Vielleicht nicht das Gelobte Land, aber der Wunsch nach mehr Sicherheit dürfte einer der Gründe dafür sein, warum eine Handvoll Lehrpersonen die Sainte-Sophie jetzt verlassen wollen. Über ihre genauen Motive schweigen sie, aber klar ist: Die kurze Verschnaufpause der katholischen Privatschule ist dahin.
Dabei hatte die Direktion zuletzt versucht, gute Miene zu machen. Nach der Entlassung von vier Lehrkräften im Sommer, die dritte Entlassungswelle, war die Schule erneut in die Negativschlagzeilen geraten. Das brüske Kündigungsschreiben und die Geheimniskrämerei der Direktion hatten sogar Kollegen der Geschassten erzürnt. Die Verantwortlichen versuchten zu beschwichtigen, konnten aber nicht verhindern, dass kurz darauf der Attaché à la direction das Handtuch warf. Wegen schwerer Krankheit, hieß es. Tatsächlich hatte der Lehrer von der Schulleitung die Nase voll.
Die stürzte sich mit vereinten Kräften auf die Vorbereitungen für die Einweihungsfeier der neuen Annexe der Schule am heutigen Freitag, zu der Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) eingeladen ist. Der hohe Besuch ist nicht ohne Brisanz. Denn manche Lehrer sehen die Einweihung mit gemischten Gefühlen, einige wollten gar nicht kommen.
Im Gespräch mit dem Land (Nr. 35) hatte Direktor Alain Simonelli zwar beteuert, die Traditionsschule stehe trotz finanzieller Schwierigkeiten fest auf „drei Säulen“, der französischen und luxemburgischen Primärschule und der Luxemburger Sekundarstufe, doch letztere wird immer brüchiger. Das steht nicht nur in den Kündigungsschreiben, das die Entlassungen aus „ökonomischen Gründen“ rechtfertigt, das bestätigen auch offizielle Statistiken. Aus einem Bericht an die parlamentarische Bildungskommission geht hervor, dass sich der Anteil der Kinder im französischen Regime von 137 im Jahr 2007 auf 355 für das Schuljahr 2009/2010 mehr als verdoppelt hat. Dagegen ist der Anteil der Sekundarschulsektion seit 2006 um 212 Schüler gesunken. Verständlich, dass einige Lehrer der Schule vorwerfen, hier würde eine Sektion auf Kosten der anderen gesundgeschrumpft. Gestützt wird die Lesart vom kalkulierten Niedergang der Sekundarstufe indirekt durch eine Aussage von Finanz-Direktorin Martine Heisbourg bei einem Treffen mit der Personaldelegation im Juli, wonach „ce sont desormais l’école primaire et le système français qui soutiennent financièrement les lycées“. Da macht auch die von Verwaltungsratspräsident Albert Hansen angekündigte Anstellung von 15 französischen Lehrkräften plötzlich Sinn. Sogar wenn französische Schüler nur zu 40 Prozent vom Luxemburger Staat subventioniert werden.
Das Unterrichtsministerium weiß vom Ausbau der französischen Sektion, denn es sitzt in der Kontrollkommis-sion, die ihn genehmigt hat, und zahlt dafür: neue Annexe und Turnhalle kosten den Staat 4 573 901 Euro. Die über Jahrzehnte angehäuften Verluste von rund 7 Millionen Euro und die hohe Fluktuation im Sekundarunterricht dürften der Kommission ebenfalls nicht verborgen geblieben sein. Schon vor 1990 hatte sich ein Lehrer empört an den damaligen Minister Marc Fischbach (CSV) gewandt und massive Verstöße gegen das Arbeitsrecht in der Sainte-Sophie gemeldet. Auch andere Lehrer suchten in den nachfolgenden Jahren beim Ministerium Rat, ihre Klagen glichen denen aus den Sitzungsberichten der Personaldelegation: nicht gezahlte oder anerkannte Überstunden und Urlaubstage, fehlberechnete Gehälter, willkürliche Stundenzuteilungen. Es wäre interessant, zu wissen, wie viele Lehrer derlei Klagen vortrugen, wer Gehör fand – und wie viele resigniert das Handtuch warfen.
Vielleicht ist das der eigentliche Skandal: dass eine katholische Privatschule es mit dem Luxemburger Arbeitsrecht nicht so genau nimmt – und trotzdem jahrelang vom Staat subventioniert wird? Land-Informa-tionen zufolge sind derzeit mindestens drei Affären gegen die Sainte-Sophie vor Gericht anhängig, es geht um arbeitsrechtliche Streitigkeiten: falsche Kündigungsfristen, fehlberechnete Abfindungen, nicht gezahlte Urlaubstage, Kündigung trotz Krankenschein. Womöglich handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs: Weil sie es nicht besser wussten, aus falsch verstandener Loyalität, weil sie seit Jahren in der Schule unterrichtet haben – oder ganz einfach weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz hatten und haben, haben andere ihre Gehaltszettel nie richtig überprüft oder Ansprüche, wie die Anpassung an die Entwicklung im öffentlichen Dienst, schlicht nicht eingefordert. Sollte das Ignorieren von arbeitsrechtlichen Standards Methode haben, und dies lassen Berichte von Ex-Lehrern vermuten, dann spielt eines sicher für die Direktion: Obwohl die Kündigung zum Teil Jahre zurückliegt, haben etliche noch heute Angst, offen über ihre Erfahrungen zu erzählen. Stattdessen kämpft jeder für sich, in einem intransparenten Gerichtssystem, das es selbst erfahrenen Anwälten schwer macht, sich ein Gesamtbild zu verschaffen.
Dafür, dass das Ministerium bisher nicht eingegriffen hat, gibt es womöglich eine simple Erklärung, die der Argumentation der Direktion ähnelt: Den Staat respektive dem Steuerzahler kommen die Privatschulen, trotz Subventionen in Höhe von rund 31 Millionen Euro zwischen 2005 und 2009 (Investitionen eingerechnet) billiger zu stehen als die öffentlichen Schulen – die Privaten als Ventil für die überlaufende öffentliche Schule. Oder als Reservoir, in dem das Ministerium erfahrene Lehrkräfte findet, die ein schwankendes Schiff verlassen wollen. So schließt sich der Kreis.