EU und Irland

Nur ein Zwischenschritt

d'Lëtzebuerger Land du 25.11.2010

Die Revolution frisst ihre Kinder. Der keltische Tiger springt nicht mehr. Die Bankenkrise hat ihm die Zähne gezogen und die Krallen gestutzt. Was als liberale Revolution begann, endet in den Trümmern einer grandiosen Übertreibung und Selbstüberschätzung. Für Schadenfreude besteht jedoch kein Anlass, denn in der Globa-lisierung gilt: Deine Bankenkrise ist auch meine Bankenkrise. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Europäische Union und ihre großen Mitgliedstaaten in erster Linie nicht Irland retten, sondern sich selber, ihre Währung und ihre Banken. Vor allem deshalb wurde in der letzten Woche so viel Druck auf den irischen Minister-präsident ausgeübt, der die Pleite seines Landes partout nicht wahr-haben wollte. Nur aus christlicher Nächstenliebe und Altruismus fließt kein einziger Euro innerhalb der EU.

Erst mit der Deregulierung der 1980-er Jahre und der weiten Öffnung Irlands für ausländische Investoren in den 90-er Jahren durch extrem niedrige Unternehmenssteuern, konnte sich das einstige Armenhaus Westeuropas auf einen Stand weit über dem Durchschnitt der EU katapultieren. Vor allem US-amerikanische Unternehmen investierten in das englischsprachige Land und repatriierten ihre Gewinne. Die meisten europäischen Banken unterhielten Filialen in Irland, die, als scheinbar eigenständige Unternehmen, große spekulative Räder drehten. Am spektakulärsten scheiterte dabei die deutsche Bank Hypo Real Estate. Sie musste im Laufe der Finanzkrise von Deutschland verstaatlicht und mit Garantien von über 123 Milliarden Euro versehen werden. Die Hauptursache dieser grandiosen Pleite war ihre Tochter Depfa-Bank. Aus einer stockkonservativen deutschen staatlichen Pfand-briefbank hervorgegangen war sie zehn Jahre nach ihre Privati-sierung 2001 ganz nach Irland gewechselt, wurde 2007 von der Hypo Real Estate für knapp sechs Millionen Euro erworben und ging in der Subprime-Krise Knall auf Fall unter.

Irland ist seiner eigenen Erfolgsstory aufgesessen. Die Regierung hat es versäumt, der Regulierung rechtzeitig Grenzen zu setzen. Das irische Desas-ter beruht wie in den USA auf einer unzureichenden Aufsicht über die Banken, die selbst im liberalisierten Europa viel erlaubte, was anderswo verboten war, kombiniert mit einem beispiellosen spekulativen Bauboom. Zwischen 1996 und 2006 haben sich die Häuserpreise vervierfacht, heute soll beinahe jeder fünfte Neubau leer stehen, berichtet Spiegel online. Es sind die nicht bedienten Immobilienkredite, die die irischen Banken so in Verluste getrieben haben, dass sie ohne staatliche Hilfe und Kredite über 130 Milliarden Euro durch die EZB nicht überleben konnten. Die Staatsgarantie der irischen Regierung für ihre Banken übersteigt nun die finanziellen Möglich-keiten Irlands. Es sollen nach Angaben von Spiegel online noch über 200 Milliarden Euro an nicht wertberichteten Immobilien-krediten bei weiter fallenden Immobilienpreisen in den Bilanzen irischer Banken schlummern. Ausländische Banken sollen nach Angaben des deutschen Ökonomen Peter Bofinger Forderungen in Höhe des 3,2-fachen des irischen BIP gegenüber irischen Schuldnern halten.

Irland gehört paradoxerweise seinen Banken, gerade weil diese so verschuldet sind. Das Land ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Politik gegenüber den Finanzmärkten nicht am längeren Hebel sitzt. Das so auf seine spät erworbene Unabhängigkeit bedachte Irland hat wegen einer schlechten Politik, für die seit 2007 auch die Grünen mit sechs Abgeordneten Verantwortung tragen, seine finanzielle Selbstbestimmung verloren. Irlands Staatsverschuldung stieg innerhalb eines Jahres um über 30 auf etwas mehr als 100 Prozent und liegt damit höher 10 Prozent höher als 1995 als der Boom einsetzte. Die Arbeitslosigkeit klettert wieder auf alt-bekannte Höhen. Durch Haushaltskürzungen trägt der „kleine Mann“ einmal mehr die Last der von den „Großen“ verzockten Gelder. Ob und wie Irland die nun von der EU garantierten Kredite von wahrscheinlich rund 85 Milliarden Euro zurückzahlen kann, bleibt unklar. Klar ist nur, dass die Rettung Irlands kein Endpunkt, sondern nur ein Zwischenschritt bei der Aufarbeitung der Wirt-schafts- und Finanzkrise ist. Mit weiteren unangenehmen Über-raschungen ist zu rechnen.

Christoph Nick
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