ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Statthalter

d'Lëtzebuerger Land du 15.08.2025

Viele Abgeordnete fühlen sich gedemütigt. Während Monaten wurden sie barsch auf ihren Platz verwiesen. Vor zwei Wochen versetzte ihnen eine Mitteilung der Bankenaufsicht einen neuen Schlag.

Grant Thornton ist eine internationale Gruppe von Unternehmensberatern. Sie prüfte die Konten der Caritas. Ihr fiel wenig auf. Der parlamentarische Sonderausschuss zum Caritas-Betrug lud sie im März vor. Doch „[l]e réviseur d’entreprises a finalement refusé l’invitation de la Commission spéciale en renvoyant à son secret professionnel“ (Abschlussbericht, S. 4). Gewählten Volksvertretern gebührt Respekt. Größeren Respekt gebührt dem Geschäftsgeheimnis.

Die Unternehmensberater von PWC wickelten die Caritas ab. Als das Parlament sie vorlud, diktierten sie ihre Bedingungen: Sie verlangten schriftliche Fragen im Voraus. Sie wollten keine weiteren zulassen. Sie gaben nach. Der Staat ist ein wichtiger Kunde.

PWC erhielt 1,2 Millionen Euro Honorar. Ein Abgeordneter wollte wissen: von wem? „Une représentante de PricewaterhouseCoopers estime que cette information confidentielle ne relève pas de la mission de la Commission spéciale“ (Sitzungsprotokoll, 3.2.25, S. 4). Die Steuervermeidungsindustrie bestimmt den Zuständigkeitsbereich der Abgeordneten.

Die Banque générale gewährte der Caritas eine Kreditlinie über 23 Millionen Euro. Das Parlament lud sie vor. „Les représentants de BGL BNP Paribas informent d’emblée qu’ils ne sauraient révéler des informations en relation avec un de leurs clients“ (Sitzungsprotokoll, 7.5.25, S. 1).

Die grüne Abgeordnete Djuna Bernard bedauerte: „Dat war quasi e Blockage total vu Säite vun der BGL. Mir hu quasi op all Fro d’Äntwert kritt, dass de Secret bancaire hinne géing verhënneren, eis iergendeng Auskonft ze ginn“ (RTL, 7.5.25). 2008 rettete der Staat die Banque générale mit 2,5 Milliarden Euro. Sie gehört ihm zu 34 Prozent. Nun gab sie den Abgeordneten zu verstehen: Ihr spielt Politik. Wir machen richtiges Geld. Haltet euch also gefälligst raus.

Die Sparkasse ließ mehr als hundert verdächtige Überweisungen, eine Kreditlinie von zehn Millionen Euro durchgehen. Die Bankenaufsicht CSSF verurteilte sie am 2. Mai zu einer Geldbuße von fünf Millionen Euro. Am 5. Mai verschwieg sie dem Parlament die Strafe.

Stattdessen gingen die Sparkassendirektoren „bei den éischte Pouvoir am Land a soen: hei voilà, mir si quasiment déi Allerbescht, mir hunn alles richteg gemaach an hunn eis guer näischt virzewerfen“. Ärgerte sich der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar (Bank of China). Als er am 30. Juli die Mitteilung der CSSF erhielt (Radio 100,7, 1.8.25).

Die Sparkasse behandelte die Abgeordneten wie Kinder. Die man mit einer Halbwahrheit abspeisen kann. Selbst die Staatsbank nimmt das Parlament nicht ernst. Banken nehmen  die Zahlenreihen auf den Bloomberg-Bildschirmen ernst: die Märkte. Nun will sie zurück ins Parlament, ein Missverständnis erklären.

Luc Frieden (Bil, Deutsche Bank) ließ das Parlament im Dunkeln. Der Premierminister schützt die Finanzbranche. Nachrangig die Verfassungsorgane. Im Umgang mit dem Caritas-Betrug warf LSAP-Abgeordneter Franz Fayot der Regierung vor: „Et ass ni vun enger Matverantwortung vun de Banke geschwat ginn“ (RTL, 6.8.25).

Die Handelskammer weiß, warum. Sie rechnet vor: „La part du secteur financier dans le PIB représente 23,5% en 2023“ (www.cc.lu). Banken, Steuervermeidungsindustrie vertreten die Eigentümer global zirkulierenden Finanzkapitals. Als lokale Statthalter der herrschenden Klasse. Die Abgeordneten gehören dem regierenden Kleinbürgertum an. Nach dem Caritas-Bankrott erinnerten die Statthalter sie daran. Und an die Grundregel der herrschenden Verhältnisse: die Trennung von Politik und Privateigentum, von Demokratie und Wirtschaft.

Die Abgeordneten hielten ihren Sonderausschuss für einen zahnlosen Tiger. Sie gaben dem Kammerreglement die Schuld. Es war nicht Moses, der das Bankgeheimnis vom Berge Sinai in die Steueroase trug. Sie selbst machten es 1981 zum ehernen Gesetz.

Romain Hilgert
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