Rentenpolitik von CSV und LSAP

Im Schatten der Rentenmauer

d'Lëtzebuerger Land du 31.01.2008

Mehrere Legislaturperioden lang hielten die Renten die Politiker fastaller Parteien in Atem. Bis eine CSV/LSAP-Koalition zuerst das traditionelle Pensionssystem im öffentlichen Dienst abschaffte und dann eine CSV/DP-Koalition den Rententisch organisierte, der nach Schätzung von Sozialminister Mars Di Bartolomeo insgesamt zehnprozentige Verbesserungen für die Versicherten der Privatwirtschaft mit sich brachte.

Daraufhin meinte sogar das Aktionskomitee für Demokratie und Rentengerechtigkeit, dass Renten kein Thema mehr seien. Es taufte sich in Alternativ Demokratische Reformpartei um.

Doch nicht nur die Unternehmerverbände, sondern auch die Europäische Kommission, die OECD und andere internationale Organisationen erinnern weiterhin daran, dass die Rentenversicherung mittel- bis langfristig nicht gesichert ist. Irgendwann in 30 Jahren liefen die derzeit großen ReservenGefahr, aufgebraucht zu sein, falls nicht die notorisch niedrigen Beiträge erhöht oder die notorisch hohen Leistungen gekürzt würden. Premier Jean-Claude Juncker hatte dafür das Panikwort „Rentenmauer“ und eine Modesaison lang dessen Korollarium„700 000-Einwohnerstaat“ geprägt. 

Doch CSV und LSAP hatten sich 2004 offensichtlich vorgenommen, nach einem Jahrzehnt lang Aufregung um die Renten fünf Jahre lang das heiße Eisen nicht mehr anzurühren. Das ließ sich diese Woche im Parlament aus einer Interpellation heraushören. Denn sie konnte auch als eine erste Bilanz der Manöver angesehen werden, mit denen die aktuelle CSV/LSAP-Koalition währenddieser Legislaturperiode der Rentenmauer auszuweichen versuchte– oder auch nicht. 

Der grüne Abgeordnete Felix Braz hatte die Interpellation vor einemJahr beantragt, als Premier Jean-Claude Juncker in einem Pressebriefing nach einer Kabinettsitzung jede Untätigkeit in der Rentenpolitik mit dem pathetischen Vokabular des Zwangsrekrutiertenverbands „ein Verbrechen an der Zukunft“ und „an unseren Kindern“ genannt hatte. Doch wen anderes als den eigenen Premier konnte CSV-Sprecher Paul-Henri Meyers wohl gemeint haben, als er am Mittwoch daran erinnern, dass durch das System der Zwangsbeiträge zur Rentenversicherung langfristige Rechte erwüchsen; deshalb sollten Panikmacher nicht „durch unverantwortliche Aussagen das Vertrauen in das Rentensystemerschüttern“? 

Sein Koalitionskollege, LSAP-Generalsekretär Romain Schneider,musste sogar langatmig das kleine Einmaleins der Rentenversicherung herunterraspeln. Denn mit dem Lob der rentenpolitischen Taten seines Genossen Sozialminister hätte er seine Redezeit wohl nicht zu erschöpfen gewusst. Aber es bestehe wahrlich „kein Grund zur Panik“, so der chronisch gut gelaunte Sozialminister Mars Di Bartolomeo, der daran erinnerte, dass die Renten so sicher seien, dass seit mehr als 30 Jahren keine Beitragserhöhung mehr notwendig gewesen sei. Jene Abgeordneten, denen das nach all den aktuariellen Berechnungen der letzten zehn Jahre etwas dürftig vorkam, tröstete er, dass nun eine „objektive Stärken/Schwächenanalyse“ vorgenommen werde. Wobei „die Regierung dabei ist, einen Prozess einzuleiten, um den Konsens wahren zu können.“ 

Gemeint ist vielleicht die Arbeitsgruppe, die als Nachfolgerin desRententischs in lockerer Folge über die Renten diskutiert. Selbst Teilnehmerverdächtigen sie inzwischen, bloß bis zum Ende der Legislaturperiode Zeit schinden zu müssen. Doch Mars Di Bartolomeo zeigte sich „optimistisch, dass die Diskussionen über die Renten nun mit ruhigem Kopf angegangen werden können“.

Dies klingt als politisches Programm vielleicht etwas dürftig. Aber auch die Opposition möchte die Wähler nicht mit dem Ruf nach Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen kopfscheu machen. Deshalb beschränkt sie sich am liebsten auf Vorwürfe an die Adresse der Regierung und auf Banalitäten wie diejenige, dass über alles geredet werden müsse und nichts ein Tabu sein dürfe. Selbst der grüne Interpellant Felix Braz wollte weitgehend an der Grundausrichtung der Rentenversicherung festhalten, die vielleicht durch etwas Ökosteuer aufgemischt werden könnte. Lediglich DP-Sprecher Carlo Wagner wagte sich weiter vor und stellte die Notwendigkeit der regelmäßigen Rentenanpassungen in Frage, so lange die Renten an den Index angepasst werden. Aber der nächste„Ajustement“ ist im Wahljahr 2009 fällig. Der ehemalige liberale Sozialminister und Held des Rententischs schlug auch vor, zur Individualisierung der Rentenversicherung zumindest für die Berufseinsteiger ein Kapitalisierungs- statt Umlageverfahrenvorzusehen; davon hatte seine Partei seit längerem nichts mehr wissen wollen.

Aber vielleicht kam Paul-Henri Meyers der Wahrheit am nächsten, als der christlich-soziale Sozialversicherungsfachmann und Robespierre-Verehrer darauf hinwies, dass die Sozialversicherung auch eine gewaltig soziale Umverteilungsmaschine ist. Und die sind nun wirklich aus der Mode gekommen.

So läuft die erste Bilanz der Rentenpolitik von CSV und LSAP vor allem auf eine perfekte Arbeitsteilung hinaus: Der LSAP-Sozialminister tut vorsichtshalber nichts, und der CSV-Premier übernimmt die Oppositionskritik an der „verbrecherischen“ Untätigkeitgleich selbst. 

 

Romain Hilgert
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