Nach den Europawahlen versuchte die LSAP, die Welt in Atem zu halten: Wer wird Kommissar in Brüssel? Christoph Hansen oder Nicolas Schmit? Spitzenkandidat Nicolas Schmit müsse mit einem schönen Posten belohnt werden. Premier Luc Frieden spielte mit und schwieg. Dann schickte er Christoph Hansen nach Brüssel. Die Postenfrage war eine Scherzfrage. Die Koalitionsverhandlungen im November sicherten Parlamentsvorsitz und EU-Kommissar der CSV.
Bemerkenswert ist nicht, dass Schmit, sondern sein Ressort abgeschafft wurde. In der nächsten Kommission gibt es keinen Kommissar mehr für Beschäftigung und soziale Rechte. Die Kommissionspräsidentin mit dem Adelsprädikat macht Schluss mit dem Sozialklimbim. Die Krise der deutschen Automobilindustrie verlangt Opfer.
Ursula von der Leyen ersetzt den Beschäftigungskommissar durch einen Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt. Reichsminister Rudolf Heß nannte das „Kanonen statt Butter“ (11.10.1936). Der Kommissar der Rüstungsindustrie heißt Andrius Kubilius. Der ehemalige Premierminister Litauens muss sich mit der Kommissarin für Außen- und Sicherheitspolitik absprechen. Das Amt bekleidet Ex-Premierministerin Kaja Kallas aus Estland.
Die ehemalige Verteidigungsministerin von der Leyen berief für Außen- und Verteidigungspolitik zwei Politiker aus Fronstaaten zu Russland. Das gewährleistet die erforderliche Gesinnung: Sie misstrauen Diplomatie, Kompromissen. Sie halten die Europäische Union für Weicheier. „Ils sont dans la main des Etats-Unis.“ Zitiert Le Monde einen hochrangigen EU-Beamten (19.9.).
Gleich nach ihrer Amtsübernahme soll Kaja Kallas vertrauliche Verhandlungen beginnen: Um die Europäische Union auf den Wirtschaftskrieg der USA gegen China einzuschwören. Sie auf eine militärische Eskalation um Taiwan vorzubereiten.
Jacques Santer muss neidisch sein: 1999 konnte er den französischen Präsidenten nicht zur Abberufung von Kommissarin Edith Cresson bewegen. Seine ganze Kommission stürzte. Nun brachte Ursula von der Leyen den französischen Präsidenten dazu, Kommissar Thierry Breton abzuberufen. Der ehemalige IT-Manager geringschätzte seine Präsidentin. Er legte sich mit Donald Trumps Kumpel, US-Milliardär Elon Musk an.
Mit Raffaele Fitto soll ein Politiker der neufaschistischen Fratelli d’Italia Vizepräsident werden. Er soll die Beziehungen der Kommission zum braunen Stimmenreservoir im Europaparlament pflegen. Wenn Sozialdemokraten oder Grüne sich zieren. Vielleicht stört das Landwirtschaftskommissar Christoph Hansen wenig. Der ehemalige Berater Astrid Lullings und der Handelskammer gilt als anpassungsfähig.
Von 27 Kommissaren sind 22 rechts, rechtsliberal, rechtsradikal. Sie spiegeln die politischen Verhältnisse in den 27 Staaten wider. Klimapolitik, Geschlechterparität werden hintangestellt. Der österreichische Kommissar für Inneres und Migration, Magnus Brunner, darf die Verschleppung Asylbedürftiger organisieren.
Pünktlich zur Vorstellung der Kommission legte der ehemalige Goldman-Sachs- und Zentralbanker Mario Draghi seinen Bericht vor über The future of European competitiveness. Er fand heraus: Der Profit der Netzbetreiber auf einem Handy-Abo ist in der Europäischen Union nur halb so hoch wie in den USA (S. 28). Die Union muss wettbewerbsfähiger werden. Zum Beispiel durch teurere Handy-Abos.
Die neue Europäische Kommission ist ein Omen: Der Bankenkrach, die Covid-Seuche, der Ukrainekrieg zeigten die Grenzen des Neoliberalismus. Die besitzenden Klassen wollen sein Ende durch seine Radikalisierung hinauszögern. Daraus erwächst vielleicht ein neues Akkumulationsregime: ungerechter, autoritärer, protektionistischer, kriegerischer. Freudig steigen RN, AfD, NVA, ADR mit an Bord.