d’Land: Herr Hagspiel, welche Rolle haben Sie als Regierungskommissar für Energie?
Simeon Hagspiel: Sie ist im Strommarktgesetz und im Gasmarktgesetz definiert. Insbesondere bin ich zuständig für die Überwachung der Versorgungssicherheit mit Strom und Gas. Dazu sammle ich Informationen über die Akteure und Entwicklungen, analysiere sie und erstelle alle zwei Jahre Berichte, die auch veröffentlicht werden. Zudem berate ich die Politik auch in allgemeinen Energiefragen und liefere dabei insbesondere eine technische Expertise.
Dann haben Sie vermutlich eine ziemlich konkrete Vorstellung vom Luxemburger Energieversorgungssystem der Zukunft. Gibt es dazu eine Strategie und einen Plan zur Umsetzung, wenn zum Beispiel bis 2050 Klimaneutralität erreicht sein soll? Oder ist das vor allem Sache der EU, weil Strommarkt und Gasmarkt im Binnenmarkt „integriert“ sind und die EU auch die großen klimapolitischen Vorgaben macht?
Da spielen verschiedene Dimensionen zusammen. Die politische Zuständigkeit ist zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilt. Gleichzeitig sind die Märkte für Strom und Gas sowohl in der Produktion wie auch im Verbrauch liberalisiert. Es wird nicht planwirtschaftlich festgelegt, wo und wann welches Kraftwerk gebaut wird, weil dort demnächst so und so viel Strom verbraucht wird. Die Marktkräfte spielen, allerdings in einem gewissen Rahmen und nach gewissen Regeln.
Aber ist nicht ein enormer Strukturwandel im Gange? Wenn immer mehr Wind- und Solarstrom in die Netze kommt, wird die Versorgung immer dezentraler. Im Vergleich zu früher, als es nur große Kraftwerke gab. Ich denke, das stellt Riesenanforderungen an die Netze. Muss man das nicht planen?
Doch, und das geschieht auch. In Luxemburg stellen die Netzbetreiber Entwicklungspläne auf und aktualisieren sie regelmäßig. Der Ausbaubedarf ist tatsächlich enorm – in den nächsten zehn Jahren wird allein für die Stromnetze von einem jährlichen Investitionsbedarf im dreistelligen Millionenbereich ausgegangen. Da Infrastrukturen natürliche Monopole sind, ist dieser Bereich nicht liberalisiert, da kümmern sich Regulierungsbehörden – in Luxemburg das ILR – darum, dass alles richtig läuft.
Und bei der Versorgung kommen aus den Märkten die richtigen Entwicklungen, hin zur Dekarbonisierung zum Beispiel?
Das ist tatsächlich eine interessante Frage: In welchem Detailgrad wird ein System der Zukunft politisch und reglementarisch vorgegeben, und inwiefern findet der Markt Lösungen? Am Ende sorgt immer ein Zusammenspiel aus Politik, regulatorischem Rahmen und privaten Investitionen dafür, dass das System sich entwickelt. Wie das Zielsystem aussieht, ist nicht so eindeutig. Wichtig sind politische Ziele, die eine Stoßrichtung vorgeben. Dass im Jahr 2050 Klimaneutralität erreicht sein soll, für die EU und auch für Luxemburg, ist solch ein Ziel. Für den Weg dorthin gibt es Zwischenetappen. Die Etappe bis 2030 ist sowohl für die EU als auch für Luxemburg bereits verbindlich vorgeschrieben. Für den Zeitraum bis 2040 wird das vorbereitet. Diese Ziele legen die Leitplanken fest, an denen sich der Markt orientiert.
Wie ist Ihr Blick auf die Energiekrise 2022/23? Nicht nur wollte nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine die EU möglichst schnell möglichst unabhängig von Gas aus Russland werden. Hinzu kamen Wartungsprobleme in französischen Atomkraftwerken, dadurch gab es weniger Strom aus Frankreich. Wegen langer Trockenheit stand auch weniger Strom aus Wasserkraft zur Verfügung. Die Preise waren entsprechend hoch, zum Teil extrem hoch.
Eine wichtige Energiequelle für die EU war weggefallen, das hatte natürlich Implikationen. Die extreme Preisvolatilität war Ausdruck davon. Aber es gab zu keinem Zeitpunkt Ausfälle, weder beim Strom noch beim Gas. Deshalb meine ich, dass wir – die EU wie auch Luxemburg – die Krise gut bewältigt haben. Dennoch war es eine schwierige Zeit, die heute noch immer nachwirkt. Sowohl technisch, wirtschaftlich als auch politisch war es eine große Herausforderung, kurzfristig neue Energiequellen zu erschließen, Energieflüsse umzuleiten, Speicher strategisch zu nutzen und die Nachfrage zu reduzieren. Dabei hat vor allem auch der Markt geholfen, Lösungen zu finden und die Allokation von Strom und Gas so zu organisieren, dass es nicht an einer Stelle Ausfälle gab, an anderer Stelle Überschuss. Wenn ich diese Erkenntnis auf die Energiewende übertrage, mit der ebenfalls tiefgreifende Änderungen anstehen, dann wird auch dort der Markt eine wichtige Koordinierungsrolle spielen. Zentralplanerisch-administrativ würde sich das nicht organisieren lassen mit den vielen alten und neuen Akteuren: Großen wie kleinen Produzenten, Energieversorgern, begrenzten Infrastrukturen, Endverbrauchern mit ihren Bedarfen, und das alles gekoppelt mit der Tatsache, dass Solarstrom und Windstrom nicht kontinuierlich zur Verfügung stehen. Der Markt zieht das alles in Betracht.
Welche Rolle spielen die Energiebörsen dabei? Es gibt im Gasbereich mehrere so genannte „Hubs“ für den Handel. Luxemburg gehört zu einem Hub-Markt mit Belgien. Beim Strom gibt es „Gebotszonen“. Da ist Luxemburg in einer Zone mit Deutschland.
Die Börsen sind das Basiskonzept für den Großhandel mit Strom und Gas. Der erfolgt dort sowohl langfristig, über Monate oder Jahre im Voraus, als auch kurzfristig, von einem Tag zum nächsten oder innerhalb eines Tages. In einer Strom-Gebotszone oder im Gebiet eines Gas-Hubs ist der Börsenpreis gleich. In der Strom-Zone Deutschland-Luxemburg spielt es keine Rolle, ob eine Kilowattstunde im Ösling oder in Berlin produziert wurde. Natürlich kann ein Stromversorger auch in einer anderen Zone einkaufen. Aber dann gibt es gegebenenfalls Engpässe bei den Infrastrukturen, wofür extra bezahlt werden muss. So bringt der Markt Angebot und Nachfrage sowie die begrenzte Infrastruktur zusammen.
Sprechen wir von Luxemburg: Der nationale Energie- und Klimaplan (Pnec) geht davon aus, dass die Gas-Nachfrage von aktuell 6 400 Gigawattstunden bis 2040 auf 1 700 Gigawattstunden sinkt und dann vor allem noch den Heizbedarf von Haushalten deckt. Der Stromverbrauch würde von heute rund 6 000 Gigawattstunden auf 8 000 im Jahr 2030 und auf 10 000 im Jahr 2040 zunehmen. Weshalb dieser große Zuwachs?
Einerseits, weil dem Pnec Schätzungen über die wirtschaftliche und demografische Entwicklung des Landes zugrundeliegen. Bei Wachstum steigt auch der Strombedarf. Andererseits spielen die politischen Ziele eine Rolle: Senkung des CO2-Ausstoßes; mehr erneuerbare Energien; mehr Energieeffizienz. Schaut man sich die verfügbaren Technologien an, sieht man, dass die Elektrifizierung viele Vorteile hat. Mobilität und Heizen machen einen großen Teil des Luxemburger Energieverbrauchs aus. Für diese Zwecke ist Strom zwei bis fünf Mal effizienter als fossile Alternativen, bei denen es viele thermische Verluste gibt. Ein Verbrennerauto hat nur etwa 30 Prozent Wirkungsgrad, ein Batterieauto an die 90 Prozent. Wärmepumpen liegen etwa in derselben Größenordnung. Strom ist zudem relativ einfach zu dekarbonisieren, weil wir Lösungen dafür haben, Windkraft und Fotovoltaik zum Beispiel.
Laut Pnec soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch bis 2030 auf 37 Prozent steigen. Beim Stromverbrauch für sich betrachtet, auf etwa 40 Prozent. Steigt der Stromverbrauch 2030 auf 8 000 Gigawattstunden, wären 40 Prozent davon 3 200 Gigawattstunden. 2023 kamen etwas mehr als 1 200 Gigawattstunden aus heimischer grüner Produktion. Innerhalb von sieben Jahren müsste es also fast eine Verdreifachung geben. Wo soll sie herkommen?
Aus den vielen Wind-, Fotovoltaik- und Biomasse-Anlagen, die wir national auf den Weg bringen. Wir fangen ja nicht bei Null an. Wir haben schon viel geschafft und es gibt viel Bereitschaft, weiterzumachen. Für das Ziel der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch (37%) wird außerdem ein Teil mit europäischen Kooperationen abgedeckt werden können. Luxemburg hat zum Beispiel eine Kooperation mit Dänemark – wird Strom von dort bezogen, fällt das unter heimische Produktion.
Luxemburg bekäme in jedem Fall viele neue, eher kleine Produzenten. 2023 zählte das ILR beim Solarstrom mehr als 13 600 „Zentralen“. 2020 waren es noch 8 300. Wenn diese Zahl noch weiter wächst – wie managt man so etwas? Da wären ja wahrscheinlich auch Selbstversorger dabei, und Gemeinschaften aus Selbstversorgern, die unter sich Strom teilen. Hinzu kommt, dass Wind- und Solarstrom nicht immer zur Verfügung stehen.
Berechtigte Frage. Das ist das immer dezentraler werdende System. Für den Umgang damit sind Daten und eine gewisse Intelligenz im System sehr wichtig. Hinzu kommt, was wir schon angesprochen haben: Der regulatorische Rahmen muss so gesetzt werden, dass jede Anlage einerseits im Sinne ihres Betreibers funktioniert, andererseits aber auch im Sinne des Gesamtsystems. Diese Fähigkeit wird oft mit „Flexibilität“ beschrieben. In dem Begriff steckt die Frage, wer entnimmt dem System zu welchem Zeitpunkt wie viel Energie?
Man möchte dann den Verbrauch steuern? Der Stromkunde bekäme gesagt: Wenn Sie Strom nicht zur Spitzenzeit aus dem Netz entnehmen, sondern außerhalb, bekommen Sie einen besseren Preis?
So zum Beispiel könnte man das Zusammenspiel optimieren, weil Preise Anreize zum Mitmachen setzen. Diese Entwicklung ist keine Zukunftsmusik, sondern in vollem Gange, Luxemburger Versorger bieten seit kurzem dynamische Preise an. Das geht, weil in Luxemburg sehr früh entschieden wurde, smart meters zu installieren, intelligente Zähler, die die notwendigen Daten über Produktion und Verbrauch liefern. Darüber hinaus wird an einer Datenplattform gearbeitet, die den Verbrauchern diese Daten noch sicherer und leichter verfügbar macht. Dadurch können Produkte angeboten werden, die die Herausforderungen der Energiewende in Opportunitäten ummünzen, sowohl für den Einzelnen, aber auch für die Energieversorger.
Es hieß schon vor Jahren immer wieder, die Stromnetze könnten so „smart“ werden, dass zum Beispiel Elektroautos als Stromspeicher dienen könnten.
So etwas kann Teil der Lösung sein. Speicher spielen generell eine wichtige Rolle. Immer mehr Leute fügen ihrer Fotovoltaikanlage einen kleinen Speicher hinzu, um die Anlage zu optimieren. Wärmepumpen haben eine gewisse thermische Trägheit, mit der gespielt werden kann. Unternehmen, gerade die mit hohen Energiekosten, haben heutzutage ein wesentlich größeres Interesse als früher, nach Möglichkeiten zu suchen, um von vergünstigten Tarifen zu profitieren. Der regulatorische Rahmen für „smarte“ Lösungen wurde geschaffen, jetzt braucht es die Innovationskraft des Sektors, um solche Lösungen auch zu implementieren.
Gibt es im Luxemburger Stromnetz schon große Speicher als Puffer?
Das Pumpspeicherwerk in Vianden!
Aber das ist Teil des deutschen Netzes. Oder ist das egal, so eng wie die Netze beider Länder zusammenhängen, und angesichts der gemeinsamen Gebotszone?
Im Grunde ist es egal. Luxemburg profitiert ganz stark von Vianden. Auch für seine Versorgungssicherheit, um im Falle einer Krise Stabilität bieten zu können oder das System wieder hochzufahren. Speicher allgemein sind nicht revolutionär neu. Künftig aber werden mehr davon gebraucht, zum Beispiel in Form von Heimspeichern, Großspeichern für Wohnviertel oder auch als Elektroautos. Natürlich haben Speicher einen Kostenpunkt. Es hätte keinen Sinn, in jeder Ecke des Landes solche Batterien zu installieren, aber an strategischen Punkten im System ist das sicher interessant. Ein anderer Ansatz wären Anlagen zur Elektrolyse von Wasserstoff. In Tanks gelagert, würde er als Speichermedium dienen. Andererseits würde er nach und nach Gas ersetzen.
In Deutschland hat der Wirtschaftsminister kürzlich Vorschläge für einen „Kapazitätsmechanismus“ gemacht: Gaskraftwerke sollen als Backup einspringen, wenn nicht genug grüner Strom zur Verfügung steht. Weil das wohl aber nur ein paar Tage im Jahr nötig sein werde, würden die Kraftwerksbetreiber aus der Staatskasse entschädigt, damit es nicht unrentabel wird, die Anlage die meiste Zeit im Jahr stillstehen zu lassen. Als ich das las, hat mich einerseits verblüfft, dass da nur von ein paar Tagen im Jahr ausgegangen wird …
Im besten Falle ist das tatsächlich so, weil das System durch ein Portfolio von Lösungen stabilisiert würde: durch Speicher, intelligente Steuerung von Produktion und Verbrauch, ein leistungsfähiges Netz, aber auch steuerbare Kraftwerke. Hierzulande kommen für solche Kraftwerke zum Beispiel Biomasse-Anlagen oder Geothermie in Frage. Ein ganzes Portfolio solcher Lösungen zur Verfügung zu haben, wird sehr wichtig sein. Auf einzelne Technologien zu setzen, wäre meiner Ansicht nach grob fahrlässig.
Verblüfft hat mich an dem Vorschlag zum Kapazitätsmechanismus auch die betriebswirtschaftliche Seite: Produktion nur an ein paar Tagen, sonst Stillstand. Und dafür Geld vom Staat.
Aber gerade weil dieser Strom nur selten gebraucht würde, wäre er außerordentlich wertvoll und würde auf dem Markt teuer bezahlt. Das ist beim Strom aus dem Viandener Pumpspeicherwerk ähnlich. Die Idee, dass der Staat zusätzlich einen finanziellen Beitrag leistet, hat damit zu tun, dass solche Sicherheiten in dem neuen System zwar notwendig sind, aber nur sehr selten vorkommen werden. Daher sind sie betriebswirtschaftlich schwer darstellbar.
Würde Luxemburg davon mit profitieren, weil es so eng an Deutschland angeschlossen ist?
Technisch in jedem Fall, da die Systeme so eng miteinander verbunden sind. Organisatorisch stellt sich die Frage, wie die Interaktion im Detail organisiert wird. In der gemeinsamen Gebotszone, aber auch in der Regierungszusammenarbeit zwischen beiden Ländern ist die Kollaboration ganz eng. Im Bereich der Versorgungssicherheit hat Deutschland schon heute Reservekapazitäten, die in dieselbe Richtung zielen und in Krisensituationen zum Einsatz kommen können. Luxemburg beteiligt sich an diesem Mechanismus.
Was muss in Luxemburg in die Infrastruktur investiert werden und an welcher Stelle vor allem?
Für die Netze gibt einen klaren Investitionsbedarf, der im Versorgungssicherheitsbericht analysiert und beziffert wird. Der Luxemburger Stromverbrauch wuchs schon früher stark. Deshalb gab es immer wieder Investitionen in die Infrastruktur. Ihr Zustand ist heute gut und stellt kein Risiko dar. Der Investitionsbedarf ergibt sich vor allem mit Blick auf die Zukunft wegen des steigenden Verbrauchs. Sowohl auf der Ebene der Transportnetze (Stichwort 380 Kilovolt-Anbindung an Deutschland) als auch auf der Verteilnetzebene, dort insbesondere bei den Umspannwerken. Das Instrument zur effizienten Planung und zur Einbindung der Öffentlichkeit wurde im Juni 2023 durch eine Änderung des Strommarktgesetzes geschaffen. Sie verpflichtet die Netzbetreiber, alle zwei Jahre einen Entwicklungsplan aufzustellen und ihn auch zu konsultieren.
Der Pnec geht davon aus, dass der Gasverbrauch sinkt. Bis 2050 soll er null werden. Ab wann kann man die Gasnetze für Wasserstoff nutzen?
Darauf haben wir heute keine abschließenden Antworten. Ganz klar ist ein Interesse da, eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, als Alternative vor allem zum Gas, um die Dekarbonisierung hinzukriegen. Trivial ist der phase-out von Gas und der phase-in von Wasserstoff aber nicht, auch was die zeitliche Planung angeht. Die Versorgungssicherheit der bestehenden Gaskunden ist wichtig, man kann nicht von heute auf morgen die Gasnetze abschalten. Es wird eine Aufgabe für die nächsten Jahre sein, das ganz konkret herunterzubrechen. Bis auf einzelne Wohnviertel und einzelne Gasleitungen, um zu ermitteln, wie die Transition und dann zu einem bestimmten Zeitpunkt das Abschalten umgesetzt werden können. Das ILR hat für die neue Regulierungsperiode bereits festgelegt, dass die Gasinfrastruktur durch die Netzbetreiber schneller abgeschrieben werden kann und das ökonomische Interesse dahin gelenkt wird, nur noch in Wartung zu investieren, aber nicht mehr in den Ausbau.
Kein Gas mehr würde natürlich auch heißen, für Alternativen zum Heizen dort zu sorgen, wo Gas verwendet wird.
Ganz richtig. Da reden wir dann über Wärmepumpen, Wärmedämmung von Häusern und Wärmenetze. An der Langfriststrategie wird im Ministerium gearbeitet; das ist eine Herausforderung.
Schauen wir noch einmal auf die europäische Ebene: Frankreich scheint mit seinen AKW, die große Kraftwerke sind, die Entwicklung zur Dezentralisierung nicht mitzumachen. Ist das im EU-Kontext ein Problem, oder nicht so wichtig, solange Frankreich im integrierten Markt bleibt?
Dass Frankreich im gemeinsamen Strommarkt bleibt, ist extrem wichtig. Für den Rest der EU, aber auch für Frankreich selbst. Der integrierte Markt ist für jeden von Vorteil. Aber die Energiepolitik ist immer auch eine Kompetenz der Mitgliedstaaten, die EU-Verträge besagen das klar. Ich meine, was Frankreich betrifft, ist die Situation nicht immer so eindeutig, wie das manchmal dargestellt wird. Ich war jetzt in den Ferien dort, und habe dort viele Windräder und Solaranlagen gesehen. Der Statistik zufolge produzieren diese Technologien heute 15 Prozent des Stroms, und auch bei der Flexibilität ist Frankreich vergleichsweise weit. Die Energiestrategie Frankreichs ist sicherlich eine andere, aber auch dort muss sich vieles ändern, um die künftige Energieversorgung sicher, nachhaltig und bezahlbar zu machen. Die Energiewende mit dezentralem Ansatz wird meiner Meinung nach auch in Frankreich eine prominente Rolle einnehmen.
Zur Person
Simeon Hagspiel absolvierte an der ETH Zürich ein Ingenieurstudium in Maschinenbau mit Spezialisierung in Energietechnik. Seine Master-Arbeit schrieb er in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Netzbetreiber. An der Universität Köln erwarb er einen Doktortitel in Volkswirtschaft, mit Bezug auf Energiesysteme und Energiewirtschaft. Arbeitete anschließend als Berater. War später in Brüssel für den Verband der europäischen Stromnetzbetreiber (NCE) tätig. 2019 kam er nach Luxemburg zum damaligen Ministerium für Energie und Landesplanung (die CSV-DP-Regierung gliederte die Generaldirektion Energie 2023 ins Wirtschaftsministerium ein). Seit 2020 ist Hagspiel Regierungskommissar für Energie.