Klärschlamm hat es in sich. Wissenschaftler und Politiker wollen an seinen Phosphor rankommen. Kann das gelingen? Zu Besuch in einer Kläranlage

Wertvoller Stoff

Wenn Starkregen fällt und eine Großanlage wie in Peppingen voll ausgelastet ist, kann sie einen Liter pro Sekunde behandeln
Photo: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land du 30.08.2024

In einem Treibhaus brummen Ventilatoren. Es riecht leicht nach Ammoniak. Wir befinden uns auf dem abgeriegelten Gelände der Peppinger Kläranlage. Auf dem Boden liegt getrockneter Klärschlamm, er ist dunkelbraun und sieht aus wie Blumenerde. Das klingt ein bisschen verrückt, aber so erklärt es die Fachliteratur: Damit Klärschlamm flockt, wurden ihm Polymere beigemischt. Im Schlamm enthalten sind daneben Schwermetalle wie Kupfer und Silizium, Schmerzmittel wie Diclofenac und Hormone aus der Anti-Baby-Pille. Außerdem enthält der Klärschlamm eine Menge Phosphor – ein beliebtes Düngemittel. Phosphorverbindungen sind ein essenzieller Baustein für Lebewesen: Sie versorgen Zellen mit Energie und sind Bestandteil von DNA- und RNA-Molekülen. Bei Säugetieren halten sie das Körpergerüst zusammen, da sie am Knochen- und Zahnaufbau beteiligt sind. Der Mensch nimmt täglich 1,6 Gramm Phosphate auf und scheidet den größten Teil davon wieder aus. Da Phosphor ein endlicher Rohstoff ist, wäre es sinnvoll, ihn zurückzugewinnen. „Doch es ist unklar, wie man ihn isoliert herausextrahieren könnte. Fachleute diskutieren hitzig über chemische Prozesse und thermische Methoden. Die Verfahren sind energieintensiv und funktionieren noch nicht im großen Stil“, erläutert der leitende Ingenieur der Anlage in Peppingen, André Detaille. Der hochgewachsene, stämmige Direktor sitzt im Sitzungssaal der Anlage, wo mehrmals im Jahr Treffen mit dem interkommunalen Syndikat, das die Anlage betreibt, stattfinden.

Vom Sitzungssaal im zweiten Stock in Peppingen hat man einen 240-Grad-Blick auf das Gelände. „Dort schießt das Wasser sechs Meter unter der Erde hinein“, erklärt der Industrieingenieur Olivier Georges in einem ruhigen, erklärenden Tonfall und zeigt auf eine grüne Fläche neben einem Betonquadrat. An einem Filter hängen graue Fetzen. „Das sind Binden, Kondome, Tampons, Feuchttücher – you name it“, ergänzt Direktor Detaille mit kräftiger Stimme. Danach werden Sand und Fett herausgefiltert – Abrieb von Schieferdächern, Seifenreste vom Spülen, Olivenöl aus Pfannen. „Und Cremes – da ist alles Mögliche drin, unter anderem Mikroplastik und Titandioxid“, fügt Detaille sich leicht ärgernd hinzu. Fett stinkt bestialisch, deshalb bleibt das Siebband luftdicht abgeschlossen. Damit Bakterien die Fäkalien schneller zersetzen, fließt das Abwasser anschließend in sauerstoffreiche und sauerstoffarme Wasserbecken. Stellt man sich vor eines der Becken, blubbert es leicht und es riecht nach abgestandenem Wasser.

Im Abwasser sind nach diesem Schritt immer noch viele Phosphorverbindungen enthalten. Phosphor im Wasser, das ist ein Problem: In Gewässern und Seen kurbelt er das Algenwachstum an und mindert den Sauerstoffgehalt. Deshalb wird in Kläranlagen zumeist eine chemische Phosphorfällung durchgeführt – die Phosphorverbindungen werden aus dem Wasser gekappt, fallen in den Schlamm, verbinden sich neu und sind nun dort eingesperrt. Die Phosphorreinigung gelingt zwar nicht vollständig, aber immerhin wird der Anteil auf ein Zehntel reduziert. Anschließend fließt das Abwasser in das Nachklärbecken, das die Feststoffe, also den Schlamm, vom gereinigten Wasser trennen soll. Der Schlamm wird dann in die Faultürme geleitet, wo seine Bestandteile etwa einen Monat lang bei 36 Grad gären und Faulgase zur Stromerzeugung produzieren. „Im Englischen heißen die Türme Digester, und das trifft es ganz gut – die Faultürme sind mit unserem Verdauungstrakt vergleichbar, der nach einer üppigen Mahlzeit auch Gase produziert“, veranschaulicht Industrieingenieur Georges den Prozess.

Was bleibt, ist der Klärschlamm – ein Gemisch aus potenziellen Rohstoffen, aber auch Störstoffen. Um seine Masse zu reduzieren, wird der Schlamm in Peppingen getrocknet – das ist eine landesweite Ausnahme. Ebenfalls eine Besonderheit ist, dass die Trockenmasse an das Zementwerk Cimalux geliefert wird. Das Unternehmen, das zur italienischen Firma Buzzi Unicem gehört, stellt in Rümelingen mit einem Drehrohrofen Klinker her. Dieser muss stark erhitzt werden, und um dabei auf fossile Brennstoffe zu verzichten, kann getrockneter Schlamm verwendet werden. „Die anfallende Asche wird anschließend in Klinker oder Beton gebunden. Ein Drehrohrofen kriegt alles klein“, sagt Ingenieur Detaille, der sich im Studium mit dieser Technik beschäftigt hat. In der verarbeiteten Asche ist zwar noch immer Phosphor enthalten, aber als Ressource nun nicht mehr zurückzugewinnen.

Dass darüber nachgedacht wird, wie das Endresultat der menschlichen Verdauung zur Düngung verwendet werden kann, ist nicht neu, wie in Müll, Eine schmutzige Geschichte des Historikers Roman Köster nachzulesen ist. In vorindustriellen Städten Japans und Chinas, wo weniger Tiere gehalten wurden, bildete sich ein Markt für menschliche Fäkalien zur Dunggewinnung. In europäischen Städten hingegen tummelten sich Rinder, Hühner, Schweine, Hunde und Pferde auf den Straßen. Vor allem Schweine fungierten in mittelalterlichen Städten als Mülldienst. Abfallentsorgung bedeutete dabei in vorindustriellen Städten vor allem Fäkalienentsorgung: Schätzungen zufolge machten Fäkalien im 15. Jahrhundert in Krakau neun Zehntel des Abfalls der Einwohner aus. Zu den menschlichen Fäkalien kam der Dung von Kühen, der pro Tier bis zu 35 Kilo betrug. Vor dem Bau von Kanalisationssystemen im 19. Jahrhundert wurden Fäkalien und Müll in Senkgruben oder Latrinen gesammelt und abtransportiert – lagen Städte an einem Hang, warteten sie oft, bis Abfälle und Fäkalien abgeschwemmt wurden. Einige Städte, die noch nicht an ein Kanalsystem angeschlossen waren, wählten als Übergangslösung, Fäkalien in Kübeln zu sammeln und zu einer Anlage zu transportieren. Das war extrem arbeitsintensiv: Um 1900 waren in Johannesburg 2 000 Menschen mit der Sammlung und Entsorgung der Behälter beschäftigt, obwohl die Stadt nur 100 000 Einwohner zählte. Während die Vorteile eines funktionierenden Kanalisationssystems offensichtlich waren, wehrten sich die Steuerzahler zunächst gegen den Bau, da sie eine Steuererhöhung befürchteten. Zuweilen ließen hohe Typhusraten den Widerstand kippen, wie es 1890 in Melbourne der Fall war.

Der in Luxemburg anfallende Klärschlamm wird jedoch meist nicht in Drehrohröfen wie bei Cimalux weiterverarbeitet. Aufgrund der Störstoffe, die umso höher anfallen, je besser die Filtrierung gelingt, ist das Interesse der Landwirte an Klärschlamm-Dünger seit 2008 stark gesunken. Außerdem haben sie ausreichend eigene Gülle zur Verfügung, ihren hauseignen Kuhdung. Hinzu kommt, dass Frankreich seit 2021 keinen Abfall mehr aus dem Ausland annimmt; dorthin aber brachten die luxemburgischen Betreiber ihren Schlamm zur Kompostierung. Deshalb sah es vor drei Jahren so aus, als müsste Luxemburg auf seinem Schlamm sitzen bleiben. Zwischenzeitlich gingen jedoch in Deutschland Klärschlammverbrennungsanlagen in Betrieb, sodass mittlerweile 70 Prozent des luxemburgischen Klärschlamms im Nachbarland verbrannt wird.

Weil aber Stichwörter wie Verursacherprinzip politisch verankert haben, und durch das Bevölkerungswachstum die jährliche Menge an Schlammtrockenmasse von derzeit 9 700 Tonnen bis zum Jahr 2030 vermutlich auf 13 500 steigen wird (eine Masse, die fast sieben Olympiaschwimmbecken entspricht), wurde unter Carole Dieschbourg (déi Gréng) eine Klärschlammstudie veranlasst. Das Ergebnis: Das Umweltministerium und das Wasserwirtschaftsamt planen nun bis 2030 den Bau von zwei oder drei Klärschlammverbrennungsanlagen. Die Umsetzungskosten werden pro Standort zwischen 33 und 55 Millionen Euro liegen. Das sichert den Betreibern einen zuverlässigen Abnehmer und schützt sie vor Preisschwankungen: Denn obwohl Zementwerke getrockneten Klärschlamm als Brennstoff verwenden, müssen die Anlagenbetreiber ihrem Abnehmer Geld zahlen. So will es ein Markt, auf dem es an Interessenten mangelt. Derzeit zahlen die hiesigen Anlagenbetreiber etwa 150 Euro pro Tonne, um ihr Endprodukt loszuwerden.

Wissenschaftler, Politiker, Agrarwissenschaftler und Industrielle erhoffen sich von dieser Verbrennungsanlage noch was. Wir erinnern uns: Der Phosphor ist in der Asche gebunden. Optimisten glauben, dass die technischen Lösungen bald ausgereift sein werden, um den Phosphor aus der Asche zu recyceln. Um die Suche nach technischen und wirtschaftlichen Lösungen zu beschleunigen, hat Deutschland sogar für 2029 die Pflicht zur Phosphorrückgewinnung verordnet. Der Druck steigt dabei nicht nur, weil die Reserven bald erschöpft sein könnten – laut aktuellen Berechnungen könnten sie noch 300 Jahre reichen –, sondern auch, weil der Gang zur Toilette in Bezug auf Phosphor mittlerweile geopolitische Unabhängigkeit verspricht: Die Lagerstätten für nutzbaren Rohphosphor befinden sich vor allem in Marokko, Russland und China. Bis die Recycling-Technik ausgereift ist und der politische Wille vorhanden ist, wird die Klärschlammasche vermutlich im Muertendall gelagert.

Nicht nur die Frage nach einer Verbrennungsanlage beschäftigt Ingenieure und Beamte. Derzeit stehen interkommunale Syndikate unter ständigem Ausbaudruck, da die Einwohnerzahl landesweit steigt. In Beggen wird die Kläranlage seit 2021 erweitert, und dabei darf die reguläre Abwasserreinigung nicht gestört werden – schließlich fallen dort täglich 20 Tonnen nasser Schlamm an. Die beteiligten Gemeinden müssen für den Ausbau 295 Millionen Euro bereitstellen. DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer sieht in der Anlage ein Fortschrittsversprechen: 2030 werde die „innovative, symbolträchtige und auf das Wohlbefinden der künftigen Generationen ausgerichtete“ Anlage fertiggestellt, wird sie im Wort zitiert. Die Klärtechnik in Beggen setzt vor allem auf die vierte Reinigungsstufe: Sie soll Spurenstoffe aus Arznei- und Reinigungsmitteln sowie Mikroplastik weitestgehend entfernen.

Die vierte Klärstufe erhöht jedoch den Energiebedarf der Klärtechnik – je nach Schätzung um bis zu 40 Prozent. Kläranlagen sind bereits jetzt große Energiefresser: „Unsere Anlage verbraucht etwa so viel Energie wie 750 Haushalte“, erklärt Olivier Georges. Und obwohl sie durch Faulgas Strom erzeugen, kann damit im Durchschnitt nur ein Drittel des eigenen Energiebedarfs gedeckt werden. Die Filteranlagen, das Hochpumpen von Wasser und die Sauerstoffzufuhr in Form von verdichteter Luft für die Zersetzungsprozesse, all das benötigt Energie. Die Treibhaus-Trocknung des Schlamms ist hingegen eine der energieärmsten Einrichtungen auf dem Peppinger Gelände, denn sie kann von der Sonne profitieren – und die schickt ihre Energie umsonst. Laut einer neuen europäischen Richtlinie müssen die Betreiber jedoch einen Weg finden, um energieautark zu werden. Dies kann nur gelingen, wenn sie massiv grünen Strom einkaufen.

Wenn Starkregen fällt und eine Großanlage wie in Peppingen voll ausgelastet ist, kann sie einen Liter pro Sekunde behandeln. In Trockenperioden lässt sich zuweilen der Biorhythmus der Einwohner am Zulauf ablesen: Am späten Vormittag – nachdem die Einwohner aufgewacht sind und geduscht haben – steigt der Pegel. „In München wissen die Wasserwerke, dass während der Übertragung eines Bayern-München-Spiels, etwas zeitversetzt nach der Halbzeit, eine ordentliche Ladung Stuhlgang angespült wird. Das sind Erfahrungswerte“, erläutert Detaille Das geklärte Wasser wird über die Alzette wieder dem Wasserkreislauf zugeführt: „Zwei Drittel der Alzette bestehen im Sommer aus geklärtem Abwasser, kein anderer Fluss hat einen so hohen Anteil“, merkt Olivier Georges an. Der Phosphor liegt 50 Meter vom Ausfluss entfernt im Trockenschlamm und kann derzeit noch in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden.

Stéphanie Majerus
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