EU-Türkei-Gipfel

Wie auf dem Basar

d'Lëtzebuerger Land du 11.03.2016

Nach dem EU-Türkei-Gipfel in Brüssel regte sich der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu auf: „Europäische Medien behaupten, wir wollten Geld haben, um Europa bei der Flüchtlingskrise zu helfen. Wir brauchen aber kein Geld. Jeder Cent, den die EU gibt, werden wir für die Flüchtlinge ausgeben.“ Davutoglu ärgerte sich zu Recht. Denn trotz mancher Krisenerscheinungen geht es der türkischen Wirtschaft zur Zeit nicht schlecht. Selbst die weitreichenden Wirtschaftssanktionen Moskaus, wegen dem Abschuss eines russischen Bombers verhängt, bringt die türkische Wirtschaftsmaschinerie bisher nicht zum Stillstand.

Doch den Eindruck, dass das Land am Bosporus die Gespräche über die Flüchtlingskrise wie das Feilschen auf einem Teppichbasar angeht, vermittelte die Regierung in Ankara selbst. Davutoglu kam zum Gipfel mit einem Forderungskatalog – mehr Geld war nur einer von vielen Punkten. Daneben sollen türkische Staatsbürger spätestens ab Ende Juni Visa-Freiheit im Schengenraum genießen und die EU-Beitrittsverhandlungen beschleunigt werden. Dafür würde die Türkei ein seit Jahren existierendes Abkommen mit Griechenland endlich mit Leben füllen und alle Flüchtlinge zurücknehmen, die unerlaubt ins Nachbarland gekommen sind.

Aber auch hier stellte die Türkei eine Nebenbedingung: Für jeden, den sie zurücknehmen, soll ein Flüchtling aus der Türkei legal in die EU aufgenommen werden. „Eins-zu-eins-Prinzip“ heißt das Konzept im EU-Bürokratenjargon. Damit wird der Flüchtlingsstrom nicht gestoppt, sondern lediglich in regelmäßige Bahnen geführt. Am Ende kam, wie nach dem Gipfel der Öffentlichkeit gemunkelt wurde, nur eine prinzipielle Einigung zu Stande. Zu viele Details müssen noch bis zum nächsten Treffen in zehn Tagen geklärt werden. So ist zum Beispiel noch zu entscheiden, welches Land die Flüchtlinge aufnehmen wird, die so auf legalen Wegen in die EU kommen sollen. Auch die Erfüllung weiterer türkischen Forderungen könnte schwer werden, wobei die Visafreiheit, die ohnehin vom Europäischen Gerichtshof gefordert wird, womöglich am einfachsten zu erreichen ist. Wenn dieser Deal zu Stande kommt, könnten schon bald neue Verhandlungskapitel bei den Beitrittsgesprächen eröffnet werden.

Das ist keine große Sache. Denn diese Kapitel hätten schon vor Jahren eröffnet werden müssen. Paris, Athen und Nikosia hatten diese aus politischen Gründen blockiert. Nun sieht es aus, als ob zumindest Frankreich und Griechenland ihre Blockade aufzugeben bereit sind. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras reiste nach dem Treffen mit Davutoglu in die türkische Großstadt an der Ägäis, nach Izmir, wo sich 22 Minister beider Länder trafen und wo sich eine Entspannung der Beziehungen beider Länder zumindest andeutet.

Doch diese hektische Geschäftigkeit wird nicht dazu führen, dass die EU der Türkei sobald eine klare Beitrittsperspektive bietet. Das betonte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Gipfeltreffen: „Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden weiterhin ergebnisoffen geführt.“ Aus Sicht Davutoglus wäre dies sogar genug. Denn er will die Visafreiheit und die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel vor allem innenpolitisch ausschlachten. Türkische Politiker wissen genau, dass ihr Land der EU derzeit nicht beitreten kann.

Das liegt nicht daran, dass die türkische Regierung führende Journalisten wegen angeblicher Spionage vor Gericht stellt, weil sie türkische Waffenlieferungen nach Syrien dokumentieren oder Zeitungen und Agenturen unter Aufsicht stellt, weil sie angeblich den Terror unterstützen. Das kann ihnen kaum zum Vorwurf gemacht werden, wenn doch selbst EU-Staaten, wie Polen oder Ungarn, mit neuen Gesetzen die Demokratie untergraben. In der Türkei ist im Vergleich wenigstens die Gesetzeslage demokratischer.

Während sich die europäische Öffentlichkeit auf die Flüchtlingskrise konzentriert und den Gipfel in Brüssel lediglich aus dieser Perspektive betrachtet, setzt Ankara die EU in einem ganz anderen Gebiet enorm unter Druck: Unter den Bedingungen, die die Türkei in Brüssel stellte, befindet sich ein Punkt, der kaum Beachtung findet, aber außenpolitisch ungemein wichtig ist. „Zusammenarbeit mit der Türkei, um die humanitären Bedingungen in Syrien zu verbessern. Ziel ist es, dass die lokale Bevölkerung und Flüchtlinge in einigermaßen sicheren Gebieten leben können“, heißt es in der offiziellen Gipfel-Erklärung der EU. Damit sind „Sicherheitszonen auf syrischem Boden“ gemeint. Eine langjährige Forderung der islamistischen Regierung in Ankara. Für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der in der Türkei die eigentliche Macht hat, ist die Durchsetzung türkischer Interessen in Syrien wichtiger als ein EU-Beitritt. Damit hofft er zum einen seine eigene Stellung in der Türkei zu festigen. Zum anderen glaubt er, könne er sp eine führende Rolle in der Region einnehmen, sollten islamistische Gruppen mit Unterstützung der Türkei in Syrien an die Macht kommen.

Sicherheitszonen würden der Türkei, trotz der inzwischen erreichten Waffenpause, was Ankara ohnehin nicht schmeckt, ermöglichen, sich endlich direkt in den Konflikt in Syrien einzubringen. Denn solche Zonen bedürfen der militärischen Sicherheit, die nur mit Bodentruppen und Flugverbotszonen zu haben wäre. Deshalb hat Davutoglu gleich nach dem Gipfel in einem Interview mit CNN-Moderatorin Christiane Amanpour bekanntgegeben, dass sein Land mit internationaler Rückendeckung bereit wäre, Bodentruppen nach Syrien zu entsenden.

Ein gefährlicher Plan. Denn der syrische Despot Baschar Assad und seine russischen Verbündeten würden diesen Schritt niemals akzeptieren. Wenn die EU sich in dieser Frage instrumentalisieren lässt, nur um die eigene Last in der Flüchtlingskrise zu erleichtern, würde sie eine neue und größere Konfrontation mit Moskau auslösen.

Cem Sey
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