Nein, man wolle sich zum gegebenen Zeitpunkt nicht äußern, so die kurz angebundene Antwort der Schulleitung des Lycée Ermesinde in Mersch. Das Land hatte angefragt, mit Akteuren der Schule mit dem lustigen Wappenzeichen, das an Harry Potter erinnert, über Änderungen beim pädagogischen Projekt zu sprechen. Der blau-rot-grüne Regierungsrat hat dem entsprechenden Gesetzentwurf grünes Licht gegeben, deshalb verschickte das Bildungsministerium diesen bereitwillig.
Die Geheimniskrämerei wundert, zumal an einer Schule, die in der Vergangenheit stolz auf ihre partizipative und diskursive Kultur war. Doch von Offenheit und konstruktiver Kontroverse scheint bei diesen Reformplänen zumindest phasenweise weniger zu sehen gewesen zu sein als sonst üblich: Schüler, Angestellte und Eltern wollten sich nur im Off äußern, um keinen Konflikt mit dem bisweilen über-temperamentvollen Direktor zu riskieren.
Im Frühjahr vergangenen Jahres stellte die Schulleitung Eckpunkte ihrer gewünschten Änderungen der Schulgemeinschaft vor, allerdings zunächst ohne dass ein schriftliches Konzept den Schülern oder Lehrern vorlag: Es geht um die Verankerung des unternehmerischen Ansatzes, der seit Gründung das schulische Konzept prägt: Jeder Schüler des Lycée Ermesinde schreibt sich ein in mindestens eines der Mini-Unternehmen. Das kann im Bereich Sport, Theater, Film, Natur und andere sein. Dort soll sich die Schülerin einbringen, sie lernt, autonom Projekte zu entwickeln, zu planen und durchzuführen, aber auch herkömmlicher Fachunterricht steht auf dem Stundenplan.
Begleitet und betreut werden die Mädchen und Jungen von so genannten SpezialistInnen. Das können Musiker, Schriftstellerinnen, Biologen, Medienexpertinnen und so weiter sein. Das Lycée Ermesinde hat von Anfang an darauf gesetzt, Professionelle von außerhalb in die Schule zu bringen. Ihr Statut war so, dass sie teils im Gebäude mit den Schülern arbeiteten, teils ihrem Spezialgebiet außerhalb der Schule nachgingen. Vor einigen Jahren dann wurde ihre Präsenzzeit in der Schule auf 40 Stunden erhöht. Wirklich geregelt war ihr Statut trotzdem nicht. Laut Entwurf sind Spezialisten künftig angehalten, 36 Stunden in der Schule zu sein, ihre Aufgaben werden präziser definiert. Das sorgt für Frust, einmal gewonnene Freiräume gibt niemand gerne ab.
Auch das Konzept der Mini-Unternehmen sollte in einem ersten Entwurf so geändert werden, dass sich die Jugendlichen nur in ein Unternehmen einschreiben, statt wie es bisher der Fall ist, in mehrere: Eine schulinterne Umfrage führte dann aber dazu, dass die Direktion die umstrittenen Pläne fallen ließ, nun sollen Schüler, bei 32 bis 34 Unterrichtsstunden insgesamt, während acht bis zehn an einem oder zwei Unternehmen teilnehmen können. Denn das macht für die Schüler den Reiz an dem Unternehmeransatz aus: dass sie ihre Interessen und Vorlieben entdecken und ausprobieren können.
Im Motivenbericht klingt das allerdings anders: Demnach sollen die Unternehmenseinheiten „plus proches encore de la réalité économique“ gestaltet sein. „L’expérience des élèves doit être positive. Les conditions doivent être telles qu’ils prennent envie de s’investir dans un développement économique menant à de meilleures conditions de vie“. Das klingt weniger nach humboldtschem Bildungsideal, sondern mehr nach einer Schule, die Handelskammer und Industriellenverband gut gefallen dürfte: „Les unités d’entreprise placent l’élève dans la nécessité de s’intégrer dans un processus de production existant et d’apprendre à y développer ses propres talents.“
Kein Wunder, dass sich da manch ein Schüler und manch eine Spezialistin verblüfft die Augen reibt und sich fragt, ob er oder sie noch an seiner geliebten Reform-Schule ist. Zumal, Frühjahrsputz verpflichtet, auch die notenfreie Bewertung schon bald der Vergangenheit angehören könnte: Im Gesetzentwurf sind neben Portfolio und Conseil de classe auch Noten vorgesehen. Die persönliche Projektarbeit eines Schülers (Mémoire), soll nicht mehr bei der Versetzung spielen. Dabei waren der Verzicht aufs klassische Bewertungssystem und eine kompetenzorientierte Evaluation das Alleinstellungsmerkmal des Lyzeums, das es aus dem nationalen Einerlei an Programmen und Benotung herausgehoben hat. Das Land hätte gerne mit der Direktion über die Motivation hinter dieser Abkehr von alten Grundsätzen gesprochen, leider war sie dazu bislang nicht bereit.
Vielleicht liegt es aber, wie so oft, am Geld: Das Lycée Ermesinde ist eine von drei Schulen, mit dem Erziehungsminister Claude Meisch (DP) und Staatssekretärin Francine Closener (LSAP) aus dem Wirtschaftsministerium Luxemburgs Schulangebot in Richtung Unternehmensschulen erweitern wollen, eine Idee, die ursprünglich aus dem Aktionsplan Unternehmertum 2020 der Brüsseler EU-Kommission stammt und die helfen soll, bei Europas Jugend unternehmerischen Geist und Risikofreude zu wecken. Eine Risikobereitschaft, die die Schulleitung offenbar selbst nicht immer hat. Sonst hätte sie sich sicher den Fragen einer Zeitung gestellt.