Belval: Vom Reißbrett in die Realität

Stadtleben

d'Lëtzebuerger Land du 27.02.2015

Winterliches Grau und Braun dominieren das Landschaftsbild im Park. Ein Großvater und sein Enkel machen einen Spaziergang. Viel Gesellschaft haben sie nicht an diesem Morgen – während der Karnevalsferien trifft sich Luxemburg lieber auf der Schipiste als auf dem Spielplatz um die Ecke. Dennoch gibt es Anzeichen dafür, dass Leben Einzug hält in Belval. Da ist das mittlerweile für jedes Wohnviertel in Luxemburg obligatorische Blutabnahmezentrum von Ketterthill. Da sind aber auch das Gartenmobiliar und die Spielsachen auf den Terrassen und Balkonen; Anzeichen dafür, dass die erste Grillparty der Saison steigen kann, sobald die Temperaturen es zulassen.

Zwischen 600 und 700 Einwohner zählt Belval-Nord mittlerweile. Dass dieses neue Dorf Teil des Masterplans von Belval ist und nicht nur eine Erweiterung von Belvaux, dürfte den wenigsten Nicht-Einheimischen bewusst sein. Denn von der Hochofenterrasse aus, um die das Einkaufszentrum Belval Plaza und die Rockhal gebaut wurden, kann man Belval-Nord nicht direkt sehen, obwohl das neue Wohnviertel keine 1,5 Kilometer weit entfernt ist. Dazwischen liegen: das provisorische, offene Parking-Gelände, das Konzertbesucher und Konsumenten passieren, wenn sie vom Kreisverkehr Raemerich nach Belval hineinfahren, und auf dem in den kommenden Jahren weitere Teile des Viertels Square Mile entstehen werden. So wie der acht Hektar große Park, der vergangenes Jahr fürs Publikum freigegeben wurde.

Innerhalb von vier Jahren hatte die Vermarktungsgesellschaft Agora 18 der insgesamt 21 Lose, in die Belval-Nord eingeteilt wurde, verkauft, sagt Robert Kocian von der Martketing-Abteilung nicht ohne Stolz. Für die verbleibenden Lose fehlt noch der Teilbebauungsplan. Dass die Grundstücke vergleichsweise schnell bebaut werden konnten, führt er auch auf die etwas unkonventionelle Zusammenarbeit mit den Bauträgern zurück. „Die mussten eine Vorstellung, eine Vision, davon haben, wie das in Zukunft aussehen könnte.“ Der Masterplan von 2002 sah zwei Gebäudeformen für die Wohneinheiten in Belval-Nord vor: Linien- und U-Formen, um gemeinschaftliche Innenhöfe, beziehungsweise eine öffentliche Grünfläche um die gebauten Strukturen herum zu schaffen. Auf Basis dieser Vorgaben lancierte Agora die öffentliche Ausschreibung – ohne dass es definitive Pläne gab. Die mussten die Promotoren selbst anfertigen lassen, unter Agora-Aufsicht. „Würden sich die Bauträger dafür interessieren? Vor fünfzehn Jahren war das nicht absehbar“, so Kocian. „Wir waren sehr erstaunt über den Andrang, wir hatten um die 20 Kandidaturen.“ Ein halbes Dutzend wurde davon zurückbehalten, mit dem die Agora weiterarbeitete. So ergibt sich heute ein Ensemble an Gebäudeeinheiten, die in der Form ähnlich sind und eine Mischung von Einfamilienhäusern und Apartments bieten.

Mit der Vorgabe einer Mindestfläche pro Wohneinheit wollte die Agora sicherstellen, dass nicht Studios entstünden, die für Bauträger finanziell am lukrativsten sind. Dass eine gemischte Bevölkerungstruktur entsteht, darauf legen die Planer besonderen Wert. Deshalb weist Kocian mit Nachdruck darauf hin, dass in Belval-Nord nicht nur das Centre intégré pour personnes agées (CIPA) der Gemeinde Sassenheim liegt, sondern auch das Studentenwohnheim der Fondation La Luxembourgeoise für 50 Studenten entsteht. Rentner, Studenten, junge Familien, junge Berufstätige – alle Nachbarn, die an der Wassertreppe entlang wohnen, einem künstlich angelegten Wasserlauf, der je nach Niederschlagsintensität viel oder wenig Wasser führt. Dahinter liegt der Park, zum Spielen, Joggen, Spazieren geeignet – hier treffen die Einwohner auf die Schüler des Lyzeums, die hier ihre Mittagspause verbringen oder zum Skaten kommen: So sieht das Belval aus, wie Robert Kocian es beschreibt. Die Studenten passieren das Gelände, um zur Uni, deren erste Abteilungen in den vergangenen Wochen umgezogen sind, oder um zum Supermarkt, ins Kino in Belval Plaza zu gehen. Die 4 000 Beschäftigen der Verwaltungen und Privatunternehmen, die jetzt schon in Belval in Bahnhofsnähe arbeiten, sollen ebenfalls den öffentlichen Park nutzen. „Das muss alles zusammen funktionieren“, unterstreicht Kocian. „Seit zehn Jahren fahren wir die gleiche Linie. Die gemischte Bevölkerungsstruktur war eine der Stärken des Masterplans. Wir haben damals nicht den einfachsten Weg gewählt. Aber so kann ein wirkliches Stadtleben entstehen. Heute versteht das jeder.“ Ein weiterer Anziehungspunkt für Einwohner, Studenten und Arbeitnehmer: das große Sportzentrum, das in den kommenden Jahren zwischen Square Mile und Lyzeum aus dem Boden gestampft werden soll. Wie es genau aussehen wird, ist noch nicht definiert. „Stellen Sie sich etwas in der Größenordnung der Coque vor.“

Dass es dermaßen viele Negativ-Schlagzeilen um Belval-Plaza gegeben hat, das Einkaufszentrum, in dem immer noch Geschäftslokale leer stehen und das mittlerweile der Bad Bank der nationalisierten niederländischen Bank SNS gehört, habe viel Schaden angerichtet. Dennoch – auf der Hochofenterrasse in der Avenue du Rock’n’Roll wohnen im Belval-Plaza-Komplex sowie im Feiersteppler-Gebäude, besser bekannt, weil sich darin das Hotel Ibis befindet, rund 700 Belvaler.

Auf der anderen Seite der Porte de France, in der Avenue du Swing, wohnen bereits jetzt 250 Studenten. Hier im Square Mile werden in den kommenden zwei Jahren weitere 400 Wohneinheiten für Studenten folgen. Rund 700 Studenten, Doktoranden und Post-Doktoranden werden dann in Belval wohnen. „Mit Beginn des akademischen Jahres 2015/2016 werden 2 000 Studenten in Belval zur Uni gehen“, sagt Kocian. „Unser Angebot wird die Nachfrage abdecken“, glaubt er, „Es wird da kein Defizit geben.“ Auch für Nicht-Studenten soll im Square Mile weiterer Wohnraum zwischen gewerblich genutzten Flächen entstehen, in den kommenden zwei Jahren werden 166 Wohneinheiten bezugsfertig.

Im gleichen Zeitraum sollen die letzten drei Lose in Belval-Nord bebaut werden, die rund 150 Wohnungen, beziehungsweise Einfamilienhäusern entsprechen. „Danach“, sagt Kocian, „fangen wir mit der Vermarktung von Belval-Süd an.“ Der Stadtteil Süd, jenseits des Lyzeums, soll künftig noch einmal so viele Bewohner zählen wie aktuell in ganz Belval wohnen. In 600 Wohneinheiten werden rund 1 500 neue Einwohner ein Zuhause finden. Zwischen 20 und 25 Prozent dieser Wohnungen sollen für Familien geeignet sein, sprich Einfamilienhäuser oder große Apartments. Die wenigen gewerblichen Flächen sollen Restaurants und auf die Einwohner zugeschnittenem Nahhandel zur Verfügung gestellt werden. „Ich habe keine Angst“, sagt Robert Kocian. Um den Verkauf und die Nutzung der verbleibenden Grundstücke in der Square Mile und in Belval-Süd macht er sich keine Sorgen. „Wir haben vor 15 Jahren angefangen. Das erste Gebäude, die Bil (heute RBC) wurde 2006 geliefert. Neun Jahre später wohnen hier 1 400 Menschen, 200 Firmen haben eine Niederlassung und die Uni kommt. Wenn wir ehrlich sind, hat daran kaum jemand geglaubt, als wir das Projekt gestartet haben.“

Michèle Sinner
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