Rentenansprüche im Scheidungsfall

50 Jahre Verliererinnen

d'Lëtzebuerger Land du 03.05.2001

Für die CSV sind die Frauen “absolute Priorität“. Das erklärte Fraktionspräsident Lucien Weiler am Montag stolz vor der Sitzung des Rententisches. Denn die Frauen, so musste er feststellen, seien “in den letzten 50 Jahren ganz oft die Verliererinnen des Systems gewesen“.

Überraschend klingt dies schon. Nicht nur, weil die Zeitspanne von 50 Jahren beliebig ist und alle historischen Vergleiche hierzulande falsch sind. Vielmehr wurde in diesen 50 Jahren die Sozialpolitik eindeutig von der christlichsozialen Familienpolitik geprägt, in deren Mittelpunkt das Sakrament der Ehe zwischen dem männlichen Ernährer und der erwerbslosen Hausfrau steht, durch die Frauen bis in das Rentenalter hinein abhängig von ihren Ehemännern und damit oft die Verliererinnen bleiben.

Kann es da ein Zufall sein, dass die drei Männer, welche die CSV-Vorschläge am Montag einsam vorstellten, kein Wort darüber verloren, was Parteipräsidentin Erna Hennicot-Schoepges schon während des Strassener CSV-Kongresses vor einem Monat vorgeschlagen hatte? Dass das eheliche Güterrecht abgeändert werden soll und die Scheidungsrichter künftig auch über die Teilung der Rentenansprüche entscheiden sollen. Denn der versprochene Gesetzentwurf über das Rentensplitting ist auch nach 12 Jahren noch immer nicht gestimmt – offensichtlich sind Frauen auch in Parlament, Staatsrat und Berufskammern in der Minderheit.

Dabei würde die Einbeziehung der Altersversicherung in die Gütertrennung bei einer Scheidung zwar erwerbslosen und unqualifizierten Frauen mehr schlecht als recht ein Existenzminimum im Alter gewährleisten. Aber dies zum Preis einer noch nicht absehbaren und damit teilweise willkürlichen Rechtssprechung. Und vor allem als Behelf, mit dem sich eine Mehrheit an einer Änderung des bestehenden Sozialversicherungsmodells vorbei drücken könnte.

Denn die Sozialversicherungslaufbahnen von Frauen und Männern sind nicht identisch. Nicht nur, dass viele Frauen weniger verdienen oder aus familiären Gründen teilzeitarbeiten und damit auch niedriger versichert sind als Männer. Sie unterbrechen auch oft ihre Erwerbstätigkeit, wenn sie heiraten oder um Kinder zu erziehen, und erreichen so seltener die als Berechnungsgrundlage der Renten vorgebenen 40 Versicherungsjahre. Gar nicht zu reden von jenen Frauen, die nie erwerbstätig sind, sondern als Hausfrauen über  ihre Ehemänner sozialversichert sind und diese abgeleiteten  Rechte auf eine Rente im Scheidungsfall verlieren. Die Sozialversicherung behandelt aber weiterhin die Sozialversicherungslaufbahnen der Männer als Norm und diejenigen der Frauen als Abweichungen, die bestenfalls mit etwas Flickschusterei und Sozialhilfe begleitet werden.

Zum Fortbestehen dieses Verhältnisses tragen auch die  anderen Maßnahmen bei, welche die CSV dem Rententisch vorlegte, um die Frauen als Priorität erscheinen zu lassen. Und wohl auch ein wenig, um darüber hinwegzutäuschen, dass die Rentenpolitik von CSV und DP ziemlich verwirrend zu werden beginnt, weil die Mauer fort und die Reserven da sind und  die Regierungsparteien demnächst am Rententisch um die Wette zu bieten beginnen.

Am  spektakulärsten klingt dabei das vage von der DP unterstützte und von den anderen Parteien kaum abzulehnende Versprechen der CSV, all jenen Hausfrauen, die nie erwerbstätig waren und vor der 1988 erfolgten Einführung der Babyjahre Kinder zur Welt brachten, eine Pauschale von 3 000 Franken monatlich pro Kind zu zahlen. Lucien Weiler schätzte die Zahl dieser Frauen, die je nach Kinderzahl, 3 000, 6 000 oder 9 000 Franken mehr Rente bekommen sollen, auf 50 000. Wie hoch die Kosten dieser Pauschale ausfallen werden und ob sie aus Steuermitteln oder den Rentenreserven bestritten werden sollen, ist laut Weiler noch nicht klar. Aber bei allen direkten Vorteilen für die Nutznießerinnen – mehr als eine befristete Übergangsmaßnahme ist es nicht. Denn die Pauschale kommt nur einer Generation von Rentnerinnen verspätet zugute und stirbt mit dieser aus.

Die Reform von 1988 war nämlich aus Kostengründen höchst selektiv ausgefallen. Auf die Anrechnung von Babyjahren in der Rentenversicherungslaufbahn für bereits geborene Kinder war verzichtet worden. Doch 13 Jahre später scheint die Zahl der in Frage kommenden Frauen so abgenommen zu haben, dass die Überlebenden nun doch noch rückwirkend unter das Gesetz fallen können. Deshalb sollen erwerbstätige Frauen ihre unvollständige Versicherungslaufbahn um zwei Babyjahre pro Kind ergänzt bekommen, auch wenn ihre Kinder vor 1988 zur Welt kamen.

Gleichzeitig soll die Klausel gelockert werden, die vorschreibt, dass vorübergehend Erwerbstätige nur Anspruch auf Babyjahre haben, wenn sie in den zwölf Monaten vor der Geburt des Kindes einer Lohnarbeit nachgingen. Die Babyjahre sollen zudem die Möglichkeit von Teilzeitarbeit berücksichtigen.

Die CSV schlägt auch vor, die Renten von Witwen von Mindestpensionsempfängern nicht mehr zu kürzen. Die Mindestrente von 44 700 Franken wird derzeit auf eine Mindestwitwenrente von 36 257 Franken gekürzt, das heißt 818 Franken unter dem garantierten Mindesteinkommen (RMG), weil durch den Tod des Versicherten der Haushalt kleiner wird. Künftig soll die Mindestpension, die noch immer 7 347 unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt, als ein zum Leben notwendiges Minimum angesehen werden, unabhängig von der Haushaltsgröße.

Aus diesem Grund muss auch das System der Hinterbliebenenrente selbst geändert werden. Waisenrenten sollen nicht mehr zum Teil von der Witwenrente der Mutter abgezogen werden, ohne dass die Pauschalen für Waisen sich ändern. Die Mindestwaisenrente beträgt seit dem 1. April 12 086 Franken.

In diese Optik passt auch der Kampf gegen die Hungerrenten, die mehrheitlich von Frauen bezogen werden. Vage versprechen die CSV und noch vager die DP eine Erhöhung der Grundrente, wenn noch Geld übrig bleibt, und die CSV will die Mindestrente um 3 150 Franken auf 47 850 Franken erhöhen. Außerdem sollen künftig 30 statt 20 Prozent der Renten unberücksichtigt bleiben bei der Berechnung des RMG-Zuschlags, der für Frauen besonders wichtig ist, weil sie aus familiären Gründen oft keine vollständige Versicherungslaufbahn aufzuweisen haben, welche Grundlage der Mindestrente ist. Doch hier manövriert die CSV zwischen anderen Widersprüchen: Einerseits will sie auf das RMG zurückgreifen, das im Gegensatz zu Rentenerhöhungen nicht an Rentner im Ausland überwiesen werden muss.

Andererseits will sie das RMG aber auch nicht richtig erhöhen, weil dies den Eindruck schaffen würde, dass auch der gesetzliche Mindestlohn zu niedrig sei. Und davon wollen die Unternehmensvertreter am Rententisch nichts wissen.
Doch es bleibt dabei, dass am Rententisch die Bekämpfung der Hungerrenten nicht oder nur teilweise versicherter Frauen nicht als Mangel einer am Leitbild des lebenslänglichen Ernährers orientierten Sozialversicherung aufgefasst wird, sondern als Fall für die Sozialhilfe weitergereicht wird. Nur das Vokabular soll geändert werden: Hungerrenten dürfen nicht mehr so genannt werden, und der RMG-Aufschlag für Hungerrenten soll nicht mehr RMG, sondern "complément vieillesse" heißen.

Bereits als die Regierung die BIT-Studie in Auftrag gab, welche die Diskussionsgrundlage des Rententischs abgibt, wollte sie nichts über einen Umbau der Sozialversicherung wissen, der den Bedürfnissen der Frauen entspricht. Und mit Ausnahme von CSV-Familien- und Frauenministerin Marie-Josée Jacobs sitzen am Rententisch nur Männer.

Doch auch die Forderungen der Gewerkschaften am Rententisch orientieren sich weiterhin am traditionellen Leitbild des lebenslang Vollzeitbeschäftigten, das heißt des männlichen Ernährers und dessen Rente. Die komplexeren und unvollständigen Berufs- und Sozialversicherungslaufbahnen der Frauen wollen sie noch immer nicht als Normalfall wahrhaben, sondern sehen sie als Ausnahme und Randerscheinung an, die im verständlichen Kampf gegen einseitige Flexibilisierung vernachlässigt werden. Ihr Festhalten am Versicherungsprinzip, das die Leistungen starr von den gezahltenBeiträgen abhängig macht, ist auch auf eine Angst vor Mittelständlern zurückzuführen, die minimal gesetzlich versichert waren und sich dann, trotz beträchtlichen Vermögens, als angebliche Hungerrentner bei der Solidargemeinschaft bedienen wollen.

Nur déi Lénk spricht sich ohne Dateilvorschläge für “die Tendenz zur Individualisierung“ aus, aber sie ist, bis auf einen Gastauftritt während einer der nächsten Sitzungen, ohnehin nicht zum Rententisch eingeladen. Wie sie darf auch der Conseil national des femmes luxembourgeoises an einer nächsten Sitzung des Rententisches in einem Gastauftritt teilnehmen, nachdem er vor genau einem Jahr der Regierung eine umfangreiche Studie über die Individualisierung der Sozialversicherung und Besteuerung überreicht hatte. In der Herrenrunde muss der Rat wohl binnen kurzer Zeit viel Überzeugungsarbeit leisten.

Romain Hilgert
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