Gespräch mit dem Wirtschaftshistoriker Christopher Kopper über Luxemburger Offshore-Geschäfte, finanzielle Abhängigkeiten und politischen Konsens

Wie Frankfurt Luxemburg entdeckte

d'Lëtzebuerger Land du 08.04.2016

Christopher Kopper, Wirtschaftshistoriker an der Universität Bielefeld (und Sohn des ehemaligen Deutsche-Bank-Chefs Hilmar Kopper), hat unter anderem die Geschichte der Deutschen Bank unter dem Nazi-Regime erforscht (Bankiers unterm Hakenkreuz, 2005). Seit zwei Jahren untersucht Kopper nun die Entwicklung der Auslandsanlagen deutscher Privatanleger. Bei seinen Recherchen stieß er schnell auf Luxemburg. Am Mittwoch, den 13. April um 18.30 Uhr, gibt er eine Konferenz im Saal Tavenas (Campus Limpertsberg) zum Thema: „Banking History – The internationalization of savings investments: The example of Luxembourg“.

d’Lëtzebuerger Land: Die Schweiz, die Bahamas und Bermuda etablierten sich bereits in den 1930-ern als Offshore-Zentren. Luxemburg hingegen mutierte erst relativ spät zum Finanzplatz im Kontext der europäischen Stahlkrise und dem Ende der „Trente Glorieuses“. Warum gerade in jenem Moment?

Christopher Kopper: Bestimmte Stärken des Finanzplatzes Luxemburg existieren schon viel länger. So werden etwa seit 1929 Kapitalerträge von Ausländern in Luxemburg nicht besteuert. Luxemburg als Finanzplatz expandiert nach der ersten Ölpreiskrise, als die Zahlungsüberschüsse der Opec-Länder neue Anlagen in Staaten ohne Kapitalbesteuerung suchen. Dieser Trend wird verstärkt durch die Einführung eines strengen Bankgeheimnisses nach Schweizer Vorbild im Jahre 1979. Ab dem Moment wird Luxemburg auch für Privatanleger interessant. Hinzu kommt eine sehr liberale Bankenaufsicht. Doch vor allem hatte Luxemburg keinen Mindestreservesatz. In Deutschland oder Frankreich mussten Banken einen Anteil ihrer Kundeneinlagen zinslos bei der Zentralbank deponieren. In Luxemburg war das nicht nötig, weil es ganz einfach keine Zentralbank gab. In Luxemburg konnten die Banken somit mehr Geld für Einlagen zahlen und Geld preiswerter verkaufen als in Frankfurt. Daher wurden große Kredite und Anleihen über Luxemburger Töchter vergeben statt direkt von Frankfurt aus.

Wer hat diese Offshore-Puzzlestücke zu einem Ganzen zusammengesetzt? Die Regierung und Verwaltungen in Luxemburg, oder die Banken in Frankfurt und London?

Beide Seiten haben einen Beitrag zu Luxemburgs Entwicklung als Offshore-Finanzplatz geleistet. Die Luxemburger Regierung hat im Zuge der Stahlkrise die Transformation zu einer postindustriellen Ökonomie gefördert. Durch eine liberale Bankenaufsicht und durch ein sehr strenges Bankgeheimnis hat man versucht, das Erfolgsmodell der Schweiz zu kopieren. Als die Regierung dann gemerkt hat, dass der Euro-Geldmarkt explosionshaft anstieg, hat sie die nationalen Alleinstellungsmerkmale zielstrebig ausgebaut. Natürlich haben sich die Banken diese Chance nicht entgehen lassen und Luxemburg zu einem Offshore-Zentrum entwickelt. Gerade für deutsche Banken war Luxemburg attraktiv, weil sie sich dort einfach niederlassen konnten. Die deutschen Kunden wussten, dass Bankangestellte in Luxemburg ihre Sprache sprechen. Im realen wie im übertragenen Sinne.

Ab den 1980-ern beginnt das Geschäft mit dem Schwarzgeld deutscher Privatkunden. Warum so spät?

Die deutschen Banken in Luxemburg steckten damals in der Klemme. Durch die Schuldenkrise in Lateinamerika mussten sie Forderungen an südamerikanische Staaten und Banken abschreiben und konnten jahrelang keine Dividenden mehr ausbezahlen. Das war auch einer der Katalysatoren, weshalb sich deutsche Banken in Luxemburg gesagt haben: "Wir nehmen jetzt Gelder privater Kunden in die Bilanz hinein. Dieses Geld bekommen wir günstig und können damit höhere Zinsmargen erzielen." Das Privatkundengeschäft der deutschen Banken in Luxemburg wurde so systematisch ausgebaut.

Unter dem Schutz des Bankgeheimnisses.

Die deutschen Banken haben gemerkt, dass sie von Luxemburg aus ihren Kunden Vorteile anbieten konnten, die in Deutschland so nicht möglich waren. Sie haben also angefangen, ihren Kunden ein Konto in Luxemburg anzubieten. Dazu kam, dass in der Bundesrepublik die Einführung einer Quellensteuer für Kapitalerträge diskutiert wurde. Viele deutsche Großanleger reagierten, indem sie ihre Gelder nach Luxemburg transferierten. Dort schien ihnen ihr Geld vor der deutschen Quellensteuer sicher. 1989 hat der deutsche Fiskus schließlich eine Quellensteuer von zehn Prozent eingeführt. Innerhalb nur weniger Monate wurde Kapital von über 20 Milliarden Mark nach Luxemburg transferiert. Woraufhin sich die deutsche Regierung gezwungen sah, das Quellensteuergesetz wieder aufzuheben.

Der Finanzplatz Luxemburg hat demnach indirekt die bundesdeutsche Steuerpolitik liberalisiert ...

... oder zumindest verhindert, dass eine Quellensteuer auf Kapitalerträgen eingeführt wurde. In den 1990-ern mussten die Bankkunden ihre Beträge beim Finanzamt angeben. Sie konnten sie aber auch verschweigen. Das war ein Risiko im Falle einer Steuerprüfung, aber die deutschen Behörden konnten nicht alle Steuerzahler kontrollieren. Natürlich haben die deutschen Banken ihre Kunden informiert, dass sie ihre Kapitalerträge in Deutschland versteuern müssen. Und natürlich wussten sie, dass ein Teil ihrer Kunden ihr Geld gerade wegen der Steuervorteile in Luxemburg anlegte und in Deutschland nicht deklarierte.

In Luxemburg wird die frühere Klientel umschrieben mit Archetypen wie dem „belgischen Zahnarzt“, dem „französischen Anwalt“ oder dem „deutschen Metzger“. Wie würden Sie die Privatkunden der deutschen Banken soziologisch umschreiben?

Die Banken haben keine Zahlen über die soziale und berufliche Zusammensetzung ihrer Kunden veröffentlicht. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass Selbstständige und Freiberufler überrepräsentiert waren. Die Privatkunden waren allesamt vermögend. Wer ein Wertpapierdepot bei einer deutschen Bank in Luxemburg eröffnen wollte, musste dort Wertpapiere im Mindestwert von 200 000 DM anlegen.

Wie kamen die Kunden nach Luxemburg? Über den Bankenfilialleiter oder den Steueranwalt? Wie kommt man etwa aus der westdeutschen Provinz auf den Kirchberg?

Die Abteilungen für Private wealth management druckten umfangreiche Prospekte für ihre Kunden, die eine genaue Anfahrtsbeschreibung bis vor die Türen der Banken in Luxemburg enthielten. Wer Schwarzgeld in Luxemburg anlegen wollte, fand auch ohne Navi den richtigen Weg zum Bankschalter, um sein Bargeld dort einzuzahlen. Wer Weißgeld in Luxemburg anlegen wollte, konnte Geld und Wertpapiere durch einen schriftlichen Auftrag direkt von seiner Bankfiliale in Deutschland übertragen lassen. Deutsche Kunden mussten nicht nach Luxemburg fahren, um dort Bankkunden zu werden.

Wie schätzen Sie den Grad an Eigeninitiative ein, etwa eines Managers der Deutschen Bank oder der Commerzbank in Luxemburg?

Die Entscheidungen wurden in Frankfurt getroffen. Dabei war etwa die Dresdner Bank schneller als die Deutsche Bank. Letztere hat erst 1987 eine Private-Wealth-Management-Sparte in Luxemburg aufgebaut, mehrere Jahre nach der Dresdner Bank. Möglicherweise hatte der Vorstand der Deutschen Bank Bedenken, aggressiv für Luxemburg als Standort für private Vermögensverwaltung zu werben. Eventuell dachte man sich: "Es sieht so aus, als ob wir deutschen Anlegern Beihilfe zur Kapitalflucht leisten." Als dann aber die Dresdner und die Commerzbank im Privatkundengeschäft in Luxemburg sehr erfolgreich wurden, hat die Deutsche Bank nachgezogen.

Wie sehen Sie die Spannung zwischen Stabilität und Vertrauen einerseits und Mobilität und Deregulierung andererseits? Die Kunden wollen ihr Geld ja in Sicherheit wissen.

Luxemburg galt als sehr solider Finanzplatz, weil die Akteure auf dem Finanzplatz – also die Großbanken und Landesbanken – einen sehr seriösen Ruf hatten. Im Zweifelsfall konnte der deutsche Privatkunde sich darauf verlassen, dass das deutsche Mutterinstitut in Frankfurt für seine Einlagen in Luxemburg haftet.

Der Fall Commerzbank und die Panama-Papers belegen, dass nach der Einführung der europäischen Zinsdirektive die Finanzkonstruktionen waghalsiger wurden.

Ab 2006 wurde eine Quellensteuer in Luxemburg eingeführt, dadurch wurde Luxemburg als Anlageplatz für Kleinanleger uninteressant. Natürlich haben Vermögensberater bei Banken nach legalen oder halblegalen Geschäftswegen gesucht. Es wurden Offshore-Finanzzentren außerhalb Europas eingeschaltet, um sich so einer Harmonisierung der europäischen Steuern zu entziehen. Aber die besonderen Vorteile Luxemburg sind jetzt praktisch nivelliert.

Seit nun 40 Jahren wird vor der Fragilität des Finanzplatzes gewarnt. Und trotzdem: auch nach der Einführung des automatischen Informationsaustausches und selbst nach Luxleaks boomt das Geschäft. Ist Historizität ein Garant für Stabilität? Das heißt: Je länger ein Finanzplatz existiert, desto schwieriger und teurer wird es, ihn auszulagern?

Luxemburg ist – abgesehen von Liechtenstein – der Staat, in dem die Banken den größten Anteil zum Bruttoinlandsprodukt und zu den Steuereinnahmen beitragen. Natürlich schafft das auch Abhängigkeiten gegenüber Forderungen der Bankenakteure. 1996 verlangten die Manager der deutschen Großbanken in Luxemburg von der Regierung, die Unternehmenssteuern deutlich zu senken. Mit dem Argument, dass sie sonst einen Teil ihres Geschäftes nach London verlagern würden. Luxemburg hatte durch die Liberalisierung des europäischen Kapitalmarktes viel zu gewinnen und hat auch viel gewonnen. Aber diese Entwicklung birgt auch Risiken.

In der Schweiz gab es zum Teil kontroverse Auseinandersetzungen um den Finanzplatz, etwa die Volksinitiative von 1984 „gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht“. Die Schweiz erscheint weit weniger abhängig und breiter aufgestellt als Luxemburg.

Das kann man sagen. Die Schweizer Industrie ist sehr innovativ und vor allen Dingen war sie nie auf eine Schwerindustrie konzentriert. Sie hat hingegen eine Pharmaindustrie, die vom technologischen Fortschritt lebt, und auch eine Maschinenbauindustrie, die hochqualitative Nischenprodukte herstellte. Die Sidérurgie hingegen steckte seit den 1970-ern europaweit in der Krise. Aus Luxemburger Sicht erschien der Aufbau eines Bankenplatzes als alternativlos: Ende der 1980-er war der große Steuerzahler schon nicht mehr die Arbed, sondern die Deutsche Bank.

Eines der Verkaufsargumente des Luxemburger Finanzplatzes ist die „politische Stabilität“. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Demokratie und Stabilität, zwischen Bürgern und Investoren?

In Luxemburg war das offensichtlich kein Widerspruch. Von den Sozialdemokraten bis zu den Christlich-Sozialen gab es einen breiten Konsens, wenn es darum ging, eine postindustrielle Wirtschaft aufzubauen. Das war auch der Grund, weshalb ausländische Investoren dem Luxemburger Bankenplatz stark vertrauten. Denn sie wussten, selbst bei einer sozialdemokratischen Regierung würde diese Politik im Prinzip fortgesetzt. Diese konnte scheinbar nur auf dem Bankenplatz florieren. Welche Dienstleistungen hätte Luxemburg sonst zu verkaufen? Luxemburg ist nun mal kein Tourismusziel.

Bernard Thomas
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