leitartikel

Stürze

d'Lëtzebuerger Land du 23.08.2024

„Zeugenaufruf“, meldete RTL Anfang dieser Woche. Konkret ging es um einen Vorfall, der sich vergangenen Donnerstag in der Oberstadt ereignet hatte: Ein Wagen rammte den hinteren Teil eines Fahrrads; das Unfallopfer fiel zu Boden und verletzte sich. Einen Monat zuvor, am 17. Juli, wurde ein 16-Jähriger an der Kreuzung vor der Adolphe-Brücke von einem Lastwagen erfasst und sein rechtes Bein überfahren. Er erlitt mehrere Knochenbrüche und musste zweimal operiert werden. Kurz vor der Sommerpause wurden die neuesten Unfallstatistiken veröffentlicht: 2015 wurden in der Kategorie „getötete und schwerverletzte Radfahrer“ 15 Personen eingetragen, 2022 waren es 28 und 2023 bereits 40. Zudem ereignen sich mittlerweile innerorts die meisten Unfälle und nicht mehr auf Landstraßen. Ein weiteres Indiz dafür, dass Alltagsradnutzer in Luxemburg-Stadt womöglich häufiger betroffen sind.

Vor der Adolphe-Brücke Richtung Gëlle Fra fanden bereits mehrere Unfälle statt. Um auf die unsicheren Achsen in der Hauptstadt aufmerksam zu machen, organisierte der junge Radfahrer Matthieu Hansen eine halbstündige Mahnfahrt. Fast 50 Personen fuhren mit ihm an der Unfallstelle vorbei. Der Verein Pro-Velo veröffentlichte im gleichen Zeitraum ein Video in den sozialen Medien mit städteplanerischen Lösungsvorschlägen aus den Niederlanden und dem Aufruf: „Act now“. Einige Maßnahmen hat DP-Mobilitätsschöffe Patrick Goldschmit in den vergangenen Jahren umgesetzt, wie Tempo-30-Zonen in Wohnvierteln. Aber ein flächendeckendes Radwegenetz lässt auf sich warten; der Schöffe spricht lieber von „punktuellen Verbesserungen“. Die Social-Media-Figur Siggy the Cyclist ärgert das; Radfahrer würden lediglich als „mobile Verkehrsberuhigungsmittel“ eingesetzt, schreibt er auf X.

Die Unfallrealität kontrastiert mit den sommerlichen Feel-Good-Aktionen, die seit ein paar Jahren zunehmen: In Esch/Alzette befördern Studierende derzeit mit einem Fahrradtaxi Menschen zwischen den Stadtteilen Brill und Belval. Die Studierenden genießen die sportliche Abwechslung mit der Rad-Rikscha, und die Touristen freuen sich über das komfortable Fortbewegungsmittel. Um Werbung für den Vëlosummer zu machen, stiegen Wirtschafts- und Tourismusminister Lex Delles (DP) sowie DP-Mobilitätsministerin Yuriko Backes gemeinsam auf ein Tandemrad – allerdings nur für eine kurze audiovisuelle Aufnahme. In einem Werbeclip kommentiert Backes mit ihrer monotonen Stimme den Vëlosummer: „Et ass eng ideal Geleeënheet, sportlech ënnerwee ze sinn an nei Géigenden um Suedel kennenzeléieren.“ Die Technokratin versteht es jedoch Zahlen, Umfragen und den städteplanerischen Zeitgeist zu interpretieren. Mit Blick auf eine Ilres-Umfrage von 2023, in der die Mehrheit den Wunsch äußerte, öfter in die Pedale zu treten, sagte Yuriko Backes am Weltfahrradtag im Juni, es müssten „sichere, durchgehende, attraktive und reibungslos befahrbare Routen“ geschaffen werden. Sie plädiert für von „motorisierten Fahrzeugen getrennte Radwege und eine bessere Beschilderung der Radwege“. Die Radinfrastruktur solle als „politische Priorität“ betrachtet werden, und es sei das Mittel der Wahl, um Städte „zu beleben“. Nur, folgen diesen Worten auch Taten?

Der Präsident der Sécurité Routière, Paul Hammelmann, träumt von null Straßenunfällen und damit null Verletzten. Dies soll durch eine allgemeine Tempo-30-Regelung innerorts sowie durch strengere Ahndungen von Verkehrsrowdys erreicht werden, sagte Hammelmann letzte Woche gegenüber dem Tageblatt. Tatsächlich senkt eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer die Zahl der Verkehrsunfälle um bis zu 30 Prozent. Das Ziel von null Verkehrsopfern scheint jedoch kaum erreichbar – aber ambitionierte Ziele können angesichts der Unfälle in den letzten Wochen nicht schaden. Derzeit ist das Großherzogtum auf dem Weg, die Zahl von 40 schwerverletzten Radfahrern vom Vorjahr zu übertreffen. Statt zu handeln, hat der Schöffenrat einen städtischen Mobilitätsplan ohne klaren Zeitplan vorgelegt.fe

Stéphanie Majerus
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