Kinderrechte

Kinder, Kinder

d'Lëtzebuerger Land du 12.11.2009

Nach dem Mauerfall begeht die Welt in diesen Tagen ein weiteres Jubiläum: Am 20. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention. Anlass also für Familienministerium, Universität und Fachwelt eine Campagne des droits de l‘enfant zu organisieren. Von Erziehungstipps für ratlose Eltern, über Konferenzen zu Scheidungskindern bis hin zu Empowerment-Projekten reicht das Angebot.

Die pralle Programm kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine wesentliche Ursache für die Missachtung von Kinderrechten weitgehend ausgeblendet wird: die Armut. Je nach Rechenart liegt das Armutsrisiko für Kinder bis 17 Jahre in Luxemburg bei 14 Prozent, und damit in einem der reichsten Länder der Welt über dem EU-Durchschnitt. Fakt ist aber auch: Es ist die Armut der Eltern, die entscheidend dazu beiträgt, dass Kinder sich nicht entsprechend ihren Fähigkeiten entwickeln, sie vernachlässigt und ausgeschlossen werden. In Luxemburg fehlen Daten über den sozialen Hintergrund der Nutznießer von Erziehungshilfen. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass diejenigen, die Hilfe in Anspruch nehmen, überwiegend aus defavorisierten Verhältnissen kommen. 

Das neue Jugendhilfegesetz garantiert das Recht, Hilfe anzufragen, als eine weitere Errungenschaft sieht es die Partizipation der betroffenen Eltern und Kinder vor. Partizipation ist jedoch mehr als zu entscheiden, ob man einer Erziehungshilfe zustimmt oder sie ablehnt. Beteiligung setzt voraus, dass Kinder und ihre Eltern eine reelle Chance haben, überhaupt an der Gesellschaft teilzunehmen. Die Vertragsstaaten „unterstützen die Eltern und den Vormund in angemessener Weise bei der Erfüllung ihrer Aufgabe, das Kind zu erziehen“, schreibt die UN-Kinderrechtskonvention in Artikel 18 über die Verantwortung fürs Kindeswohl. Das Jugend- und Familienhilfegesetz ist in dem Sinne subsidiär. Es bietet Hilfe, wenn Familien es alleine nicht mehr schaffen, leider oft erst dann, wenn das Kind in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen ist. 

Für eine Wohnung und für ein ausreichendes Einkommen, von der eine Familie gut leben kann, sorgt das Gesetz nicht. Wenn nun, in Zeiten der Wirtschaftskrise und der steigenden Arbeitslosigkeit, ausgerechnet Wohlfahrtsorganisationen wie die Caritas der Ausdehnung des Niedriglohnsektors und Kombilöhnen das Wort reden, ist das kontraproduktiv und klingt wie eine zynische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme: Dann würden künftig noch mehr Menschen für einen Lohn arbeiten müssen, der kaum zum Leben reicht, und die dann auf die Unterstützung von Staat und Wohlfahrt angewiesen sind. Ein Missverständnis, oder ist die Sozialarbeit einem alten Irrglauben aufgesessen? Dass nämlich die Arbeitslosen selbst schuld seien an ihrer Misere, und sie schon eine Arbeit finden, wenn sie sich nur genügend engagieren. 

Stattdessen übt man sich in Flickschusterei. Neuester Ansatzpunkt ist die Frühförderung, die sozialen Ungleichheiten ausgleichen helfen soll. Aber tut sie das wirklich? Oder verfestigen Maisons relais am Ende gar die gesellschaftliche Ungleichheit? Wer es sich leisten kann, engagiert eine Tagesbetreuung. Die anderen schicken ihre Kinder in überfüllte Einrichtungen, deren Personal immer schlechter ausgebildet ist. Der Trend lässt sich derzeit beim deutschen Nachbarn beobachten. Ob er auch hierzulande Realität werden wird, hängt nicht zuletzt davon ab, inwiefern es gelingt, die Ursachen von Kinderrechtsverletzungen ehrlich zu benennen – und zu bekämpfen. Im Programm der Kinderrechtskampagne taucht das Thema Kinderarmut nicht auf.

Ines Kurschat
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