Die LSAP bereitet sich auf den Abgang von Etienne Schneider vor

Machtvakuum

d'Lëtzebuerger Land du 11.10.2019

I had a dream Als am Wahllabend im vergangenen Oktober die Resultate langsam bekannt wurden, wollte er zunächst nichts sagen. Dann verdrückte er eine Träne, übte sich in Durchhalteparolen und warb schließlich mit Xavier Bettel und Félix Braz für eine Fortführung der blau-rot-grünen Dreierkoalition. Doch insgeheim wusste Etienne Schneider: Das ist das Ende meiner politischen Reise. „Ich hatte einen Traum, doch der ist vorbei“, so Schneider kürzlich gegenüber dem Land zu seinen Plänen, Premier zu werden.

Noch will der Vizepremier, Wirtschaft- und Gesundheitsmister nicht präzisieren, wann er seine politischen Posten zur Verfügung stellt, geschweige denn, wohin es ihn zieht. Manche sagen, es könnte schon Anfang nächsten Jahres sein, andere sprechen von Ende 2022 exakt zehn Jahre nach seinem Regierungsantritt. Doch als sicher gilt: Er wird nicht bis zum Ende der Legislaturperiode Minister bleiben. Schneider ist derjenige, der im Juli 2013 salopp behauptete, er werde nächster Premierminister des Landes. Er führte die LSAP mit dieser Chuzpe aus der babylonischen Gefangenschaft der CSV-Juniorpartnerschaft hin zu neuen Machtoptionen. Schneider ist aber auch derjenige, der als LSAP-Spitzenkandidat das schwächste Resultat der Partei zu verantworten hat. Seine LSAP-Regentschaft gilt als durchwachsen.

Personalfragen Mit dem angekündigten Rückzug von Schneider aus der Politik, beginnt auch die Frage, um die Führungsnachfolge in der LSAP. Denn Schneider ist nicht der einzige LSAP-Spitzenpolitiker, der sich zurückziehen wird. Alex Bodry, der parteiübergreifend gelegentlich „als bester Abgeordneter des Landes“ bezeichnet wird, räumt bald nicht nur seinen Posten als Fraktionsvorsitzender für Georges Engel, sondern wird wohl dem Parlament gänzlich den Rücken kehren. Sein Wechsel in den Staatsrat gilt nur noch als Formsache, für ihn soll Simone Asselborn-Bintz nachrücken, heißt es aus der Partei.

Auch andere Granden der LSAP sind dabei, sich schleichend zu verabschieden: Jean Asselborn hat sich nahezu vollkommen aus dem Parteileben zurückzogen und widmet seine Kraft seiner Berufung als Außenminister. Ebenso Mars Di Bartolomeo, der allerdings seine neue Vorliebe für parlamentarische Anfragen entdeckt hat. Und Nicolas Schmit ist nun endlich EU-Kommissar und wird kaum noch ein Ohr finden für die Belange der Sozialistischen Partei. Von einem Rückzug der alten Garde geht deshalb die Rede in der Partei. Und sie hinterläßt ein Machtvakuum, das aktuell nur nicht sichtbar wird aufgrund der Krise der Grünen und des schwachen Zustands der CSV.

Spätrömische Dekadenz Tatsächlich ist die jüngere Vergangenheit der LSAP die Geschichte eines Verfalls. Der einstige starke Linksblock, bestehend aus Partei, Gewerkschaft und gemeinsamer Zeitung, gilt als passé. Die Nibelungentreue zum OGBL bröckelt, die Gewerkschaft sucht Verbindungen zu anderen Parteien und musste an Einfluss einbüßen. Und das Tageblatt bekämpft den Leserschwund und den Schuldenberg, indem es sich vom Image der linientreuen Parteizeitung lösen will. Zudem musste die LSAP Wahlniederlagen in nahezu allen großen Städten des Südens hinnehmen: Nur Düdelingen strotzt dem Trend und bleibt letzte LSAP-Bastion.

Dieser Verfall geht nicht spurlos an den Parteipolitikern vorbei. Von „spätrömischer Dekadenz“ spricht ein erfahrener LSAP-Politiker. Von einem Sammelsurium an „Ich-AGs“ jemand anders. Jeder versuche das Maximum für sich herauszuschlagen, um von den letzten Jahren der LSAP als Regierungspartei persönlich zu profitieren.

Konkurrenten Für so schlimm halten zwei Politiker das alles nicht. Arbeitsminister Dan Kersch und Parteivorsitzender Franz Fayot stemmen sich gegen den Eindruck, ihre Partei sei das schwache Glied der Regierung. „Wir haben doch gerade unsere beiden zentralen Forderungen von der Erhöhung des Mindestlohns sowie des zusätzlichen Urlaubstags umgesetzt“, sagt Kersch. Fayot, der erst im Januar zum neuen Parteipräsident gewählt wurde, spricht von einem Prozess des Übergangs, den er explizit als Chance für die LSAP begreift.

Beide gelten als Anwärter für die Führungsrolle in der Partei, wenn Schneider abtritt. Fayot will dem Land gegenüber nicht verneinen, dass er Interesse auf einen möglichen Ministerposten hat, auch wenn das bedeuten würde, dass er als Präsident zurücktreten müsste. Doch es sei deutlich zu früh, eine solche Debatte zu führen, zudem sollten die Mitglieder und nicht die Parteispitzen im Vordergrund stehen. Kersch hingegen hält überhaupt nichts von einer Führungsdiskussion. Wer ihn auf den Posten des Vizepremiers anspricht, wird ebenso angeschnauzt wie auf die Frage nach einer möglichen Spitzenkandidatur.

Dabei gilt Kersch als Last man standing seiner Generation. Der ehemalige Gewerkschaftler und früherer Kommunist ist seit 1991 Mitglied der LSAP, ist bestens vernetzt, kennt alle Gremien und Spitzfindigkeiten, war Mitglied im Parlament sowie im Staatsrat und weiß, sich durchzusetzen. Der „Hitzkopf“, wie er sich selbst bezeichnet, hat keine Probleme, leidenschaftlich und mit harten Bandagen gegen Widerstände zu kämpfen. Und er hat auch keine Probleme damit, sich unbeliebt zu machen jenseits eines Everybody‘s Darling. Deshalb steht er im Ruf, auch schwierige Dossiers umsetzen zu können wie die Trennung von Staat und Kirche, die Reform der Gemeindefinanzen oder auch des Rettungsdiensts. Er gilt dabei für Freund und Feind gleichermaßen als unbequem. „Ich kenne einige in der Partei, die richtig Angst vor ihm haben“, sagt ein LSAP-Politiker. Kersch kann ausfallend werden und lässt gerne verbal die Muskeln spielen. Und er weiß es, Loyalitäten aufzubauen, indem er Vertraute an Schaltstellen der Partei oder in seinen Ministerien positioniert.

Auch sein Verhältnis gegenüber Medien gilt als kompliziert. Wenn Kersch Artikel nicht gefallen, ruft er gerne schon mal in Redaktionen an, um seine Meinung kundzutun. Dabei nutzt er jede Gelegenheit, sich als Macher zu inszenieren, etwa im Sommer als Krisenmanager der Regierung nach dem Tornado im Südwesten Luxemburgs oder kürzlich beim Euro-League-Spiel zwischen Dudelingen und Karabach Agdam, als er sich via Mikrofon an die Besucher wendete, um sich wegen des politischen Drohnenzwischenfalls bei den Gästefans zu entschuldigen.

Klimafrage Aufgrund dieser borstigen Art runzeln manche in der Koalition beim Gedanken an einen Vizepremier Kersch die Stirn. Mit Kersch ist nicht gut Kirschen essen, wie auch die Grünen wissen. Ihre Pläne zum Klimaschutzgesetz, das bis zum Ende des Jahres stehen muss oder auch zu einer nachhaltigeren Lebensweise wurden laut Angaben von Regierungskreisen mehrmals von Kersch blockiert. Der Arbeitsminister selbst dementiert das deutlich und spricht von Verleumdung.

Tatsächlich scheint die LSAP sich gerade auch intern an der Klimafrage zu scheiden. Denn während Kersch zwar weit davon entfernt ist, ein Klimaleugner zu sein, so genießt die Frage für den ehemaligen Umweltberater der Gemeinde Bettemburg keine Priorität. Man könne nicht auf der einen Seite den Mindestlohn erhöhen, um dann durch eine flächendeckende CO2-Steuer oder Erhöhung der Benzinpreise das Geld den Menschen wieder aus der Tasche zu nehmen. Er mahnt mit dem Szenario der Gillets jaunes, die gerade aufgrund der Erhöhung der Spritpreise auf die Straßen gingen. Kurz: Die Klimafrage wird sozial gerecht gelöst oder sie wird nicht gelöst.

Auch Fayot will keinesfalls eine CO2-Steuer zulasten der Schwachen. Aber für ihn ist die ökologische Frage auch eine soziale Frage: „Es sind vor allem die Schwächsten unserer Gesellschaft, die an die Folgen des Klimawandels zu leiden haben“, so der LSAP-Präsident. Für Fayot zählt die Klimafrage zu den zentralen Fragen des 21. Jahrhunderts, bei der die LSAP sich auch klar(er) positionieren muss. Das Problem ist, dass Fayot bis jetzt über wenig Hausmacht in der Partei verfügt. Als Chef der Partei ist er formal die starke Figur, in Regierungszeiten sind einem Parteipräsidenten jedoch die Hände gegenüber den eigenen Ministern gebunden. Fayot kann noch so viel für ökologische Maßnahmen in der Presse werben, das Verhalten der LSAP-Minister im Regierungsrat beeinflusst er damit wohl kaum. Zudem kommt Fayots bürgerliche Art auch nicht bei jedem in der Partei an – er kämpft noch damit, sich bei den Mitgliedern beliebt zu machen, sagen Parteifunktionäre.

Und so wird das Duell zwischen Fayot und Kersch sich wohl noch länger hinziehen. Doch manche halten es für möglich, dass beide Anwärter sich verkalkulieren und am Ende keiner der beiden die Führungsrolle übernehmen wird. Vielmehr gäbe es eine lachende Dritte in der Partei, die bereits jetzt etwas im Abseits zunehmend an Popularität gewinnt: Taina Bofferding.

Pol Schock
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