Ein von CSV und LSAP gleichermaßen verdrängtes Wort

Pafen

d'Lëtzebuerger Land du 21.12.2018

Bei den Kammerwahlen im Oktober war Mike Hansen der Einstieg in die Landespolitik misslungen: Er war Drittletzter der LSAP im Süden geworden. Mike Hansen ist Angestellter der Universitätsverwaltung in Belval. Er ist auch LSAP-Stadtrat in Esch-Alzette, wo seine Partei vergangenes Jahr eine demütigende Niederlage erlebte.

Völlig unerwartet machte Mike Hansen am 4. Dezember doch noch einen Augenblick lang Landespolitik. Ein außerordentlicher LSAP-Parteitag im tristen Centre Barblé in Strassen sollte die Fortsetzung der Koalition mit DP und Grünen gutheißen. Dort hatte Mike Hansen zu den anderthalb Dutzend Delegierten gehört, die sich zu Wort gemeldet hatten. Einen riesigen Weihnachtsbaum zu seiner Linken, hatte er am „Buarbelendag“, dem Feiertag der Bergleute, für eine erneute Allianz mit den Liberalen gegen die klerikale Rechte plädiert und Parteigründer Dr. Welter zu seinem Zeugen angerufen. Das Koalitionsabkommen und das Postengerangel in der Partei habe ihn zwar alles andere als begeistert: „Mä, Genossinen a Genossen, wéi de Jang géif soen: merde alors! Et ass eis historesch verdammte Flicht a Chance, fir d’Pafen eng zweete Kéier hannereneen an d’Oppositioun ze schécken.“

Das hielt der Kongress für ein überzeugendes Argument und applaudierte. Die kurze Rückkehr der kraftvollen Bezeichnung Pafen für den langjährigen Koalitionspartner quittierten viele der seit Tagen verwirrten und verunsicherten Delegierten mit einem befreienden Lachen. In geschlossenen Parteiversammlungen geht noch manchmal die Rede von den Pafen. Doch von öffentlichen Kongressen ist der Ausdruck ebenso verbannt wie die Vorstellung, dass die Partei eine historische Pflicht zu erfüllen habe. Deshalb klang Pafen nun ein wenig wie eine lang ersehnte Revanche an der großen Wahlverliererin, der seit Jahrzehnten die Politik dominierenden CSV.

Paf Paf, das über das mittelhochdeutsche phaffe und das althochdeutsche pfaffo über das gotische papa auf das griechische papás, Kleriker, zurückgeht, ist eine geläufige Bezeichnung für katholische Priester, die sich jahrhundertelang selbst so nannten. Im 12. Jahrhundert stellt sich der Dichter des Rolandlieds am Ende vor: „Ich heiße der phaffe Chunrat“. Davon zeugen auch Ortsbezeichnungen wie der hauptstädtische Vorort Pafendall oder die Pafemillen bei Ulflingen.

Da der Klerus zu den reichsten Feudalherrn gehörte und einen Lebenswandel predigte, den er selbst nicht führte, wurde Paf zunehmend abschätzig gebraucht. In Deutschland wurde Pfaffe vor allem während der Reformation zum Schimpfwort, das die Ignoranz des niederen Klerus und den Ablasshandel, den Ämterkauf und die sittliche Verkommenheit des hohen Klerus kritisierte.

Polizeikommissar Jean-François Gangler schrieb im ersten Luxemburger Wörterbuch, dem Lexikon der Luxemburger Umgangssprache von 1847: „Pâf, pl. -en, m., der Pfaffe, entstanden aus dem griech. papas, Vater, war ursprünglich in der katholischen Kirche der Ehrenname eines jeden Geistlichen; jetzt wird das Wort nur in verächtlichem und hartem Sinne gebraucht, le prêtre.“

Als sich der Klerus anschickte, den bürgerlich-liberalen Staat zu bekämpfen, um seine durch die josephinistischen Reformen und die Französische Revolution verlorene politische und ökonomische Macht zurückzuerobern, wurde Paf zum politischen Kampfbegriff. Wo „diese ohne alles Bedenken die katholische Kirche und die katholische Lehre sehen, da wollen jene nur eine Priester-Partei und Pfaffen-Anmaßung erblicken”, schrieb die Luxemburger Zeitung am 7. März 1845. Michel Rodange spottete 1872 im Renert: „Nu sinn di geeschtlech Hären, / Do gët da vill geschwat: / Deen een, deen nennt se Pafen, / Deen aner Nëmmersat. // [...] Se dreiwe Scharlakunda [Scharlatanerei; rh.] / Voll Politik um Enn.“

In der entstehenden Arbeiterbewegung wurde Pafen zur geläufigen Bezeichnung für die Rechtspartei und ihre Helfershelfer in Klerus, Luxemburger Wort und katholischen Vereinen. Der Sozialdemokrat Michel Welter beschimpfte 1907 im Parlament Konviktsdirektor Pierre Schiltz von der Rechtspartei: „Déi knaschteg Pafen!“ und im proletarischen Der arme Teufel gewann der Antiklerikalismus am Ende die Oberhand über den Klassenkampf. Nach Mai ’68 sangen die Schüler und Studenten gut gelaunt: „Loosst se lafen, déi houere Pafen!“

Der Kampf zwischen Klerikalen und Antiklerikalen schuf eine politische Frontlinie, so tief, so alt und so karikatural, dass sie oft alle anderen gesellschaftlichen Widersprüche überzeichnete. Das Luxemburger Wörterbuch unterschied 1970 zwischen drei Bedeutungen von Paf: Pfaffe, Frömmler und „(politisch) ‚Anhänger der früheren klerikalen Rechtspartei, heute der Christlich-Sozialen Volkspartei‘ – d’Pafen hu Sëtzer bei de Wale (Wahlen) gewonn.“ Dem schloss sich das Lëtzebuerger Online Dictionnaire 2012 an: „pejorativ, DE Anhänger des christlichen Konservatismus, Christlich-Konservative(r), FR partisan de la droite chrétienne, Beispill: déi Pafe ­kréie vu mir keng Stëmm!“

CSV Als Produkt des politischen Katholizismus ist die CSV noch immer die einzige Partei, die ein religiöses Bekenntnis in ihrem Namen trägt, die sich zur Eröffnung der Kammersessionen in einer Messe segnen lässt und mit Paul Galles erstmals seit Jean Origer und dem Zweiten Weltkrieg wieder einen Geistlichen in ihrer Parlamentsfraktion zählt – auch wenn er 2010 sein Priesteramt niederlegte, nicht aber seine Weihe. Dass sie auf einem LSAP-Kongress Pafe genannt wurde, empfand die CSV trotzdem als geschäftsschädigend. Denn sie bemüht sich seit nunmehr 15 Jahren, in einer säkularisierten Gesellschaft eine „fortschrittliche Volkspartei der sozialen Mitte“ und eine „Catch-all-Partei“ für Anders- und Ungläubige, Geschiedene und Homosexuelle zu sein, die die Trennung von Kirche und Staat still geschehen lässt.

Also wollte die unverhofft wieder in der Opposi­tion gelandete CSV die Gelegenheit nutzen, um sich nach dem LSAP-Kongress als Opfer einer Regierung altmodischer und intoleranter Kulturkämpfer darzustellen. Fraktionssprecherin Martine Hansen gab sich anderntags während einer Fernsehdebatte „relativ schockiert“ darüber, dass ein LSAP-Mitglied unter dem Applaus des Kongresses die CSV Pafen genannt, ohne dass die Parteiführung sich davon distanziert habe. Dass Mike Hansen sich nicht für die Koalition, sondern gegen die CSV, gegen d’Pafen, ausgesprochen habe, hielt Martine Hansen für „inakzeptabel“. Bei der parlamentarischen Debatte über das Koalitionsabkommen am 12. Dezember bedauerte sie erneut, dass die CSV wegen ihrer christlich-sozialen Werte auf dem LSAP-Kongress „als Pafen diffaméiert“ worden sei, was laut Duden eindeutig abwertend gemeint sei. Dagegen beharrte ihr Parteikollege Gilles Roth trotzig: „Mir schummen eis net, an den Aen vun e puer onverbesserleche lénke Klassekämpfer Pafen ze sinn.“

LSAP Weil sie aber nie aus linken Klassenkämpfern bestand, war die Rückkehr des Begriffs Paf der LSAP-Führung ebenso peinlich wie den Kollegen von der CSV. Etienne Schneider führte während der Fernsehdebatte die Aussage entschuldigend auf die hitzige Kongressatmosphäre zurück und nannte den gerade 35-jährigen Hansen ein „Escher Urgestein“, das seine eigene Ausdrucksweise habe. Außerdem habe Präsident Marc Spautz auf dem CSV-Kongress über „rosa Uniformen“ gespöttelt, ohne dass die Parteiführung etwas dabei gefunden habe.

Vor dem Parlament betonte Fraktionssprecher Alex Bodry, dass Paf nicht der normale Jargon sei, den die LSAP auf Kongressen gebrauche, beziehungsweise ihn nicht mehr gebrauche. Auch wenn er in einem Haus aufgewachsen sei, wo, so wie die anderen „vun de Roude schwätzen, ass bei eis emol vun de Pafe geschwat ginn“. Bei den in Düdelingen beliebten Mittelalterfesten habe sogar „de Paf kee Probleem, vu Pafen ze schwätzen“. Aber auf dem LSAP-Kongress habe eine Person den Ausdruck gebraucht, und das werde nun multipliziert, als ob es das Hauptthema des Kongresses gewesen sei.

Wie die CSV lebt die LSAP in der ständigen Angst, dass all ihre Modernisierungs- und Anpassungsversuche an den Liberalismus umsonst waren: umsonst der einen Abschied von der Kirche wie der anderen von der Arbeiterbewegung, die sie doch als unauffällige Wahlkampfhilfen nicht missen möchten. Deshalb empfindet die Sozialdemokratie der dritten Industriellen Revolution den Gebrauch des volkstümlichen Paf für „CSV-Staat“ als Rückfall in die Ausdrucksweise saufender und fluchender Gewerkschafter, wo die Zukunft der Politik Gouvernance heißt und von ehrgeizigen, jungen Technokraten in den Verwaltungen errechnet werden soll. So dass sie nicht einmal auf das großzügige Angebot von Gilles Roth eingehen dürfte.

Romain Hilgert
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