Das Mudam präsentiert die erste Retrospektive des Bauhauskünstlers Xanti Schawinsky außerhalb der Schweiz und konterkariert es mit Auftragsarbeiten der zeitgenössischen britischen Künstlerin Monster Chetwynd. Ein Spagat

Dem Bauhaus-Geist gemeinsamer Lebendigkeit verpflichtet

d'Lëtzebuerger Land du 23.08.2024

Im Foyer des Mudam begrüßt die Besucher/innen derzeit eine fahrende Modelleisenbahn. Das Knattern dieser Installation namens „Xanti Shenanigans” der zeitgenössischen Künstlerin Monster Chetwynd (1973, London) begleitet einen beim Gang durch die Ausstellung Xanti Schawinskys ... und lässt sein Werk noch eindringlicher wirken.

Der Performance-Charakter ist beim Betreten dieser von Gastkurator Raphael Gygax in Koordination mit Christophe Gallois kuratierten Doppel-Schau so gleich zu Beginn präsent. Denn der fahrende Zug erinnert an eine frühe Arbeit Schawinskys, sein „Entwurf zu einem fahrbaren Theater (Arena)“ von 1925-1926.

Die Bühne als Ausgangspunkt

Wer von hier aus die zwei Flügel im Untergeschoss des Mudam betritt, in denen derzeit mehr als 100 Werke des jüdischen Bauhaus-Künstlers Alexander ‚Xanti‘ Schawinsky (1904, Basel - 1979, Locarno) zu sehen sind, darunter Fotografien, Bühnendesigns, Zeichnungen und Designgrafiken, ist überwältigt von der Vielschichtigkeit seines Werks. Neben den klaren geometrischen Formen beeindrucken vor allem die Bühnenbilder. Während seiner Bauhaus-Jahre (1924-1929) engagierte sich Schawinsky vor allem an der dortigen Bühne, die ab 1923 von Oskar Schlemmer geleitet wurde.

Insbesondere das Spannungsfeld zwischen Menschen und Maschine, eine kritische Reflexion der technischen Neuerungen, zieht sich als Leitmotiv durch sein Werk und setzt sich wohltuend vom gegenwärtigen Hype um Künstliche Intelligenz ab.

Schawinsky war eine zentrale Figur am Bauhaus, wo er mit Oskar Schlemmer, Walter Gropius, Paul Klee und Lázló Moholy-Nagy studierte, zahlreiche Bühnen- und Kostümdesigns, Collagen und Fotografien anfertigte und pionierhaft die Idee des Spectodramas entwickelte, einer neuen Form des Theaters, in der er nach eigenen Worten „Farbe und Form, Bewegung und Licht, Klang und Wort, Pantomime und Musik, Grafik und Improvisation“ miteinander kombinieren wollte. Gropius sah in dem vielseitig begabten Schawinsky gar eine Schlüsselfigur für die von ihm angestrebte Bauhaus-Atmosphäre. 1924 schrieb Schawinsky über eben jene Atmosphäre: „Eigentlich bin ich Teig. Mein Kneter ist die Zeit.“

Schawinskys Bauhaus-Theaterstücke

Seine Steppmaschine tauchte erstmals in seinem 1926 präsentierten Stück „feminine Repetition“ auf. In der ballettähnlichen Pantomime tritt Schawinsky selbst als Stepptänzer in Frack und Zylinder auf – im Dialog mit einer von ihm entwickelten Steppmaschine.

Einen Höhepunkt in der Bauhaus Bühnenarbeit Schawinskys stellt das Pantomime-Stück Olga Olga dar, das 1928 uraufgeführt wurde. Drei maskierte männliche Darsteller agierten im Stil der Commedia dell’Arte und dadaistisch, ohne dass sich aus den verwendeten Wortspielen und auch bloßen Lautmalereien eine erkennbare Geschichte ergab. Hier zeigte sich, dass Schawinsky die Bühne um eigenständig bewegte Raumbilder erweiterte.

An einer Wand werden eingangs sechs von insgesamt 70 Blättern aus seinem Bauhaus-Tagebuch gezeigt. Fotografien und Notizen sind darin zu einer Collage verwebt und geben den Besucher/innen einen nostalgischen Einblick in die Bauhaus-Jahre des Künstlers.

„Schawinskys Bilder atmen die Luft des Theaters und Zirkus, weiß und rot vor Blitzblau, Körperhaftes, darunter klassizistische Architekturen wirken trotz der technischen Akribie, mit der Gesimse und Profile gezeichnet sind, vor den tiefen Gründen unwirklich seltsam. […] Bei Schawinsky ist alles gekonnt. […] Die neue Raumgesinnung macht alles Gegenständliche leicht, es blitzt, klingelt, schellt, tanzt wie bei Jazzmusik“, so Ludwig Grote 1929 in seiner Eröffnungsrede der Ausstellung Junge Bauhausmaler in Halle.

Am Black Mountain College
(1936-1938)

Schawinsky floh nach Angriffen durch die nationalsozialistische Presse ab 1931 und politisch motivierten Verhaftungen 1933 aus Deutschland, zunächst in die Schweiz, dann nach Mailand in Italien. Auf seine Produktivität hatte die Flucht kaum Auswirkungen. Aus finanzieller Not musste er sich zunächst eine Zeit als Grafiker durchschlagen und trug so zur Erneuerung der Werbegrafik in Italien bei. So ist das von ihm entworfene Plakat für die Reiseschreibmaschine Ico von Olivetti eine Inkunabel der angewandten Fotografie und Reklamekunst. Plakate für Cinzano, Motta, San Pellegrino oder illy Caffè machten ihn bekannt und bescherten ihm kommerziellen Erfolg.

1936 emigrierte Schawinsky in die USA. Dort unterrichtete er am Black Mountain College und wurde einer der bedeutendsten Vertreter des transatlantischen künstlerischen Austauschs. Als Leiter der „Stage Studies“ griff Schawinsky seine Ideen zum Bühnenraum und dem Theater als Versuchslabor wieder auf und entwickelte sie weiter. Unter dem Titel Spectodrama inszenierte er mit Studierenden mehrere Stücke, so 1936 sein Spectodrama: Play, Life, Illusion und 1938 Danse Macabre: A Sociological Study.

Kaum verwunderlich also, dass der Titel der Doppelausstellung im Mudam denselben Titel trägt wie eine seiner ersten Performances, die er als Lehrender gemeinsam mit seinen Schüler/innen entwickelte. Diese Performance gilt in ihrer Verknüpfung von Kunst, Wissenschaft sowie von Musik, Tanz, Schauspielerei, Malerei, Bühnenbild und Lichtgestaltung als eine frühe Vorwegnahme der prozesshaften Performancekunst.

1938 zog Schawinsky von North Carolina nach New York, um als Grafiker und Dozent für Malerei an der New York University und am City College zu arbeiten; ein Jahr später wurde er US-amerikanischer Staatsbürger. Als Designer entwarf er für die US-Luftwaffe Tarnmuster; der Krieg schlug sich aber auch in seiner künstlerischen Produktion nieder. Der wohl bekannteste Zyklus der Werke, die in den 1940er und 1950er Jahren in den USA und im Ausland ausgestellt wurden, ist die Serie Faces of War (1942): nicht düster-verstörend und ironisch antimilitaristisch wie etwa die Werke George Grosz‘s, sondern der Formensprache des Bauhauses verpflichtet: fröhlich-bunt, zugleich verstörend und damit ambivalent wirken Schawinskys Mensch-Maschinen, wie etwa sein Werk Camouflaged Outpost (1942).

Prozessbasierte Malerei

Ende der 1950er Jahre begann er mit einer Methode, die den performativen Charakter direkt in den Schaffensprozess eingliederte: Er fuhr mit seinem Auto durch Ölfarbe und dann über ausgebreitete Leinwände, sodass die Autoreifen zum Pinsel der als „Track-Paintings“ betitelten Bilder wurden. So bewirbt ihn das Mudam denn auch als „Pionier in der Entwicklung der Performance als Kunstform“. Wiederholt liest man: „Die Vorreiterrolle, die er im Bereich der Performance hatte, findet in vielen Bereichen der heutigen Kunst ihren Widerhall.“

An seine Technik der prozessbasierten Malerei knüpft auch Monster Chetwynd an: hinter der Modelleisenbahn sind großformatige Bilder zu sehen, die mithilfe eines Autos hergestellt wurden, das über breite Tuchbahnen gefahren ist und die unzweifelhaft von Schawinskys Track-Paintings inspiriert sind.

Die Ausstellung solle zur Wiederentdeckung von Schawinskys Werk beitragen, das bis vor kurzem noch unzugänglich war. Sie entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Nachlass von Xanti Schawinsky.

Gegenüberstellung: ein gelungener Dialog?

Einem aktuellen Trend folgend werden die Werke zweier Künstler/innen aus unterschiedlichen Epochen gegenübergestellt, damit diese in einen „einzigartigen Dialog“ treten. Komme die Inspiration für Xanti Shenanigans auch von Schawinskys Werk, so nähere sich Chetwynd seiner Arbeit doch mit großer Freiheit, wovon der Titel Shenanigans („Streiche“, „Gaunereien“) zeuge. Sie borge so einige von Schawinskys künstlerischen Prinzipien und Motiven, wie manche Formen seiner Kostüme und seiner Bühnenbilder, liest man im begleitenden Ausstellungstext.

Doch der intendierte Dialog gelingt leider nicht immer so überzeugend. Während die Werke Schawinskys beeindrucken, wirken die Werke Monster Chetwynds im Foyer des Mudam zwar verspielt, doch im Kontrast konzeptionell ein wenig einfach. Mag Performance-Kunst auch im Mittelpunkt der Ausrichtung des Mudam stehen, so sollte der Bogen nicht zu zwanghaft gespannt werden. Die umfassende Retrospektive Schawinskys‘ hätte vollkommen ausgereicht. Denn vor allem der Blick auf seine Anfänge macht deutlich, wie vielseitig Xanti Schawinsky als forschender intermedialer Künstler beständig experimentierend gewirkt hat.

Die Doppel-Ausstellung Xanti Schawinsky:
Play, Life, Illusion – a Retrospective + Monster Chetwynd: Xanti Shenanigans ist noch bis zum
5. Januar 2025 im Mudam zu sehen.

Anina Valle Thiele
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