Es war ein europäisches Prestigeprojekt von Jean-Claude Juncker (CSV). Lange vor I-Pad-Pro und Future-Hub-Lyzeen war dem Premierminister dies ein Anliegen: Das unter einer blau-schwarzen Regierung eingeweihte Lycée Aline Mayrisch, kurz Laml, würde das erste Laptop-Lycée in Luxemburg sein. Es sollte aber noch eine Weile dauern, bis die ersten Laptops in hellen Klassenzimmern auf dem Geesseknäppchen standen, verkabelt, weil die liberale Schulministerin Anne Brasseur kein Risiko eingehen wollte und aus Sorge um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler auf Wifi zunächst lieber verzichtete.
Heute ist der Kabelsalat Vergangenheit und wer sich über Smartphone, Laptop oder I-Pad mit dem schulinternen Internet verbinden will, kann dies schnell und bequem über W-Lan tun. An Tischen nahe der Fensterfront zum Hof können Besucher Mädchen und Jungen in Pausen Diskussionen vertieft über Aufgaben sitzen sehen, bei denen auch Online-Medien.
Die digitalen Kompetenzen, im anglophonen Neusprech, Digital Skills genannt, sind zentraler Bestandteil des Lehrplans; die Schule ist technisch super ausgestattet: 1 290 Laptops sind im Umlauf, hundert I-Pads wurden ausgeteilt. Das Laml hat als Versuchs-Schule den I-Pad Pro im Kunstunterricht der 3e angewandt, mittlerweile ein Projekt der nationalen Programmkommission, das nun landesweit ausgedehnt wird (siehe Seite 24). Ein sechsköpfiger technischer Dienst kümmert sich um Instandhaltung, Ausrüstung und Entwicklung. Denn die Schule nutzt Lehrplattformen, die jedem Sekundarschüler und jedem Lehrer Zugang auf diverse Online-Tools erlauben. Sie können Fragen und Antworten, Hausaufgaben und Lesematerial hochladen und sich über die Plattform austauschen. Im Laufe der Jahre haben Laml-Lehrer gemeinsam mit dem technischen Dienst zahlreiche eigene technologische Optionen und Software getestet, verworfen oder verbessert.
„Ganz am Anfang gab es zum Laptop-Projekt skeptische Stimmen. Ich selbst habe damals auch gezögert“, erinnert sich Carole Chaine. Zu groß war die Sorge, Schüler könnten den Lehrkräften in technischen Dingen voraus sein und damit das herkömmliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler auf den Kopf stellen: „Im digitalen Klassenzimmer ist der Lehrer nicht der allwissende Wissensvermittler, sondern Lernbegleiter“, betont Carole Chaine. Digitale Hilfsmittel schafften mehr Zeit für das Wesentliche: Dank Lernvideos (Tutorials) und Applikationen zu Lernplattformen können Lehrer mit ihren Schüler im Netz kommunizieren und sie individueller fördern, anstatt nur Standardwissen zu vermitteln. Solche personalisierten Lernangebote funktionierten aber nur, „wenn Lehrer auch wissen, wie sie das Potenzial nutzen können“.
Die Direktorin, 51-jährige Nachfolgerin von Gaston Ternes, der Ende Januar in den Ruheverstand verabschiedet wurde, ist, wie sie es selbst ausdrückt, im Lycée Aline Mayrisch „groß geworden“. Sie gehörte zu den Pionierinnen, die damals in vielen Sitzungen am pädagogischen Konzept gefeilt haben und die dann die ersten Laptop-Klassen im Land unterrichten durften. Damals war Chaine noch als Kunstlehrerin aktiv.
Inzwischen ist der Computer fester Bestandteil im Schulalltag: Wer im Laml angenommen wird, wird in 7e, 6e und 5e mit zentralen Funktionen der Hardware sowie diversen Computer-Programmen vertraut gemacht, wenn er oder sie diese Fähigkeiten nicht schon mitbringt. Diese kann er sich mit dem European Computer Driving license zertifizieren lassen. Dabei geht es einerseits um das Vermitteln von Grundtechniken und die Anwendung im Unterricht von Programmen wie Excel oder Powerpoint, aber auch um das effiziente Nutzen von Suchmaschinen zur Recherche, Fragen zur Datensicherheit und zur Privatsphäre.
Für manche Lehrer bedeutete das eine Riesenumstellung: Nicht nur dass sie sich fehlende Computer-Fertigkeiten teilweise erst aneignen mussten (und weiterhin müssen), sondern weil damit neue Methoden einhergehen: Ein Unterricht, der digitale Medien nutzt, gestaltet sich anders als der klassische Frontalunterricht, den viele Lehrer selbst erlebt haben. Tipps, wie sie digitale Medien am besten einsetzen können, erhalten sie vom hauseigenen Medienteam, in Fortbildungen am Ifen, auf internen Schulungen oder während des Week-end pédagogique, während sich über Best practices ausgetauscht wird, oder auf Konferenzen.
Projektarbeit, wichtige Kompetenz in der Arbeitswelt von heute und morgen, wird im Lycée Aline Mayrisch ebenfalls groß geschrieben: Einmal im Jahr können Schüler während der Projektwoche Themen anders als im regulären Unterricht entdecken, dabei ist der Teamgedanke zentral. Jungen und Mädchen der 3e (künftig 2e) planen zusammen eine Studienreise, bereiten diese vor und organisieren sie weitgehend selbständig.
Die Neuankömmlinge der 7. Klasse werden außerdem dazu ermutigt, ein persönliches Projekt ihrer Wahl im Rahmen des Projet défi neben der regulärem Unterrichtszeit zu planen, zu entwickeln und umzusetzen. Das kann eine persönliche Vorliebe sein, eine Frage, die sie schon immer interessiert hat, ein handwerkliches Objekt oder das Einüben von einem Musikstück... Dabei lernen die Jugendlichen nicht nur planerische und methodische Fertigkeiten, sondern auch das Ergebnis vor anderen Mitschülern, Eltern und Lehrern zu präsentieren. „Ziel ist es, dass die Schüler erfahren, dass sie mit etwas Ausdauer selbst gesteckte, anspruchsvolle Ziele erreichen“, so Chaine.
Die Autonomie des Schülers, seine Interessen, aber auch seine Verantwortung in der Schulgemeinschaft hatte das Team um den vorigen Direktor Gaston Ternes der Schule ins Stammbuch geschrieben. Ein Erbe, das Carole Chaine bemüht ist, weiterzuführen. „Ein Projekt, aber auch ein Unternehmen, hängt meistens nicht an einer Einzelperson, sondern braucht ein funktionierendes Team. Auch eine konstruktive Streitkultur ist für die Schule und die Jugendlichen wichtig.“
Dass es dabei nicht um hippe Schlagwörter geht, zeigt sich an einer aktuellen Debatte: Vergangenen Frühjahr hatten Schüler der Medienoption eine Fake news produziert. Sie hatten behauptet, Direktor Ternes habe sämtliche Smartphones in der Schule verboten. Diese würden künftig jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn eingesammelt und in einer schwarzen Box weggeschlossen. Das Ganze wurde mit einem Video über die sozialen Netzwerke verbreitet. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Als die Mediengruppe die Nachricht als erfundenen Scherz enthüllten, war die Debatte losgetreten: Eltern schalteten sich ein, um die omnipräsente Rolle des Smartphones zu hinterfragen. Auf einer Veranstaltung machten jüngere Schüler klar, dass das Smartphone nicht mehr aus ihrem Alltag wegzudenken und fast so etwas, wie ein Statussymbol geworden sei. Ältere Schüler betonten dagegen die Risiken, die mit der Technologie verbunden sind. Am 28. April wollen Schüler, Lehrer und Eltern nun gemeinsam im Rahmen einer internen Podiumsdiskussion Vor- und Nachteile abwägen. Ziel ist es, Regeln im Umgang mit Smartphone und sozialen Medien zu finden, die von allen akzeptiert werden.
„Der partizipative Ansatz war prägend für die Entstehung unserer Schule und ist bis heute zentral geblieben“, betont Carole Chaine. Früh hatte sich die Schule ausländische ExpertInnen eingeladen, um darüber nachzudenken, wie Entscheidungen getroffen werden können, damit sie von der Schulgemeinschaft getragen werden und welche schulinternen Strukturen es dafür braucht. Als aktuelles Projet d’établissement unterzieht sich das Laml derzeit einer akribischen Evaluation, begleitet von einem ausländischen Experten, in der Schüler, Lehrer und Eltern zu zentralen Innovationen der Schule anonym befragt werden, um zu überprüfen, ob die selbstgesteckten Ziele erreicht werden. Für die Direktorin bedeutet Selbstevaluation „couragiert und ehrlich“ gegenüber sich selbst zu sein und bietet der Schule eine Chance, am kritischem Feedback zu wachsen und daraus zu lernen.
Eigenschaften, die sie sich auch für die Schüler für deren Zukunft wünscht: Des racines et des ailes, so lautet das Schulmotto. Chaine übersetzt dies angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für ihre Schüler so: Wurzeln, das seien das klassische Wissen und in der Schule gewonnene Kompetenzen, und die Flügel „der Transfer davon, um eigene Projekte zu entwickeln und die Persönlichkeit zu entfalten“. Dazu gehörten die Digital skills „als feste Größe dazu“. Ja, Luxemburg brauche qualifizierte Arbeitskräfte, die sich flexibel unterschiedlichen Herausforderungen stellen und kreativ Lösungen erbringen. Luxemburg brauche auch mehr Experten und Expertinnen, besonders in den Naturwissenschaften. „Aber wir müssen zunächst das Interesse wecken. Das ist etwas anderes, als einfach nach Lehrplan auszubilden. Lehrer müssen Schüler unterstützen, ihre Interessen zu finden und zu entwickeln“, betont die ehemalige Kunstlehrerin.