Hausbesetzer in Clausen

Ich hab (k)ein Haus ...

d'Lëtzebuerger Land du 11.06.2009

Wann dir eis net hëlleft, dann hëllefe mir eis selwer, hat jemand in krakeligen Buchstaben auf ein Leinentuch geschrieben. „Eat the rich“ heißt ein Graffiti, das die bröckelige Hausfassade in der Allée Pierre de Mansfeld ziert. Fast ein Monat ist es her, dass ein Dutzend wohnungsloser jugendlicher Punks das baufällige Anwesen in Clausen besetzt haben, weil sie, wie sie selbst sagen, „die horrenden Mieten in Luxemburg“ nicht bezahlen können. Ironischerweise sollte wenig später die alte CSV-LSAP-Regierung zu ihrer vorletzten Ratssitzung zusammenkommen. Auf der Tagesordnung: zwei wohnungspolitische großherzogliche Reglements. Die Minister erhöh­ten die Prämie für Sanierungsarbeiten an Altbauten, die künftig 40 statt bisher 30 Prozent der Gesamtrechnung ausmachen sollen. Die Prämien-Obergrenze wurde auf 10 000 Euro erhöht.

Den wohnungslosen Jugendlichen aus dem Mansfeld-Haus bringen die eigentümerfreundlichen Maßnahmen freilich gar nichts. Die meisten haben keine feste Arbeit, geschweige denn ein Haus. Zwei von ihnen schlagen sich mit Behelfsjobs durchs Leben, einer geht zur Schule. Ein anderer hat die Schule abgebrochen. „Als ich noch eine Lehrstelle hatte, habe ich über die Hälfte meines Lohns für Miete ausgegeben“, erinnert sich H. Der 20-Jährige wohnt schon länger nicht mehr daheim. „Stress mit den Eltern“, sagt er achselzuckend. Gemeinsam mit seinen Kumpels habe er das Haus besetzt, „um auf die Notlage vieler Jugendlicher aufmerksam zu machen“. 

Das war auch die Botschaft der Demo am Freitag vor den Landeswahlen. Das Do-it-yourself-Transparent vor sich her tragend, zogen die Besetzer zum Rathaus, begleitet von rund 30 befreundeten Punks, Schülern und einigen Linken. Sogar Parteiprominenz war da: Janine Frisch und Guy Foetz von déi Lénk unterstützen die Forderungen der  Jugendlichen. Sie habe schon vor Jahren die Gemeindeführung aufgefordert, endlich eine Liste aller leer stehenden Wohnun­gen zu erstellen, so Frisch. Viel Konkretes brachte der Protest nicht. Sozialschöffe und Jugendfreund Xavier Bettel (DP) hörte sich freundlich die Nöte an und lud die bunten Gestalten zu einem weiteren Gespräch am Mittwoch nach den Wahlen ein. Man kennt sich von früher: Im September 2007 hatten sich wohnungslose Jugendliche erstmals geschlossen an die Stadt gewandt mit der Forderung, ihnen ein Dach überm Kopf zu besorgen. „Aber außer Papierkram und leeren Versprechungen ist nichts passiert“, empört sich einer.

Die Version, die die Stadt zwei Wochen nach der Besetzung via Pressemitteilung verbreiten lässt, ist eine andere: Man war bereit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, und sei es noch. Aber um ein Jugendhaus zu gründen, gebe es Spielregeln, heißt es auf Land-Nachfrage. Unter anderem verlangt die Stadt einen Ansprechpartner, so dass man die Jugendlichen aufgefordert habe, einen gemeinnützigen Verein zu gründen. Die Statuten, die die Gruppe anschließend vorgelegt hätte, seien aber „voller falscher Angaben“ gewesen. Danach hätten die Jugendlichen das Gespräch abgebrochen. Seit dem fragwürdigen Einsatz der Polizei, die den Hausbesetzern einen Besuch abstattete, ihnen rabiat Stromleitungen kappte, ist der Kontakt wieder hergestellt. Déi Lénk hatte der Stadt vorgeworfen, die Ordnungshüter losgeschickt zu haben. Tatsächlich aber hatten diese sich selbst ermächtigt. Eine Klage seitens der Stadt oder des Besitzers, eine Immobiliengesellschaft, die den rabiaten Einsatz gerechtfertigt hätte, gab es nicht. Ein merkwürdiges Verständnis von „Präventivkon­trolle“, das aber weder bei der Opposition noch bei den Stadt-oberen für viel Empörung sorgte.

Das unrechtmäßige Vorgehen der Polizei und das Rechtfertigungsschreiben der Stadt offenbart vor allem zweierlei: die Hilflosigkeit der Gemeinde beziehungsweise des Staates im Umgang mit den Hausbesetzern – und die politische Brisanz der Do-it-yourself-Aktion. Zumal vor den Wahlen. Sicher, fundierte Kapitalismuskritik formulieren die Hausbesetzer keine. Es sind keine Studenten der Macaq*, die in Clausen zusammen mit ihren Hunden hausen. Das Problem der Wohnungsnot bei Jugendlichen aber ist virulent und keineswegs neu, ebenso wenig wie der Leerstand vieler alter Häuser, deren Besitzer die Kosten einer Sanierung scheuen. Aber sie deshalb besetzen? Da könnte ja jeder kommen! Schon vor Jahren mahnten Streetworker der Caritas, sie müssten bis zu einem halben Jahr auf Wohnplätze für volljährige wohnungslose Jugendliche warten. Für eine Krisenintervention sei das viel zu lange. Ein von der Wunnengshëllef ebenfalls seit Jahren gefordertes „Jugendrelais“ hat das Familienministerium inzwischen geneh-migt. Aber wegen der Wirtschaftskrise ist die Finanzierung nicht ganz sicher, zudem richtet sich das niedrigschwellige Wohnprojekt zuallererst an minderjährige Trebegänger. Und sieht ei­ne sozial-pädagogische Betreuung vor. 

Bevormundende Sozialarbeiter  und diktierte Regeln sind aber das Letzte, was sich die Punks aus dem Mansfeld-Haus wünschen. Auch wenn unübersehbar ist, dass die meisten nicht ohne Weiteres eine Wohnung und Arbeit finden werden, bedeutet das nicht, dass sie deshalb Hilfe wollen. Ein, zwei lehnen Einmischung klar ab. „Wir wollen ein Jugendzentrum, in dem wir selbst bestimmen, wie wir leben wollen“, betont einer und verweist auf Vorbilder im Ausland. Im März besetzten junge „Autonome“ in Dresden friedlich ein leeres Haus, das sie mittels „Ateliers, Proberäumen und Wohnungen zu neuem Leben erwecken“ wollten, meldete die linsalternative News-Plattform indymedia.de. In Berlin, das eine lange Tradition von Hausbesetzungen hat, gelang es Besetzern nach monatelangen Verhandlungen mit der Stadt, bezahlbare Mieten durchzusetzen.

Das Mansfeld-Haus soll nächste Woche abgerissen werden, aber Berliner Lösungen sind in Luxemburg noch aus anderen Gründen völlig unrealistisch: Um wirklich politischen Druck zu erzeugen, sind die Hand voll Hausbesetzer einfach zu wenig. Und in Anbetracht der Wohnraumknappheit dürfte sich kaum ein Eigentümer finden, der bereit wäre, seine Wohnung weit unter dem Marktpreis anzubieten. Nach dazu an Punks mit Hunden. Wenn sich schon der Staat schwer damit tut, zahlungswillige Erwachsene mit Wohnraum zu versorgen, wird es für Jugendliche mit kleinem Geldbeutel ganz eng. In der staatlichen Wohnungspolitik tauchen sie ohnehin kaum auf. Wer sich, wie viele Jugendlichen, über Internet informieren will und bei google.lu die Stichwörter „jeunes“ und „logement“ eintippt, bekommt als Treffer eine Wohnungsagentur – in Frankreich. Die gleiche Suche für Luxemburg führt zur Sparkasse, die mit dem Slogan „Envie de devenir propriétaire“ für Immobilienkredite wirbt.

Da freut sich Wohnungsbauminister Fernand Boden (CSV), der auf der Ministeriums-Homepage empfiehlt: „D’Zënse waren nach ni esou niddereg wéi haut.“ Wie so oft hat er vor allem den potenziellen Eigentümer im Auge. Schlaue Leute tippen jeunesse.lu ein und stoßen auf die Jugendplattform youth.lu, die lauter interessante Angebote und Organisationen, von Arbeit bis Sport, für junge Leute auflistet. Nur zum Thema Wohnung herrscht gähnende Leere. Auch dem Jugenddienst der Hauptstadt fallen dazu nur Jugendherberge und Jugendhäuser ein, wo sich Minderjährige unter Aufsicht von Sozialarbeitern treffen können. Für die Punks vom Mansfeld-Haus ist das nichts: „Da sind nur Teenager, und wohnen können wir da auch nicht“, sagt M.

„We were left wondering where young people live when they leave home, whether in their teenage years, or in their early 20s“, rätselten vom Europarat ernannte Jugendforscher bei ihrem Besuch im Großherzogtum 2002. Im anschließenden Länderbericht steht über Luxemburg: „The housing and welfare needs of young people are under-recognised“. Seitdem wurden zwar weitere Wohnstrukturen geschaffen, Initiativen wie die „Villa“ in Bonneweg mit Hilfe der Wunnengshëllef ins Leben gerufen, und auch das Studentenwerk der Uni Luxemburg konnte weitere Wohnun­gen gewinnen. Aber die sind Studierenden vorbehalten. Auch die „Villa“ nimmt nur Schüler auf, die sich verpflichten, unter der Aufsicht von Erziehern ihre Schulausbildung zu beenden. Leer gehen die aus, die sich, aus welchen Gründen auch immer, keine eigene Wohnung zu Marktpreisen von 650 Euro aufwärts leisten können und trotzdem nicht bei den Eltern wohnen wollen.

Als das Centre d’études sur la situation des jeunes en Europe 876 hauptstädtische Jugendliche für die Studie Die Jugend der Stadt Luxemburg. Lebenslagen, Wertorientierungen, Freizeitmuster und Probleme zu ihrem Wohnverhalten befragten, stellte es fest, dass 98 Prozent der 15- bis 18-Jährigen noch beim Vater und/oder der Mutter wohnten, bei den 18- bis 21-Jährigen waren es 93 Prozent. Selbst bei den 22- bis 25-Jährigen war es mit der Eigenständigkeit nicht sehr weit: Fast 80 Prozent der Befragten wohnten noch bei ihren Eltern, obwohl sich ein Großteil in der Berufsausbildung befand oder arbeitete. Ob und welche Jugendliche wirklich lieber im „Hotel Mama“ wohnen, weiß niemand: Es fehlen entsprechende Befragungen. Die Politik geht aber davon aus.

Dass das so pauschal nicht zutrifft, daran erinnern die Luxemburger Hausbesetzern. Und das nicht, weil, wie einige Stadtverantwortliche glauben machen wollen, ihnen das so von „den Linken“ eingeflüstert worden sei. Auch wenn Politik nicht ihr Hauptanliegen ist und ihr Protest vielleicht ein wenig gutgläubig daher kommt, meinen sie es mit ihrer Ak-tion bierernst. „Selbstverständlich“ wer­de er die Sorgen der Jugendlichen ernst nehmen, betonte Bettel nach einer Unterredung mit dem Hausbesetzern am Mittwoch dieser Woche. Er sei „für den Dialog, aber nicht für Geschenke“. Im Klartext: Wenn die Jugendliche Unterstützung durch die Stadt wollen, werden sie Auflagen zu erfüllen haben.

Laut ihrem Rechtsanwalt sollen die Jugendlichen bis nächste Woche ein Konzept erarbeiten, was sie sich für ein Projekt vorstellen. Im Gegenzug werde sich die Stadt vielleicht um ein Gebäude bemühen. Schnelle Lösun­gen sind aber nicht in Sicht. Als „Kompromiss“ müssten die Jugendlichen wohl eine Begleitung durch einen Sozialarbeiter akzeptieren und sich bei der Arbeitssuche unterstützen lassen. Klassische sozialpädagogische Intervention eben, und individuelle Lösun­gen. Die den Vorteil haben, von dem dahinter liegenden Dauerproblem Wohnungsnot und ungleich verteiltem Wohnraum sowie der politischen Verantwortlichkeit abzulenken.Die Besetzer sind grundsätzlich gesprächsbereit, bleiben aber skeptisch. „Leere Worte hatten wir schon genug.“ Vor allem wollen sie so viel wie möglich selbst bestimmen. Die Zeit drängt, denn spätestens im Winter wird es zu kalt, um draußen schlafen und noch ist völlig unklar, wo die Jugendlichen nach dem Abriss des Manfelds-Hauses bleiben sollen. Die Erwachsenen-Obdachlosenunterkunft Foyer Ullysse kommt für sie nicht in Frage: Weil Hunde draußen bleiben müssen und „weil wir mit Junkies nichts am Hut haben“. Wenn alles nichts hilft, bleibt die gute alte Punker-Attitüde: „Dann besetzen wir eben ein anderes leeres Haus!“ Davon gibt es ja genügend.

* Aktivisten der französischen Initiative Macaq besetzten in Paris wiederholt Häuser, um auf die Wohnungsnot von Studenten und auf Mietpreisspekulationen aufmerksam zu machen

Ines Kurschat
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