Eine Geschichte aus dem Oesling

Der Himmel auf Erden

d'Lëtzebuerger Land du 21.12.2012

Der Bauer klopft dem Mann auf die Schulter und sagt „Du“ zu ihm. Er ist sehr zufrieden mit dem Mann, der allerhand Tolles in sein Haus baut. Zum Beispiel eine Toilette und ein Badezimmer, und jede Menge fröhlicher Fliesen legt er. Die Arbeit braucht der Bauer nicht zu bezahlen, denn der Mann gestaltet sein eigenes Heim, das zwar nicht sein Eigenheim ist. Er ist mit Weib und Kind in das Haus ohne Toilette und ohne Bad gezogen, aber das ist ja alles keine Affäre, ich bitte Sie. Die Frau, die eine Aborigenee ist, ist auf den exotischen Gedanken gekommen, nach Jahren in der Fremde in ein Gebiet zu ziehen, das sie mit Wurzeln assoziiert und mit einer Sprache, die aus dem Bauch kommt. Vielleicht ist an all diesen Wurzelgeschichten die Schwangerschaft schuld. Außerdem will sie ihrem Kind Kühe zeigen statt Autos. Das zweite Wort, das das Kind spricht, ist „Traktor.“

Der Mann ist ein Ausländer. Seine Hautfarbe ist zwar die richtige, nämlich keine. Er gehört aber nicht dem richtigen Wirtschaftsraum an, und auf dem Nummernschild steht ein Buchstabe, den nicht alle auf Anhieb erkennen. Das stört den Bauern wenig, weil er eine Toilette bekommt, und andere märchenhafte Dinge, und Miete kriegt er auch. Die Frau zeigt dem Kind Kühe und wallt durch Weizenfelder. Sie erzählt der Bäuerin, die sich sehr für sie interessiert, kleine, lustige Geschichten aus ihrer Vergangenheit. Der Bauer und die Bäuerin wohnen gegenüber. Das ist hierzulande so. Wenn ein Bauer ein Haus vermietet, in dem er nicht wohnt, wohnt er meistens gegenüber. So können Bauer und Bäuerin jederzeit jede Menge guter Tipps geben. Mann und Frau freuen sich, ein Dach über dem Kopf und dem Rest des Körpers zu haben, Wände auch noch dazu. Da sie nicht über Zaubermittel, trivial Geld genannt, verfügen, und auch keine Familie aufweisen können, in denen einer eine Krone trägt oder wenigstens im nächsten Ort in der Sparkasse arbeitet, können sie von Glück reden. Auch, wo der Mann am zweiten Tag seiner Ankunft eine Arbeit findet, die sogar bezahlt ist. Die Frau geht mit dem Kind spazieren, zeigt auf eine Kuh und benennt sie in der Sprache, die aus dem Bauch kommt.

In der Altstadt, in der die Frau gern gewohnt hätte, auch ohne Kühe, wollte ihnen der Besitzer der Altstadt, der mitten in der Altstadt in einem herrschaftlichen Haus residiert, absolut kein Quartier vermieten. Die Frau hat nicht die richtige Nationalität. Sie ist eine von hier, und so einer vermiete man so was nicht. Das wäre nur was für Portugiesen, sagte der Altstadtbesitzer.

Die Bauern im hohen Norden sind ebenfalls kompliziert. Das Haus, das meistens schon ein bisschen windschief, aber dafür poetisch herum steht, ist für den Sohn. Der wird sicher bald heiraten. Diese fromme Hoffnung ist den Bauern nicht auszutreiben. Oder es ist für das Heu, die Pferde, die Kühe, die Mistkäfer. Oder für die Portugiesen. Keinesfalls für eine Dahergelaufene aus der Stadt, die nicht mal einen Onkel im Gemeinderat hat. Oder sonst einen nützlichen Menschen aus dem Hut zaubert.

Deswegen freuen sich Mann und Frau sehr, wie sie in dem bescheidenen Häuschen gegenüber vom Bauern einziehen. Die Frau rupft fleißig Unkräutlein im Garten. Sie holt täglich Milch bei der Bäuerin, die ihr Kind „Kenni“ nennt und immer eine „Béini“ für das Kind hat. Manchmal kotzt sie ein wenig, weil sie schwanger ist. Die Wiege wird sie unter einen knorrigen Baum stellen im nächsten Jahr, und sicher werden sich die Dorfbewohner, die so interessiert hinter ihren Gardinen oder hinter den Stalltüren hervor lugen, sehr darüber freuen, dass es einen funkelnagelneuen Menschen in ihrem Dorf gibt.

Eines schönen Tages läuten die Glocken vom nahen Kirchlein. Eine Schar von frommen Schafen wackelt gerade an ihrem Küchenfenster vorbei, an dem sie am schieferschwarzen authentischen Spülstein steht und heiter abwäscht. Ein kleiner Bus hält, der seltsame Assoziationen in ihr weckt, und Männer, die nicht wie Freunde ausschauen, betreten das Haus. Kurze Zeit später verlassen sie es. Sie haben ihren Mann dabei, der seltsam ausschaut. Er trägt eine Jogginghose, Badepantoffeln, und Handschellen. Die frommen Schafe leiden unter schweren, motorischen Störungen und kommen nur noch im Schneckentempo vom Fleck, obschon das Glöckchen sich das Herz aus dem Leibe bimmelt. Das Kind sagt „Papa“, sehr oft, und hängt am Zipfel einer unsichtbaren Schürze.

Der Bauer steht in der Küche, anstatt seine Glatze vor dem Herrn zu beugen. Er redet sie mit „Sie“ an. Er meint, in zwei Wochen müsse das Haus geräumt sein. Und das habe er nun davon. Weil er so ein Guter sei. Wenn man Ausländer rein lässt. Immer Drogengeschichten. Und nein, nicht drei Monate. Sie hätten ja gar keinen Kontrakt. Den haben sie ja vor lauter Geduze und Schultergeklopfe und fröhlichen Fliesen ganz vergessen. Der Bauer sagt, wenn sie nicht verschwinden würden, würde der Bürgermeister andauernd die Reifen seines Traktors kontrollieren lassen. Keines seiner Kinder bekäme je eine Arbeit bei der Gemeinde. Da könne er gleich einpacken.

Den Mann bringen die Polizisten einfach über die Grenze und lassen ihn dort laufen oder stehen. Wie ein eingefangenes Tier, das man in der Wildnis wieder aussetzt. Er ist ein unerwünschter Ausländer aus dem falschen Ausland und deswegen sofort auszuweisen. Er hat ohne Aufenthaltsgenehmigung gearbeitet, was streng verboten ist. Der Brotgeber gibt ihm natürlich ab jetzt kein Brot mehr. Zwar haben die Frau und der Mann schon längst Papiere angefragt, damit sie den Bund der Ehe eingehen können. Aber bis man diesen Bund eingehen kann, kann es dauern. Da liegen tausend Kilometer und viele Wochen, wenn nicht Monate zwischen den Ämtern.

Der Mann spaziert in Jogginghose und Badepantoffeln in ein Hotel jenseits der Sauer. Die Frau lässt sich über die Grenze chauffieren und sie verbringt eine romantische Nacht dort mit dem Flüchtling, dem Illegalen. Dann lebt er als U-Boot getarnt bei Flüchtlingshelfern. Viele Wochen später, die Herbstzeitlosen sind schon mausetot und die Kühe eingesperrt, heiraten sie morgens um acht im umnebelten Gemeindeamt. Für diese Tat gibt es keine Zeugen. Der mächtige Bürgermeister stellt ihnen indiskrete Fragen. Sie sagen einfach Ja, es ist sicher besser. Das Kind bekommt einen Keks, die Eltern wollen sie mit Alkohol betäuben, was diese ablehnen. Die Frau verlässt das Gemeindeamt mit einem Geschenk. Es ist ein Buch. Nicht von der Köchin-Ikone Kettty Thull und auch nicht von Adolf Hitler, von dem ihre Eltern zur Hochzeit ein berühmtes Buch bekamen. Ein Bildband mit Bildern aus dem Norden. Heidelandschaften, Weizenfelder, malerische Städtchen. Es fällt schon auf der Treppe des Gemeindeamtes auseinander.

Frisch vermählt, steht ihrem Glück in der Heimat der heimatbesessenen Frau nichts mehr im Wege. Nahe der höchsten Stelle des Landes, wo sogar Napoleon einen Garten hat, entdecken sie im Nebel eine barbarische Festung, die aus allen Wolken gefallen ist. Mit der Bäuerin, die die Barbarenfestung im Nichts besitzt, werden sie bald handelseins. Ihre Kühe stehen sowieso in einem Teil der Festung, und bis einer ihrer Söhne heiraten wird, kann es dauern. Es handelt sich um eine realistische Bäuerin. Und sie müssen auch keinen extrem langen Namen mit extrem vielen Vokalen haben. So ziehen Mann, Frau und jetzt schon zwei Kinder in die Festung, die zwar schon an manchen Ecken ein bisschen krümelig ist.

Hier gibt es nicht viel. Außer Himmel, in den man, entrez, einteten kann, gratis auch noch.

Hier im Himmel wohnen ja deshalb nur ganz wenig Menschen. Wer hält schon so viel Himmel aus. Niemand stellt Fragen, die Kühe glotzen aus ihren heiligen Augen, die Schneegänse sind pünktlich. Es wächst nicht all zu viel, was einen hätte verwirren können. Deshalb freut sich die Frau über alles. Sie nennt jede Brennnessel beim Vornamen, bevor sie sie rupft für die blutreinigende Suppe. Sie köpft Löwenzähne, die sie ohne Federlesens in einen güldenen, glühenden Brei verwandelt.

Es gibt ja auch nur ein paar Häuser, die manierlich von einander Abstand halten. Ein paar alte Frauen, die ihr mit Gewächsen aus ihrem Garten zuwedeln und sich freuen, zu jemand „es ist kalt“ oder „es ist warm“ zu sagen. Mehr fällt ihnen aber nicht ein. Traktorbauern rattern wie autistische Könige der Landstraße über dieselbe und schauen einfach über sie und ihre Knirpse hinweg.

Ein paar Holländer sind der Natur hier nah und wohnen in naturnahen Häusern, in denen sie aber nicht dauernd irgend etwas hacken oder köpfen müssen, sondern melancholisch in Kaminfeuer starren. Eine belgische Familie lebt in einem authentisch renovierten Haus mit nackten Steinen. Die fünf Kinder gänsemarschieren hintereinander hinter einer Gouvernante, die wahrscheinlich Au-pair-Mädchen genannt wird. Die Eltern, die das Geld für das nackte Haus anschaffen müssen, sieht man nie.

Eine Frau ist noch in ein Haus gezogen, in dem ab jetzt gehämmert wird, und es auch passende, naturnahe, authentische Fensterflügel und Türstöcke geben wird, Hund und Kräutlein vor der Tür. Und Männlein vielleicht auch bald hinter Schloss und Riegel.

Die Nachbarin fegt wie eine Verdammte, vielleicht ist sie in der Zwischenwelt gefangen, im Fegefeuer, die schieferschwarzen Treppen täglich, stündlich, ewig.

Sonst noch ein paar vereinsamte Gekreuzigte in Kapellen, oder huldvolle Damen in verblichenen Gewändern, die sie den Kindern als Muttergottes vorstellt.

Jeden Morgen oder Mittag oder Abend tuckert der Mann, der jetzt nachweislich ihr gehört, in der alten Ente in einen unwirtlichen Ort, in dem Stacheldraht produziert wird. Er produziert ein paar Jahre lang am Morgen, am Mittag, sogar in der Nacht Stacheldraht. Immer wieder plumpsen tonnenschwere Stacheldrahtballen neben ihm aus dem Himmel, und immer erwischt es ihn beinahe. Leider ist er ein Ausländer ohne andere, passende Ausländer, was sein Los, das ihm mittlerweile als Niete erscheint, erschwert. Die anderen Ausländer sind nicht allein, sie haben einander, auch wenn ihnen manchmal Finger oder Zehen fehlen. Ein paar heißen Jesus.

Nach einigen Jahren pfeift er auf den Himmel, in dem er ein Ausländer ist und fährt in sein Ausland zurück. Er mietet eine Maikäferschachtel und wartet darauf, dass die Frau die Nase voll von Himmel und Erde hat.

Sie zieht noch eine schöne lange Weile mit den Kindern an den Wiesen mit den Kühen entlang, unter den Wolkenkühen. Sie hackt auf Holz rum in extrem kalten Wintern und kratzt in der Erde rum. Ufos schimmern lila in der saftigen Erde, leider sind es raupenzerfressene Kohlstrünke. Die Erde ist sicher gut, fleißige, fette Regenwürmer beackern sie unermüdlich und ohne Dank. Dennoch wollen die verstopften Ofenrohre nicht ineinanderpassen. Gegen den Hunger in der Welt, gegen den sie mit in Geschirrtüchern vor sich hin gärender Sauermilch und Riesenrettichen, die sie zu ihrem Erstaunen aus dem Schoß von Mutter Erde birgt, nicht ankommt, kommt ein kleiner Bus mit einem Kinderladen und einem Bilderbuchbäcker vors Tor gefahren. Es gibt Brot und Dosen, und sie freut sich und der Bäcker freut sich, weil sie ihm recht viel Geld überreichte. Sie hat kein Auto.

Das ist allerdings ein Grund, aus dem Himmel auszuwandern.

Michèle Thoma
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