Nach den Wahlen 2023 begann der Lëtzebuerger Bauer, eine besinnliche Geschichte zu erzählen: Von Landwirtschaftsministerin Martine Hansen und ihrem Vetter, EU-Kommissar für Landwirtschaft Christoph Hansen. Wie sie Woche für Woche landwirtschaftliche Anwesen, landwirtschaftliche Ausstellungen, landwirtschaftliche Versammlungen besuchten. Bald volksnah, bald wichtigtuerisch. Wie sie vor Bäuerinnen, Lobbyisten, Experten mit Sachverstand und Verständnis glänzten. Helden, die die Landwirtschaft erlösten von grünen Verbotspolitikerinnen, sozialdemokratischen Schönrednern.
Dann wurde die Idylle zwischen den CSV-Politikern und der Bauernzentrale ein erstes Mal getrübt. Als Premier Luc Frieden in der Erklärung zur Lage der Nation ankündigte, das Freihandelsabkommen Mercosur gutzuheißen. Das müssen die Hansens nun den Bauern schmackhaft machen: Wenn die USA die Einfuhrzölle erhöhen, werden Autoexporte nach Südamerika wertvoller als Protektionismus für Bauern.
Dass Luxemburgs Kommissar in Brüssel für Landwirtschaft zuständig wurde, weckte in den Dörfern Stolz und Zuversicht. Doch nun soll es seinem Agrarressort ergehen wie Nicolas Schmits Sozialressort.
Raffaele Fitto von den Fratelli d’Italia ist Vizepräsident der Kommission. Er ist Christoph Hansens Chef. Er ist verantwortlich für Kohäsion und Reformen. Darunter für die Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit des Lebensmittel- und Agrarsektors. Der italienische Neufaschist und der Luxemburger Rechtsliberale haben einen historischen Auftrag: Sie sollen die Gemeinsame Agrarpolitik abwickeln. Für mögliche Bauernproteste sind Zugeständnisse eingepreist.
1952 verstrickte die Union von Kohle und Stahl die deutsche Rüstungsindustrie mit der französischen. Um einem weiteren Weltkrieg vorzubeugen. 1962 sicherte die Gemeinsame Agrarpolitik mit öffentlichen Aufkäufen, Exportzuschüssen billige Lebensmittel also billige Lohnkosten in der Industrie. Noch 1985 gingen drei Viertel des EWG-Haushalts in die Landwirtschaft.
Die Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik von 1992, 2000, 2003, 2008, 2013, 2023 deregulierten den Agrarmarkt: Vom Familienbetrieb zum Agrobusiness. Zum Ausgleich gab es Direktzuschüsse für die Betriebe, für Strukturpolitik im ländlichen Raum. Heute geht ein Viertel des EU-Haushalts in die Landwirtschaft. Morgen haben Künstliche Intelligenz, Rüstung Vorrang.
Vor zwei Wochen stellte die Europäische Kommission ihren Mehrjährigen Finanzrahmen vor. Sozial selektiv soll er die Mittel für die Landwirtschaft um 22 Prozent kürzen. Ab 2028 das Ende der Gemeinsamen Agrarpolitik organisieren: Derzeit verwaltet Christoph Hansen die beiden Budgetsäulen Direktzuschüsse und ländlicher Raum. Nun sollen die Agrarmittel in Raffaele Fittos großem Nationalen und regionalen Partnerschaftsfonds verschwinden. Die Verwendung in den Mitgliedsländern will die Kommission mit jeder einzelnen Regierung aushandeln.
„À terme, il est à craindre que dans ses négociations avec les États, la Commission puisse exiger des réformes structurelles en échange du versement des fonds. Cette dérive rappelle les mécanismes ‘d’ajustement structurel’ que l’on croyait relégués aux années de plomb de la ‘troïka’.“ Warnt der Europaabgeordnete David Cormand (Le Monde, 26.7.25).
Die Bauernzentrale gibt dem grünen Abgeordneten recht: „Ein Bruch mit der bewährten Zwei-Säulen-Struktur bedeutet keinen Fortschritt, sondern eine neoliberale Kahlschlagpolitik auf dem Rücken der europäischen Landwirtinnen und Landwirte“ (Pressemitteilung, 18.7.25).
Landwirtschaftsministerin Martine Hansen beklagt einen „große[n] Schritt in die falsche Richtung“. Doch muss sie den Vetter, die CSV im Ösling retten: „Ich bin mir sicher, dass unser EU-Kommissar Christophe Hansen stark dafür gekämpft hat, dass die Gemeinsame Agrarpolitik überhaupt noch einen eigenständigen gesetzlichen Rahmen behalten wird“ (Lëtzebuerger Bauer, 18.7.25). Er habe gezögert, sich selbst abzuschaffen.