Deutschland

Von guten und schlechten Verlierern

d'Lëtzebuerger Land du 14.12.2018

Es rumort in Deutschlands konservativer Volkspartei: der Christlich Demokratischen Union. Die Mitglieder stimmten diese Woche mit den Füßen ab. So spricht die Landesgeschäftsstelle des baden-württembergischen Landesverbands von mehreren Austritt seit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Nachfolgerin von Angela Merkel. Auf der einen Seite. Auf der anderen stünden dem jedoch auch Eintritte gegenüber. Mit derzeit rund 65 000 Mitgliedern ist der baden-württembergische Landesverband derzeit der zweitgrößte nach Nordrhein-Westfalen und hat dementsprechend Gewicht. Bei der Wahl zum Parteivorsitz am vergangenen Wochenende in Hamburg haben 154 Delegierte mit gewählt. Die Mehrheit sprach sich für Friedrich Merz aus – und die zeigen sich nun als schlechte Verlierer. CDU-Landeschef Thomas Strobl bekräftigte zwar zu Beginn der Woche, dass man geschlossen hinter Kramp-Karrenbauer stehe. „Wir werden unsere neue Vorsitzende unterstützen und uns aktiv einbringen“, erklärte er in einem Gespräch mit dem Südwestrundfunk (SWR). Das hieße aber „freilich auch: kein ‚Weiter so!‘“. Die baden-württembergischen Delegierten hätten auf dem Hamburger Parteitag ihre Erwartungen in den Kandidaten Merz projiziert, sagte Strobl. „Diese Erwartungen müssen sich auch in der Arbeit der CDU Deutschland widerspiegeln – und zwar möglichst schnell.“ In einem Jahr müssten die neuen Akzente sichtbar sein, forderte Strobl.

Aber reicht ein neuer Name, ein neuer Mensch, ein neues Gesicht an der Spitze der CDU für einen Neustart wirklich aus? Es ist diese Frage, die derzeit die politische Szene in Berlin beherrscht. Und: „Kann Annegret Kramp-Karrenbauer Kanzlerin?“ Politische Strategen aller Parteien im Bundestag spielen derzeit das Szenario durch, dass Angela Merkel in etwa einem Jahr auch als Bundeskanzlerin zurücktritt, entgegen ihrer Beteuerung das Amt bis zum Ende der Legislaturperiode innezuhaben. Parteipolitisch macht diese Option Sinn, denn sie gäbe Kramp-Karrenbauer zwei Jahre Zeit sich im Amt zu bewähren und als Nachfolgerin auch als Kanzlerin zu etablieren und vom Amtsbonus zu profitieren. Dies wäre ein gewünschter, geordneter Rückzug. Doch dem entgegensteht die Vermutung, dass mit dem Rücktritt Merkels auch die Große Koalition zwischen Christ- und Sozialdemokraten zerbrechen würde, was in der Konsequenz Neuwahlen bedeutete.

Die Spin-Doktoren und Kulissenflüsterer in Berlin sind sich darüber einig, dass der politische Kurs von Annegret Kramp-Karrenbauer irgendwo zwischen zwei Positionen seine Leitplanken erfahren wird: Entweder ist die CDU in ihrer programmatischen Ausrichtung auf Mäßigung und Rationalität bestätigt worden – dann wird die Kunst der neuen Parteichefin darin bestehen, dem konservativen und wirtschaftsliberalen Flügel mehr Einfluss zu verschaffen, um eine Spaltung der Partei zu verhindern. Oder der hauchdünne Sieg der Saarländerin ist – aus der zeitlichen Distanz betrachtet – eher eine Niederlage, denn die Anhänger von Friedrich Merz und Jens Spahn werden nun alles daran setzen, den Kurs der Partei ins Marktliberale und Wertkonservative zu wenden, um die Stellung von Kanzlerin Angela Merkel so zu untergraben, dass sie eher früher denn später die Kanzlerschaft aufgibt und das Feld räumt – nur für wen? Dies wäre ein ungeordneter Rückzug Merkels, der in der Konsequenz zum gleichen Ergebnis führen wird: vorgezogene Neuwahlen. Nur die Position der CDU wäre eine völlig andere.

Annegret Kramp-Karrenbauer versucht derweil den Balanceakt zwischen Fortführung und Abgrenzung gegenüber Angela Merkel. Der erste Prüfstein für die neue Parteichefin steht auf der politischen Agenda: der Umgang mit dem Paragrafen 219a des deutschen Strafgesetzbuches und der Frage, ob es Ärztinnen und Ärzten verboten ist, darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Kramp-Karrenbauer drückt sich hier erkennbar um eine Formulierung, aus der man hätte entnehmen können, dass sie sich der Relevanz der Auseinandersetzung bewusst ist. Sie wird begreifen müssen, dass dies zu einem möglichen Bruchpunkt der derzeitigen Koalition werden könnte.

So bemüht sich die Neue von der CDU zunächst um weitgehende Kontinuität. Doch dies wird sich schneller ändern, denn manch ein politischer Beobachter derzeit erahnen kann. Sie muss die Partei zur Geschlossenheit führen. Wie nötig das ist, zeigte die Wahl ihres Generalsekretärs Paul Ziemiak. Er stand bislang nicht auf der Favoritenseite der neuen Parteichefin und seine Berufung zum Generalsekretär galt als ein erstes Zugeständnis an die unterlegenen Flügel – doch danken wollte ihr dies die Partei nicht. Der weitere Weg von Kramp-Karrenbauer wird von der Schärfung des Profils, des konservativen Prägung der Christdemokratischen Union bestimmt werden. Angela Merkels Kanzlerschaft wurde und wird vor allen Dingen dadurch geleitet, dass die Politik gesellschaftlichen Änderungen folgte und diesen einen rechtlichen Rahmen gab – dies zuweilen auch, wie bei der Neuregelung der Ehe, gegen den Willen aber nicht gegen den Widerstand Merkels. Gesellschaftspolitisch ist Kramp-Karrenbauer weitaus konservativer als es zuweilen den Anschein hat – und als es Kanzlerin Merkel ist.

Angela Merkel, die oftmals ihrem Gefühl für Stimmungen folgte, räumte zu Beginn ihrer Karriere innerparteiliche Kritiker und Kontrahenten ab, einen nach dem anderen. So auch Friedrich Merz. Das kann Kramp-Karrenbauer nicht. Sie muss ihre Gegner einbinden. Dazu benötigte die Partei ein eindeutiges Profil, das unter Merkel unscharf blieb und auf die politische Mitte setzte. Dass diese in Zeiten der gesellschaftlichen und ökonomischen Modernisierung nach konservativen Mustern sucht, spielt Kramp-Karrenbauer in die Karten. Die Mitglieder der CDU suchen dabei nach einer deutlichen Sprache und eindeutigen Vorgaben. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer als führende Christdemokratin wird sich einiges ändern. Nicht nur in der Partei, sondern auch im Land.

Martin Theobald
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