Bald nachdem am Sonntag der ADR-Nationalkongress begonnen hat, wird eine Gedenkminute für unlängst verstorbene Parteimitglieder eingelegt. Minuten später stehen alle im Saal erneut auf und gedenken der Opfer des Krieges in der Ukraine. Ein solcher Bruch des Völkerrechts sei „inakzeptabel“, erklärt der scheidende Parteipräsident Jean Schoos. Seine „zaristische Begründung“ könne „in einem humanistischen und christlichen Europa nur ein No-Go sein“.
Dabei ist es gar nicht so lange her, dass die ADR viel Verständnis für Wladimir Putins „zaristischen“ Nationalismus aufbrachte. Ende 2015 wollte ihr Abgeordneter Fernand Kartheiser das Parlament dazu bewegen, die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland nach der Annexion der Halbinsel Krim zu verlangen und das „Statut“ der Krim neu zu bewerten. Dem Wort erzählte er am 5. März 2016, die Bevölkerung der Krim sei „hauptsächlich russisch“. Weshalb er „eher von einem Beitritt der Krim zu Russland und nicht von einer Invasion oder Annektion sprechen“ würde. Vieleicht auch von einer „nicht-provokativen Absicherung“ der Krim und allenfalls von einer „soft invasion“.
Solche Reden führt die ADR heutzutage verständlicherweise nicht. Sie verkneift sich aber Kritik an Russland, die aktenkundig würde: Eine Resolution, die ihr Kongress bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung annimmt, ist voller Solidaritätsbekundungen an die Ukraine und ukrai-nische Flüchtlinge. Worte wie Russland, Putin, Krieg oder Invasion aber enthält sie nicht. Die ADR sei „déif betraff iwwer déi dramatesch Situatioun an der Ukraine“. Ob die vielleicht auch auf eine Naturkatastrophe oder ein Virus zurückzuführen sein könnte, lässt die Resolution offen.
Ihre Betroffenheit ist der ADR aber auch deshalb zu glauben, weil ihr durch den Krieg politisches Momentum verlorengegangen ist. In den Hintergrund gerückt sind Themen wie die Verfassungsreform, die Corona-Maßnahmen und die Impfpflicht, von denen sie zu profitieren versuchte und was ihr wahrscheinlich auch gelang. Im November hatte ihr die Politmonitor-Umfrage von TNS-Ilres einen Zugewinn von drei Sitzen in Aussicht gestellt, „wenn morgen Wahlen wären“. Mit dann sieben Kammermandaten hätte sie ihren Fraktionsstatus zurückerlangt und eine Stärke wie zuletzt zwischen 1999 und 2004, als sie noch den Rentenneid auf Staatsbeamte schürte. In Roeser berichtet Generalsekretär Alex Penning, Mitte März habe die ADR 1 473 Mitglieder gezählt. Seit Januar seien 78 hinzugekommen.
Wenn die Menschen derzeit eher Kriegsnachrichten lesen als sich darum zu kümmern, ob Luxemburg sich durch die Verfassungsreform „fundamental ändern“ wird, spricht auch Fernand Kartheiser darüber nun vor allem in der Vergangenheit. Wiederholt die alten Vorwürfe an die vier großen Parteien, ihre Wahlversprechen auf ein Verfassungsreferendum gebrochen zu haben. Erwähnt nur kurz, dass die Unterschriftensammlung für ein Referendum zum zweiten Verfassungskapitel läuft, die „Aktion“ zum dritten Kapitel „vorbereitet“ werde und „vielleicht“ auch eine zu Kapitel vier. Auf jeden Fall sei „alles ein Verdienst der ADR“. Dass sie sich lächerlich macht, wenn wie zum ersten Kapitel nicht genug Unterschriften zusammenkommen, ist ihm klar.
Aber seit die ADR keine Rentenpartei, sondern eine „richtige“ Partei sein will, ergreifen ihre Protagonisten mit zynischem Opportunismus jede Gelegenheit, um der jeweiligen Regierung an den Karren zu fahren. Und der CSV, seit die ihre Macht verloren hat und alles Mögliche ist, aber nicht mehr konservativ. Da das große Thema neben dem Ukraine-Krieg die Energiepreise bilden, sind auf dem Roeser Kongress die Grünen dran. Fred Keup, der bald zum Parteichef gewählt werden soll, erzählt dem Saal, „der Staat verdient an den hohen Preisen, durch Akzisen, die CO2-Steuer und die TVA“. Was höchstens zum Teil stimmt, denn Akzisen und CO2-Steuer bleiben gleich, wenn die Marktpreise steigen. Doch Komplexitäten hat Keup seinem Publikum noch nie zugemutet. Wie er es auch im Parlament schon fertigbrachte, gegen das „Wachstum“ zu wettern, damit Zuwanderung und Grenzpendler meinte, und im nächsten Atemzug eine wachstumsfreundliche Wirtschaftspolitik zu fordern. In Roeser soll der Satz verfangen, die hohen Energiepreise seien „vor allem eine Folge der grünen Politik“. Denn: „Wenn wir was gegen CO2 machen wollen, dann müssen wir das unkontrollierte Wachstum, den Eine-Million-Einwohnerstaat verhindern.“ Nach Keup wird auch der Abgeordnete Roy Reding mit selbstzufriedener Miene über die Grünen herfallen: Sie seien bereit, Biotope der Bebauung zu opfern. Fernand Kartheiser bescheinigt ihnen „ideologischen Wahn“.
Brandreden, die die Redner selber kaum glauben dürften, lassen die ADR nicht gerade wie jene bürgerliche konservative Partei aussehen, zu der Kartheiser sie gerne im Fernsehen stilisiert. Sie schaffen aber eine stimmungsvolle Atmosphäre, in der die Delegierten im Saal die Wahlzettel zur neuen Parteispitze ausfüllen, und das ist der Hauptanlass des Kongresses. Was es bedeutet, dass dem Parteivorsitzenden vier Vizepräsidenten zur Seite gestellt werden, wird den Kongressdelegierten nicht erläutert. Dass sie es schon erfahren haben, ist nicht ganz wahrscheinlich: Kongressmoderator Luc Reyter, Vizepräsident der ADR-Sektion Süden, sieht sich veranlasst darauf hinzuweisen, dass die vier Kandidaten auf die Vizevorsitze nicht etwa um ein einziges Amt konkurrieren, sondern für jeden eines da ist. Fred Keup als neuer Parteipräsident erhält mit 86 Ja-Stimmen, vier Mal Nein und vier Enthaltungen den meisten Zuspruch. Tom Weidig als einer der Vizepräsidenten mit 68 Mal Ja, zwölf Mal Nein und 14 Enthaltungen den geringsten.
Wofür die ADR stehen soll, wenn die Facebook-Nationalisten von Nee2015/Wee2050, Fred Keup und Tom Weidig, führende Rollen spielen, erfährt der Kongress nicht. Mit Weidig macht ein Rechtsaußen Karriere, der als Wee2050-Präsident verbreitete, „d’Nazien hunn d’Letzebuerger winnstens net erhongern geloos, ob jidferer Fall net zu Letzebuerg“. Was vielleicht sein Wahlresultat vom Sonnntag erklärt; nicht jeder im Saal ist auf dem Kopf gefallen. Keup liest zum Schluss ein Sieben-Punkte-Programm vor, das nach Kontinuität klingt und für all jene gedacht ist, die finden, dass die etablierte Politik sich schon lange nicht mehr dafür interessiert, was sie denken und fühlen. Ihnen verspricht Keup Einsatz für „Soziales“ und für „Freiheit im Denken“. Für „Sicherheit“ und gegen „Wachstum“. Für „Famill, Mamm a Papp“, für „Identität“ und für „Luxemburg“.
Neu ist, dass die ADR die Nähe hierzulande lebender Ausländer sucht, „die unsere Werte teilen“, wie Keup es nennt. Frédéric Becker (46), Vizevorsitzender der Lokalsektion Mamer-Kehlen und nach eigenen Angaben „internationaler Beamter“ mit französischer, deutscher und seit 2019 auch Luxemburger Staatsbügerschaft, soll die „Plattform ADR International“ einrichten. Als er auf dem Kongress von Luxemburgisch auf Französisch und dann auf ziemlich amerikanisches Englisch wechselt, rucken im Saal einige Köpfe hoch. Becker ist Mitglied im Verein Republicans Overseas. 2017 ließ er sich in einer Kneipe als Trump-Fan fotografieren. Fred Keup beantwortet die Frage des Land, was für die ADR aus der Plattform ideologisch folge, ausweichend. Um eine Idee der ADR handle es sich nicht. Sie sei an sie herangetragen worden. Es gebe „eine große Nachfrage von Ausländern, die unsere Werte teilen, vor allem Europäer, Franzosen, Griechen oder Rumänen“. Manche seien konservativ eingestellt, andere libertär. Auch in der ADR gebe es verschiedene Positionen. Dass die durch die vier Vizepräsidenten integriert werden sollen, treffe aber nicht zu. „So verschieden sind sie nicht. Im Gegenteil, wir ziehen alle am selben Strang“, betont Fred Keup. Wie konservativ, wie rechts die ADR sich formieren wird, dürfte in den nächsten Monaten zu sehen sein.