Dem Horrorfilm haftete lange Zeit etwas Anrüchiges an. Das Genre sei vulgär, auf Schock und Ekel ausgerichtet, und es stelle mit Blutexzessen und Verstümmelungen die Nichtigkeit des Körpers schmerzhaft aus. Der Regisseur Ti West schließt mit seinem neuen Film MaXXXine nun eine Filmtrilogie ab, die dem „elevated horror“ zugerechnet werden darf: Eine Filmreihe, die die Schnittstelle zwischen der Trivialität und der Vulgarität ebenso bespielt, wie sie versucht, die künstlerisch hochwertigere Qualität des Genres zusammenzubringen.
Das Filmproduktions- und Verleihstudio A24 betreibt diese Kombination sehr bewusst als werbewirksame Marketingstrategie. 2022 erschienen gleich zwei Filme, die Ti West zu Popularität verhalfen: X und Pearl, die nun mit MaXXXine abgerundet werden. Das verbindende Zentrum dieser Filme bildet Hauptdarstellerin Mia Goth, die in Hollywood bereits als die neue „Scream Queen“ beworben wird. Bei all den oberflächlichen Genrereizen, die die drei Filme bereithalten – erst mit dem abschließenden dritten Teil lässt sich näher beschreiben, worauf Regisseur Ti West im Wesentlichen abzielt: Er bebildert einen bitteren Abgesang auf den amerikanischen Traum als eine immer wiederkehrende, intergenerationelle Abfolge von Hoffnung und Enttäuschung.
Das beginnt zunächst in X: Im Texas der Siebzigerjahre wollen zwei Studenten auf dem Lande einen künstlerisch hochwertigen Pornofilm drehen. Mia Goth gibt die junge Maxine, die ein Star werden will. Zum Ruhm sollen ihr der Regisseur RJ (Owen Campbell) und der Produzent Wayne (Martin Henderson) verhelfen, deren Vision für einen anspruchsvollen Sexfilm Maxines Sprungbrett sein soll. Das ländliche Texas der Siebziger scheint über dieses Vorhaben allerdings wenig erfreut. Als das ältere Ehepaar Howard (Stephen Ure) und Pearl (Mia Goth), dem die Scheune gehört, die als Schauplatz dienen soll, erkennt, welche Art Film da entstehen soll, nimmt das Unheil seinen Lauf: Seltsam anerotisert, setzt die junge Generation bei den beiden Gastgebern eine Mischung aus wiederentdeckter sexueller Lust und tiefgehender Scham frei. Was in einem ganz blutigen Finale mündet. Die sittsame Prüderie bricht sich am Wunsch nach sexueller Freizügigkeit – das wird eine der zentralen Leitlinien aller drei Filme. Die wichtigste filmische Bezugsquelle von X ist Tobe Hoopers Horrorklassiker Texas Chainsaw Massacre von 1974. Am Ende überlebt nur Maxine das Massaker, dessen Blutergüsse spiegelbildlich für den Samenerguss gelesen werden können. Nichts ist am Ende wirklich gelöst, nichts Triumphierendes gibt es in den Bildern, nur der Weg für Maxine ist vorgegeben: Es soll aufwärts gehen. „I will not accept a life I do not deserve“, heißt es in der Trilogie immer wieder. Es ist der Grundsatz, der Maxine antreibt und auch Pearl einmal antrieb. Nicht umsonst öffnen alle drei Filme mit Bildern der Schwelle: Es sind unterschiedliche Türen, die da gezeigt werden, die ersten beiden münden hinaus aufs Land, die andere, dritte, womöglich ins Innere Hollywoods.
Pearl ist als Prequel zu X angelegt und spielt wieder im ländlichen Texas des Jahres 1918. Während X sich in die Bildwelt des Slasher-Horrors der Siebzigerjahre begab, entführt Pearl mit greller Technicolor-Ästhetik in die Musical-Welt Hollywoods: Robert Wises The Sound of Music (1965) oder The Wizard of Oz (1939) von Victor Fleming und King Vidor stehen in all ihrer Künstlichkeit als Vorbilder. In harten Kontrastfarben aus Rot, Weiß, Blau und Grün wird eine bäuerliche Idylle voller Weizenfelder beschworen, die auch an den deutschen Heimatfilm der Nachkriegszeit erinnert.
Es ist ein ganz trostloses Dasein, das Pearl auf dem Lande fristet, ein Dasein, aus dem sie, wie man aus dem Vorgängerfilm ableiten kann, nie ausbrechen wird. Mia Goth übernimmt hier nach X nochmals die Rolle der Pearl, die sie zuvor unter aufwändiger Maske gab. Unter der strengen puritanischen Aufsicht ihrer deutschen Mutter Ruth (Tandi Wright) wird Pearl zu absolutem Gehorsam und harter körperlicher Arbeit erzogen. Als sie sich in einen Kinobetreiber (David Corenswet) verliebt, eröffnet sich ihr eine neue Gefühlswelt, die auch die der bewegten Bildprojektion ist. Die Katastrophe ist so absehbar, wie der illusionistische Wunsch nach Freiheit für Pearl unhaltbar ist. Der damit getroffene Punkt ist unmissverständlich: Es sind die immergleichen Träume, die intergenerationell durchlebt werden, es sind letztlich Erzählungen von weiblichem Begehren und Enttäuschungen, von weiblichen Ermächtigungen und Isolation.
In MaXXXine befinden wir uns dann im Jahr 1985 in Los Angeles, wo West seine Aufsteigergeschichte weitererzählt: Maxine Minx, traumatisiert von den Vorfällen aus X, träumt nun von Hollywood. Die junge Frau ist ihrer Karriere als Pornodarstellerin überdrüssig, der Sprung ins große Filmgeschäft soll aus ihr einen Star machen. Aber nach dem ersten Casting, das ihr eine größere Rolle beschert, häufen sich die Probleme: In Los Angeles treibt ein Serienmörder sein Unwesen. Maxines Vergangenheit schleicht sich immer mehr in ihre unmittelbare Gegenwart; die Mordserie umgibt alsbald auch sie, und das Ermittlerpaar Torres (Bobby Cannavale) und Williams (Michelle Monaghan) tritt auf den Plan. Obendrein setzt Maxine der schmierige Privatdetektiv John Labat (Kevin Bacon) zu, der im Auftrag eines mysteriösen Unbekannten arbeitet. In dieser Verzahnung der Ereignisse legt der Film immer mehr die Schattenseiten der Filmindustrie bloß, die er gegen Ende explizit als unheilige Stätte lesen will.
Dagegen spricht indes die doch sehr spielerisch wilde Inszenierungsweise, die MaXXXine begleitet. Seine Ästhetik aus Popmusik-Collage und Neonlicht, die stilbildend für den Look des Achtzigerjahre-Kinos wurde, unterfüttert Ti West mit Film-noir-Referenzen, die den Slasher-Aspekt neu kombinieren. Je mehr West seine Protagonistin in dieses verruchte Hollywood eintauchen lässt, desto mehr nimmt er an Drastik und Filmverliebtheit zu. Die Musik von Frankie Goes To Hollywood, „Welcome To The Pleasure Dome“, oder „Obsession“ von Animotion kommentieren das Geschehen immer wieder. Auch Alfred Hitchcocks Psycho (1960) wird prominent angeführt, der Film, der gerne als der Urfilm des Slasher-Genres gehandelt wird. West führt sein selbstreferenzielles Pastiche fort, so wiederholt er mithin auch vorrangig schon bekannte Motive und Ideen, bettet sie ein in einen schwarzhumorigen Abgesang auf die Traumfabrik Hollywood voller Zitate auf die Popkultur der Achtzigerjahre – sie tatsächlich zu transzendieren vermag er indes nicht.
Einen besonderen Reiz entwickelt eher die hochgradig selbstreferenzielle Konstruktionsweise der Filmreihe: Immer wieder verweist die X-Trilogie auf sich selbst. Da gibt es die Texas-Rangers, die beim Betrachten des blutigen Tatorts in X eine Kamera finden und auf ihr einen verflucht guten Horrorfilm vermuten. Eben jenen Horrorfilm, den das Publikum im Begriff war, zu sehen. Zuvorderst und grundlegend passiert dies aber in den Spiegelungen zwischen der Filmfigur Maxine Minx und der Hauptdarstellerin Mia Goth. Sowohl inner- wie außerfilmisch wird der Figur und der Schauspielerin ein Karriereaufstieg beschert, zu dem gerade der abschließende Film sich selbstbewusst verhält: Expressis verbis wird Maxine in MaXXXine als „Scream Queen“ bezeichnet, der der große Ruhm beschieden sei, während im Vorfeld des Films die Schauspielerin Mia Goth als solche beworben wurde.
Vor allem aber ist die X-Trilogie eine kritische Auseinandersetzung mit der Heuchelei und Vulgarität des gescheiterten amerikanischen Traums und eine Chronik eines zerrissenen Landes. Die Wirkung der ersten beiden Teile liegt darin, dass die Figuren Maxine und Pearl als Spiegelbilder angelegt sind, an denen sich wiederkehrende Konflikte und zerstörte Träume ablesen lassen. West porträtiert die USA als eine Nation, in der Versuche zur Liberalisierung auf wahnhafte Prüderie, Doppelmoral und religiösen Fundamentalismus treffen. Generationen kämpfen eifersüchtig um Begehren und Anerkennung, um in der sozialen Hierarchie einen höheren Platz zu erlangen. Inmitten dieser Auseinandersetzungen steht die Scheinheiligkeit des Showgeschäfts, das zwischen pornografischem Randdasein, Avantgarde und biederem Entertainment eine trügerische Freiheit verspricht. Von 1918 bis 1985 zeigt die Trilogie, dass diese Konfliktfelder nach wie vor Bestand haben – die Zeiten haben sich nur oberflächlich gewandelt, die Umstände bleiben dahinter unverändert. Ihr rückblickender Ansatz mag zudem auf die Gegenwart hindeuten.