asselborn nach dem Treffen erklärte, sie wollen in Bezug auf die vorgelegte Liste beim „Monitoring“ helfen.

Was „Monitoring“ in diesem Fall konkret heißen soll, ließen die Außenminister am Montag offen. Denn die EU verfügt über ihre eigene Liste von Terrorverdächtigen und -organisationen sowie Anti-Geldwäschebestimmungen, um deren Finanzierung zu verhindern. Die Namen derjenigen, die von Finanzsanktionen betroffen sind, werden den Banken von den Aufsichtsbehörden mitgeteilt, sie gehen auf EU-Richtlinien und Beschlüsse zurück oder solche der Uno, in der letzten Zeit standen viele der Mitteilungen der CSSF an die Luxemburger Banken in Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Syrien. Mitunter reicht es aber nicht aus, diese Vorgaben einzuhalten. Die Luxemburger Clearing-Gesellschaft Clearstream hat wegen Konten der iranischen Zentralbank seit Jahren juristische Probleme in den USA, weil Iran von allerhand US-Gerichten für unterschiedliche Terroranschläge verantwortlich gemacht wird.

Ob es, angesichts der Forderungen an Katar, für Luxemburg ein Problem darstellt, wenn sich beide Staaten den Besitz einer Bank teilen? Denn seit der Zerschlagung des Dexia-Finanzkonzerns in der Folge der Finanzkrise gehören der katarischen Herrscherfamilie via Luxemburger Holding Precision Capital außer der KBL 90 Prozent an der Banque Internationale à Luxembourg (Bil), während die restlichen zehn Prozent im Besitz des Luxemburger Staates sind. Solche Probleme sieht Jean Asselborn bisher nicht. Einerseits weil sich das US-Außenministerium trotz Trumps Twitterei der Sache angenommen habe und versuche einzulenken – die USA betreiben in Katar einen Luftstützpunkt mit 11 000 Mann Besatzung und haben dem Emirat noch diese Woche über ein Dutzend Kampfjets verkauft.

Und weil die Europäische Zentralbank (EZB) für die Aufsicht von Precision Capital zuständig sei – wegen der Marktstellung der Bil gilt Precision Capital seit Einführung der Bankenunion als systemisches Finanzinstitut. Luxemburg sei durch die Bankenbeteiligungen nicht in einer Sondersitua­tion, hebt Asselborn hervor. Katar besitzt auch Anteile an der Deutschen Bank und kaufte sich in der Finanzkrise mit Geldspritzen bei Barclays ein. Bisher, teilen KBL und Bil auf Nachfrage mit, habe das Embargo der Nachbarstaaten gegen den Aktionär keine Folgen für das Geschäft. Ob die Finanzaufsicht die Beteiligung des Wüstenstaats in der Bewertung ihrer jeweiligen Risiken berücksichtige, lassen beide Banken unkommentiert. Ex-Finanzminister Luc Frieden, dem die Deutsche Bank einen Sonderposten schuf, bevor er Verwaltungsratspräsident der Bil wurde, erklärte diese Woche im RTL-Interview, die Besitzverhältnisse spielten keine Rolle, da die Bank nicht dem Staat Katar, sondern in Katar sesshaften Leuten gehöre.

Eher aus der Not und Dringlichkeit der Finanzkrise heraus entstanden, ist die Beteiligung an der Bil und an KBL das Überbleibsel der 2011 proklamierten strategischen Partnerschaft zwischen Luxemburg und Katar, die nicht nur Banken umfassen sollte, sondern auch andere Wirtschaftszweige. Als der damalige Staatsminister Jean-Claude Juncker den katarischen Staats- und Außenminister Hamad ibn Dschasim ibn Dschabir Al Thani vor sechs Jahren in Luxemburg empfing, sagte er: „Das Land ist sehr dynamisch und spielt eine wichtige Rolle – unter anderem als Friedenstifter.“ Doch auf der Suche nach neuen Absatzmärkten für die Produkte des Luxemburger Finanzplatzes war wahrscheinlich nicht ganz unwesentlich, dass Katar sich während der Finanzkrise robuster gezeigt hatte als beispielsweise das Nachbaremirat Dubai.

Die Beziehungen zwischen Luxemburg und Katar erregten von Anfang an großes öffentliches Interesse. Zuerst da sie als Erfolg der von Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) gesteuerten Bemühungen zur Wirtschaftsdiversifizierung gefeiert wurden. Das „Luxemburger“ Nassbaggerunternehmen Jan de Nul (JDN) beteiligte sich an mehreren Phasen des Ausbaus des großen Flüssiggashafens Katars und profitierte dabei von dem, wie David Lutty von JDN sagt, in Rekordzeit abgeschlossenen Nicht-Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Luxemburg und Katar. Großherzog Henri sah sich die Arbeiten anlässlich einer Wirtschaftsmission vor Ort selbst an. Dass der Ingenieurbetrieb Paul Wurth zusammen mit der Deutschen Bahn den Bau von 22 Bahnhöfen für die Fußball-WM 2022 planen sollte, wurde in der nationalen Presse ebenso als Erfolg gefeiert wie die Bereitstellung von Satellitenkapazitäten durch die SES an Katar, Sitz des Nachrichtensenders Al Jazeera.

Doch nach der Übernahme von Arcelor durch den indischstämmigen Lakshmi Mittal befürchteten viele, nachdem eine Elefantenarmee am Rousegärtchen aufmarschiert sei, werde eine Kamelkarawanserei auf der Route d’Esch und in Findel eröffnet. Finanzminister Luc Frieden (CSV) geriet in die Kritik, musste sich Vorwürfe gefallen lassen, er habe beide Banken und die Cargolux unter Wert verscherbelt. Nach nur eineinhalb Jahren der Aufregung, des Streits mit den Gewerkschaften, dem Management sowie dem Luftfahrtkonzern Boeing und Parlamentsdebatten verkaufte Qatar Airways seine Beteiligung an der Frachtfluggesellschaft Cargolux 2012 für den Einkaufspreis zurück an den Luxemburger Staat. Ein tatsächliches Abkommen über eine strategische Partnerschaft, sagt Jean Asselborn, wurde niemals unterzeichnet, und als Luxemburg Ende 2011 eine Botschaft in der Golfregion eröffnete, waren die Gäste in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Abu Dhabi eingeladen, nicht nach Doha.

Zwischen 2011 und 2016 hat sich die Ausfuhr an Gütern nach Katar verdoppelt: von sehr bescheidenen zwei auf immer noch bescheidene vier Millionen Euro. Der Verkauf von Dienstleistungen stieg im gleichen Zeitraum von 69 auf 91 Millionen Euro. Jan de Nul hat seit der Hafenerweiterung keine neuen Aufträge in Katar durchgeführt. Die Planung der Stadionbahnhöfe wurde, wie Paul Wurth auf Nachfrage mitteilt, bereits 2012 abgeschlossen, und der Vertrag zwischen Katar und dem Partner Deutsche Bahn später gekündigt. Zwar unterzeichnete Kulturministerin Maggy Nagel (DP), die nun Kommissarin für den Luxemburger Pavillon bei der Weltausstellung in Dubai 2020 ist, 2014 noch ein Memorandum of Understanding mit ihrem katarischen Amtskollegen. Doch außer einer in Zelten untergebrachten Ausstellung katarischen Kunsthandwerks und einem Schwerttanz auf der Place d’Armes anlässlich der Unterzeichnung wurden im Rahmen dieses MoU keine Aktivitäten organisiert, wie Max Theis vom Kulturministerium bestätigt.

Ein paar Monate nach dem katarischen Schwerttanz auf der Place d’Armes weihte Finanzminister Pierre Gramegna in Dubai die neue Filiale der Bil ein. Nachdem die vorherige Filiale in Bahrein geschlossen wurde, entschied sich die Bil für Dubai und gegen Doha als Standort in der Golfregion, weil sich Dubai – auch wegen des Aufbaus der Sonderfinanzzone, in die die Bil als erste Luxemburger Bank einzog – als regionales Finanzzentrum bestätigt habe. Im März 2015 leitete Erbgroßherzog Guillaume zusammen mit seiner Frau Stéphanie erneut eine Wirtschaftsmission nach Katar, und vergangenes Jahr empfing Finanzminister Pierre Gramegna zusammen mit der Handelskammer den katarischen Wirtschaftsminister Ahmed ibn Dschassim Al Thani zum Katar-Luxemburg Business Forum im Mudam, wo laut Handelskammer über „opportunities“ im Rahmen der Infrastrukturarbeiten zur Vorbereitung der Fußball-WM, „opportunities“ für die Finanzbranche und „opportunities“ für gemeinsame Investitionen in der Energiebranche diskutiert wurde.

Abseits dieser mediatisierten Ereignisse unterhält Katar aber eine von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkte Präsenz in Luxemburg, die über ihre Beteiligungen an der Bil und der KBL hinausgeht. Qatar Airways fliegt nicht nur weiterhin den Flughafen Findel mit seinen Frachtmaschinen an – was zu neuerlichen Vorwürfen gegen die ehemaligen CSV-Minister Luc Frieden und Claude Wiseler führte, sie hätten Katar zu großzügige Start- und Landerechte gewährt, mit denen der ehemalige Aktionär nun der Cargolux Konkurrenz vor der eigenen Haustür mache. Über Qatar Airways S.à.r.l., mit Adresse 6, rue Eugène Ruppert, wo sich die Domizilierungsgesellschaft Intertrust befindet, hält die katarische Fluggesellschaft ihre für rund 1,5 Milliarden Euro erworbene Beteiligung an International Consolidated Airlines Group, kurz IAG, der Muttergesellschaft von British Airways, Iberia und Aer Lingus, die ihr im Finanzjahr bis April 2016 einen Verlust von 141 Millionen Euro einbrachten. An der gleichen Adresse befinden sich auch die Büros von Qatar Holding Luxembourg II, eine Einheit des staatlichen Investmentfonds Qatar Investment Authority, der unter anderem Beteiligungen an Volkswagen, Barclays, Harrods und allerhand Fußballvereinen hat und dem das wegen seiner Form „Shard“ getaufte Hochhaus in London gehört.

Bei der Konkurrenz von SGG auf der Route d’Esch hatte Scheich Saoud Abdullah Muhammed Dschabor Al Thani außerdem die Qatar Heart Laboratories Holding S.A. angemeldet, die über Zukäufe und Kooperationen Tests zur Früherkennung von Herzkreislaufkrankheiten entwickeln ließ. Nachdem der Verwaltungsrat 2014 seine Zustimmung gab, das Firmenkapital auf 30 Millionen Euro anzuheben, wurde anscheinend keine Miete mehr gezahlt. Denn der Domizilierungsvertrag wurde vergangenes Jahr gekündigt.

Michèle Sinner
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