Fotografie

Bittere Bilder

d'Lëtzebuerger Land du 14.12.2018

Ausgezehrte Insassen einer psychiatrischen Anstalt. Familien, die ermordete Mitglieder beweinen. Teils verbrannte Leichen von IS-Kämpfern oder mit Kopfschüssen niedergestreckte Drogendealer – nicht umsonst ist im Eingangsbereich des Cercle Cité ein Warnhinweis angebracht, die derzeitige Ausstellung Hard truths mit preisgekrönten Fotoserien aus der New York Times könne jüngere Betrachter verstören. Kuratiert wurde die als Wanderausstellung konzipierte Zusammenstellung von Arthur Ollman von der Foundation for the Exhibition of Photography und von David Furst, Bildredakteur bei der New York Times.

Die Times blickt auf eine lange Tradition hochwertiger Dokumetarfotografie zurück. So handelt es sich auch bei den zwei Frauen und drei Männern, deren Arbeiten als Aufträge für die Zeitung entstanden, um hochkarätige internationale Fotografen mit beeindruckenden Portfolios und diversen journalistischen Auszeichnungen. Der Australier Daniel Berehulak, der für eine Serie über Ebola den Pulitzer Prize erhielt, dokumentierte für die Times nachts auf den Straßen Manilas den ebenso rigiden wie chaotischen Anti-Drogen-Krieg des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte. Man fühlt sich angesichts der Szenerien im Scheinwerferlicht, im Kreis von Schaulustigen, ein wenig an die voyeuristischen Fotografien Weegees erinnert, wobei hier über Einzelschicksale hinaus das strukturelle Problem einer abartigen Politik Ausdruck findet. Auf einem Bild zu sehen: ein rötlich beleuchteter gläserner Sarg, umringt von verstörten jungen Mädchen, eines davon „Papa“ schreiend, wie man aus der Begleitbroschüre erfährt. Zeitnah mit Dutertes Killer-Schwadronen zog Berehulak los, um nicht nur deren Brutalität, sondern, wie man aus dem Text erfährt, auch Willkür und irrtümliche Morde ans Tageslicht zu bringen.

Nicht weniger unter die Haut gehen Ivor Pricketts Fotografien der Befreiung Mosuls im letzten Jahr. In insgesamt vier Trips dokumentierte Prickett die Geschehnisse an vorderster Front und entging dabei nur knapp einem der Selbstmordattentate, deren grausige Folgen er dokumentiert. Die ikonischste Wirkung auf den Betrachter geht jedoch von einem vergleichsweise friedlichen Motiv aus, das schwarz verschleierte Frauen in der Schlange vor einer Essenausgabe zeigt. Die Gesichter auf dem großformatigen Druck sind nahezu alle verdeckt, bis auf das eines jungen Mädchens, das sich eng an die Frau vor ihr schmiegt und aus deren Ausdruck sich ihr Trauma ablesen lässt.

Gleichwohl zeigt sich gerade in der ästhetisierten Nachbearbeitung dieser Fotografie, in der die Vignettierung, der abgedunkelte Himmel und das aufgehellte Gesicht des Kindes die Bildstimmung stark ins Düstere lenken, wie sich auch hochwertige fotojournalistische Arbeiten in der allgemeinen Bilderflut behaupten müssen. Auch und gerade Meredith Kohuts Fotografien aus Venezuela wirken aufgrund der selektiv saturierten Farben, der starken Lokalkontraste und der ausgiebigen Schärfung vergleichsweise artifiziell. Die Falten in Kleidern und Gesichtern der Armen, die in Los Teques vor einer Suppenküche in der Schlange warten, verleihen der stark geschärften Fotografie die Erscheinung des Gemäldes eines alten Meisters.

Angenehm sanft wirken hingegen Newshka Tavakolians Bilder aus Teheran, bei denen es sich um intime Einzelporträts verschiedener Bewohner der Stadt in ihrem persönlichen oder ihrem Arbeitsumfeld handelt. Zwar gehören sie unterschiedlichen Berufsgruppen an, sind Architekt, Dichter, Barista oder Stahlhändler, doch sind sie alle, wie der Begleittext erläutert, von den Folgen der Wirtschaftssanktionen betroffen. Wie ein abgebildeter Werbekaufmann anmerkt, orientieren sich gerade junge Leute international und wollen etwa die neuesten Smartphones besitzen. „Wir müssen in Dollars bezahlen, aber werden in lokaler Währung bezahlt“, fasst er die Problematik zusammen. Obschon hier im jeweiligen Umfeld der Porträtierten mit künstlicher Beleuchtung gearbeitet wurde, senden auch diese Bilder dank ihrer Intimität einen Appell an die Empathie des Betrachters, der sich als mindestens ebenso effizient erweist wie die Verstörung, die die anderen Bildstrecken der Ausstellung provozieren.

Die Auswahl dieser preisgekrönten Arbeiten zeigt damit auch das Dilemma des Fotojournalismus. In Zeiten, in denen auch in jedem Krisengebiet Leute mit Smartphones ausgestattet und in den sozialen Medien präsent sind, konkurrieren die oft ins Kunstvolle stilisierten Dokumentationen mit Live-Videos und Amateuraufnahmen um ein von der Brutalität der täglichen Nachrichtenflüsse zunehmend abgestumpftes Publikum. Die Notwendigkeit professioneller Arbeit zeigt sich jedoch gerade in der Form der Veröffentlichung als ganzheitliche Reportage, die mit fundiert recherchierten Fakten ergänzt wird und so die Wahrheit zeigen kann – in all ihrer Bitterkeit.

Hard truths. An exhibition of prize-winning photography from The New York Times dauert bis zum 27. Januar im Cercle Cité; täglich geöffnet von 11 bis 19 Uhr; https://cerclecite.lu.

Boris Loder
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