Mit Fokus ist Frank Engel ein politischer Marketingcoup gelungen. Dabei war er bei der Vorstellung nicht einmal anwesend

„E flotte Marché“

d'Lëtzebuerger Land du 25.02.2022

Ee Kampf a mengem Bauch Das Hotel-Restaurant Bivius in der route d’Arlon liegt direkt an der Autobahnauffahrt zur A6. Davor hieß es Hotel Le Dany und es hatte den Ruf, besonders beliebt zu sein bei Männern und Frauen, die fremdgingen. Genau der richtige Ort, um eine neue Partei vorzustellen, die zu zwei Dritteln aus Mitgliedern besteht, die vorher bereits in anderen Parteien aktiv waren. Ihr Leader Frank Engel (46) tritt bisweilen auf wie ein Politstar. Obwohl er bislang nur Abgeordneter im EU-Parlament war und seit 2019 kein politisches Mandat mehr bekleidet, hat der Mann mit dem grauen Wollschopf, dem Dreitagebart und einer Vorliebe für Tweed-Anzüge in den vergangenen Monaten die Schlagzeilen bestimmt. Als Parteipräsident mischte er die CSV auf, die sich seiner mit einer Klage wegen eines angeblich illegalen Arbeitsvertrags entledigen wollte. Das Gericht sprach Engel im Dezember frei. Das Enfant terrible konnte am Montag aber nicht dabei sein, als Fokus vorgestellt wurde, die Partei, die er elf Monate nach seinem Rücktritt als CSV-Präsident gegründet hat. Er musste ins Krankenhaus. „Et leeft ee Kampf a mengem Bauch, eng Entzündung vum Pancréas“, schrieb er am Mittwoch auf Facebook.

Deshalb stellte ihr Präsident Marc Ruppert (37) am Montag die Themen in den Fokus, die „den Menschen unter den Nägeln brennen“: Klima, Wohnungsbau, Mobilität, Schule und Rechtsstaat. Rupert war 2015 Generalsekretär der DP geworden. Nach einem Machtkampf mit Präsidentin Corinne Cahen legte er im November 2017 sein Amt nieder. Von den 20 Gründungsmitgliedern von Fokus war rund ein Drittel vorher bei den Liberalen, vier waren bei der CSV, einer bei den Grünen. Die restlichen Mitglieder waren bislang nicht parteipolitisch aktiv. Sie sind Ökonomen in der Fondsindustrie, bei der Zentralbank und bei der CSSF, arbeiten im Enseignement, sind Unternehmer oder Manager.

Zur letzten Kategorie gehört Jacques Linster (66). Bis Ende 2013 war er Administrateur délégué von Panelux SA (Fischer), von 2014 bis 2017 Generaldirektor des Schlachthausbetreibers und Fleischhändlers Coboulux, wo er bis heute neben Flavio Becca und der Anwaltsfamilie Faltz im Verwaltungsrat sitzt. Als Schatzmeister von Fokus startete er am Montag einen Spendenaufruf für die Partei. Frank Engel hatte noch Ende Oktober im RTL Radio erklärt, dass ihm das Geld für eine neue Partei fehle. Die naheliegende Vermutung, dass Linster nun zu seinen Mäzenen gehöre, wies Präsident Ruppert am Montag zurück.

Modern Entrepris Generalsekretär Gary Kneip (66) ist Unternehmer. Erst war er im IT-Bereich tätig, heute verdient er sein Geld in der Altenpflege. Kneip war Präsident der Handelskonföderation und des Wirtschafts- und Sozialrats. 2017 ging er in Käerjeng für die DP als Spitzenkandidat in die Kommunalwahlen, musste sich jedoch dem Gemeinderat Nico Funck geschlagen geben. Bei Fokus wagt er nun einen neuen Versuch. Die Partei will der frühere Wirtschaftslobbyist aufbauen und leiten wie eine Firma. Die „manageriell intern Strukture“ sollen „reell funktionéieren“; „wéi eng modern Entrepris“ soll Fokus geführt werden, sagte Kneip am Montag. Die Politik sei „e flotte Marché“, für 260 000 bis 300 000 Wähler habe Fokus nur zehn Konkurrenten, die meisten davon seien schon in ihrer Ideologie festgefahren. Fokus wolle etwas ganz neues schaffen, pragmatisch und ideologiefrei wolle sie sein, ihr Parteiprogramm wolle sie zusammen mit ihren Mitgliedern und Fachleuten transparent und partizipativ in Arbeitsgruppen erstellen. Bei den Kommunalwahlen will Fokus mit offenen Listen antreten.

Neu ist das alles nicht, aber es passt ganz gut in den politischen Zeitgeist. Die Piraten gehen schon seit Jahren so vor und sogar die CSV hat auf ihrem letzten Nationalkongress in Junglinster beschlossen, externe Expert/innen und Nicht-Mitglieder aus der Zivilgesellschaft stärker einzubinden. Die Initiative dafür ging noch von Frank Engel aus. Diese zunehmende Öffnung, die auch bei anderen Volksparteien zu beobachten ist, wurde weniger aus der Tugend als aus der Not heraus geboren. Immer weniger Bürger/innen wollen sich politisch engagieren, und wenn doch, wollen sie sich nicht parteipolitisch binden. Die Individualisierung der Gesellschaft geht Hand in Hand mit einem Vertrauensverlust in die Volksparteien und einer Zersplitterung der Parteienlandschaft.

Parteien werden von den Wähler/innen zunehmend als Organisationen oder Unternehmen betrachtet, die politische und gesellschaftliche Probleme praktisch lösen sollen. Weil das Bildungsniveau in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen ist, haben die Bürgerinnen oft selbst schon eine Vorstellung davon, wie das am besten gehen soll. Sie wollen ihr Schicksal nicht in die Hände von einigen gewählten Politikern legen, sondern mit ihrer Expertise am Lösungsprozess teilnehmen. Weil der Kapitalismus glaubhaft vermitteln kann, dass er das bestmögliche und einzig funktionierende System sei, ist das Bedürfnis nach anderen Ideologien, Gesellschaftsentwürfen und Utopien geschwunden. Christentum und Klassenkampf gelten als überholt.

Der Dritte Weg „Die Politik der Neuen Mitte und des Dritten Weges richtet sich an den Problemen der Menschen aus, die mit dem raschen Wandel der Gesellschaften leben und zurechtkommen müssen. In dieser neu entstehenden Welt wollen die Menschen Politiker, die Fragen ohne ideologische Vorbedingungen angehen und unter Anwendung ihrer Werte und Prinzipien nach praktischen Lösungen für ihre Probleme suchen, mit Hilfe aufrichtiger, wohl konstruierter und pragmatischer Politik“, schrieben Tony Blair und Gerhard Schröder im Juni 1999 in einem gemeinsamen Positionspapier. Nach rund 20 Jahren konservativer Dominanz wollten sie die Sozialdemokratie dauerhaft etablieren, indem sie sie für neue Wählerschichten öffneten. Im linken Spektrum galt das Papier als eine Abkehr der Sozialdemokratie von der Arbeiterschaft und als gesellschaftliche Legitimierung neoliberaler Politik und der Ellbogengesellschaft. Wie sich im Nachhinein herausstellen sollte, war diese Einschätzung richtig, denn der Dritte Weg hat zu einer Präkarisierung des Arbeitsmarkts, zu Sozialabbau und einer Zunahme der sozialen Ungleichheiten geführt. Nicht zuletzt hat er die Sozialdemokratie in eine tiefe Krise gestürzt, die „Mitte“ für populistische bis rechtsextreme Parteien geöffnet und radikal linke Parteien ins politische Abseits gedrängt.

Der Gegensatz von Ideologie und Pragmatismus prägt seit einigen Jahren auch in Luxemburg den politischen Diskurs. Der DP sei Pragmatismus wichtiger als Prinzipien, erklärte ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Claude Meisch im Wahlkampf von 2013 dem Land. Im Juni 2018 forderten die CSV-Hardliner Laurent Mosar und Gilles Roth in einem Beitrag im Wort „Pragmatismus statt Ideologie“ bei der Scheidungsreform. Im August 2021 meinte der frühere sozialistische Vizepremier Dan Kersch in einem Interview mit Le Quotidien „Pour discuter, il faut moins d‘idéologie et plus de pragmatisme“ und auch seine Nachfolgerin Paulette Lenert ist stolz auf ihren Pragmatismus. Selbst OGBL-Präsidentin Nora Back hatte im Juli 2020 dem Paperjam erklärt, ihr Motto zur Verhinderung einer sozialen Krise in der Pandemie habe gelautet: „le pragmatisme d‘abord, l‘idéologie ensuite!“.

Als zweite Partei nach der DP hatten die Piraten diese Einstellung zu ihrem Grundsatz erhoben. Im Gegensatz zu den dogmatischen Grünen und Linken seien die Piraten eher pragmatisch, lösungsorientiert und auf Kompromisse ausgerichtet, sagte Jungunternehmer Sven Clement im August 2021 dem Land. Die CSV hat sich vor fünf Monaten auf ihrem Statutenkongress in Oberkorn von ihrer christlichen Weltanschauung verabschiedet. An den Katholizismus glaubt nur noch die ADR, der Klassenkampf ist lediglich für die KPL und Teile der Linken noch eine Realität. Auch den Grünen wird immer wieder eine „ideologische Verbotspolitik“ vorgeworfen, doch deren Ideologie hat sich 2013 in Luft aufgelöst.

Bürgerlich Die Selbstdarstellung von Fokus als eine „andere Partei“ mit einem ganz neuen Konzept ist demnach vor allem geschicktes Unternehmensmarketing. Dazu gehört auch das türkisblaue Logo, das die Beliebigkeit der Partei angemessen widerspiegelt. Vermutlich ist es eine Anspielung an die „neue“ ÖVP und den wegen Korruptionsvorwürfen geschassten Kanzler Kurz, der nun für den ultraliberalen Tech-Milliardär und Monopolisten Peter Thiel arbeitet. Der gelbe Punkt erinnert farblich an die deutsche FDP und von der Form her an den grünen Punkt, mit dem die DP sich schmückt. Zu den 20 Gründungsmitgliedern von Fokus zählt auch Bob Hochmuth (69), CEO der Werbeagentur Paradigm Media .

Sieht man vom Marketing und Frank Engel ab, hat Fokus bislang nichts zu bieten, das ihre hohen Ansprüche rechtfertigt. In den nächsten 100 Tagen will die Partei 100 neue Mitglieder finden, die sich öffentlich zu ihr bekennen. Schon bei den Kammerwahlen 2023 will sie in die Regierung. Im Mai will die Partei ein Grundsatzprogramm vorlegen. Basieren soll es auf „bürgerlichen Werten“, die laut Ruppert da wären: Respekt, Solidarität, Einsatz, Eigenverantwortung, fortschrittliche Einstellung zur Problemlösung und Manieren. Nicht zu den bürgerlichen Werten gehörten Egoismus, Non-Foutismus, auf sich selbst basierte Freiheit und Kurzsichtigkeit in der Politik.

„Die Ideologie ist eine ‚Repräsentation‘ des imaginären Verhältnisses der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen“, schrieb der marxistische Philosoph Louis Althusser vor über 50 Jahren. Vieles deutet folglich darauf hin, dass die fast ausschließlich von Angehörigen der oberen Mittelschicht gegründete Fokus letztendlich nur eine weitere bürgerliche Partei sein wird, die in die „Mitte“ drängt, wo bereits die anderen um die Stimmen der wahlberechtigten 50 Prozent kämpfen. Da die Luft dort ziemlich dünn ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass insbesondere CSV, DP, LSAP und Grüne 2023 an Zustimmung verlieren werden. Das könnte dazu führen, dass nach den nächsten Wahlen nur noch Viererkoalitionen mehrheitsfähig sind. Weil die bürgerlichen Parteien sich aber fast nur noch personell voneinander unterscheiden, spielt es im Endeffekt keine große Rolle, ob nun zwei, drei oder vier von ihnen sich zusammentun.

Gewicht Die Zukunft von Fokus wird vor allem davon abhängen, wie die Partei mit ihrem Politstar umgeht. Die Inhalte sollen zwar gemeinsam erarbeitet werden, doch natürlich habe Frank Engel ein gewisses Gewicht, wenn er in die Diskussionen hineingehe, sagte Ruppert. Engel, dessen politische Karriere bei der Gréng Alternativ Partei begann und der inzwischen Mitglied des Direktoriums von Hydrogen Europe ist, hat in der Vergangenheit zur Genüge gezeigt, wie eigensinnig und unberechenbar er sein kann. Die Ideen von Erbschafts- und Vermögenssteuern seien ihm als einstiger Präsident des Wirtschafts- und Sozialrats nicht fremd, antwortete Gary Kneip auf die Frage eines Journalisten. Der Fondsmanager und das frühere CSV-Mitglied Ervin Zaljevic meinte, neben dem Wohnungsbau sei die Kriminalität das größte Problem in Luxemburg. Frank Engel dürfte das freuen. In seinem Positionspapier Mir, d‘CSV, das er zwei Wochen vor seinem Rücktritt veröffentlichte, hatte er gefordert, „wee fir d’zweet engem anere Gewalt undeet, muss wëssen, datt en domat sécher am Prisong lant“, und sich für eine „Null-Toleranz-Politik géint Drogenhandel an déi domat verbonne Kriminalitéit“ ausgesprochen. Fokus hat Frank Engel am Montag schmerzlich vermisst. Sobald er gesund ist, will die Partei eine weitere Pressekonferenz abhalten.

Luc Laboulle
© 2024 d’Lëtzebuerger Land