Die derzeitige internationale Finanz- und Wirtschaftskrise hat bereits viel Unheil angerichtet. Doch die LSAP gehört zu jenen, die auch ein wenig Nutzen daraus ziehen. Denn quasi über Nacht half die Finanzkrise den seit Jahren von einer Identitätskrise heimgesuchten Sozialisten, Frieden mit dem zu schließen, was sie sind. Statt ihrer Tradition davonzulaufen, bekennen sie sich wieder zu ihrer Identität.
Denn für sie ist die Krise „eine Zäsur“, die das „offenkundige Scheitern eines deregulierten Marktes markiert“ und „das Primat der Ökonomie durch die Rückkehr der Politik“ ersetzt, so die Einführung zum diese Woche veröffentlichten Entwurf des LSAP-Wahlprogramms für den 7. Juni. Anders als die DP (d’Land, 16.01.09) trauten sich die Sozialisten, das Wort „Krise“ gleich 43 Mal in ihr Programm zu schreiben.
Dabei hatte auch die LSAP sich ängstlich von der radikalliberalen Welle der Reagan- und Thatcher-Jahre treiben lassen, 1994 hinter der deutschen Sozialdemokratie einmal zum „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“ aufgerufen, danach hinter ihr in die „neue Mitte“ gedrängt und war von der Arbeiter- zur Freizeitpartei geworden, die den Rest den Gewerkschaften überließ. Bis sie sich vor zehn Jahren so „innovativ“ fühlte, dass sie kaum mehr laufen konnte und als „LS@P“ stürzte – wenige Monate vor den anderen Propheten der New Economy.
Bei den Wahlen von 2004 hatte die Partei dann den vagen Verdacht bekommen, dass ihre Marktnische vielleicht nicht mehr der Ausbau, so doch wenigstens die Verteidigung des Sozialstaats bleibt. Das klingt bescheiden, aber wenn man den Zustand des französischen PS und der deutschen SDP mit demjenigen der LSAP vergleicht, scheint das schon sehr viel. Doch seit Bankenkrach, rasch zunehmender Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit ist 2009 aus dem vagen Verdacht eine stolze Erkenntnis geworden.
Das lässt sich schon an den Prioritäten des Wahlprogramms ablesen. Hießen 2004 die beiden ersten und damit wichtigsten Kapitel noch „Fir eis Schoul an eis Fräizäit“ und „Fir eis Famill an eise Beruff“, so heißen sie nun „Sozialstaat“ und „Wirtschaftsstandort“. Beschäftigungs- und Einkommenspolitik kommen nicht mehr hinter dem Sport, ihnen ist, ohne Angst vor dem Vorwurf des „Syndikalismus“, sogar wieder ein eigenständiges Kapitel gewidmet.Die Europäische Kommission erwartet einen Anstieg der Arbeitslosenrate von 4,1 Prozent vergangenes Jahr auf 5,8 Prozent nächstes Jahr. Die LSAP erklärt in ihrem Wahlprogramm ausführlich, dass Bildung und Ausbildung der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit darstellen, und schwört gleich sieben Mal auf die Lissabon-Strategie, die „EU-Europa bis 2010 zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt“ machen soll. Die in Belval geplante Cité des sciences werde geradezu „zum Sinnbild für die Lissabon-Strategie ‚made in Luxembourg’“, heißt es voller Begeisterung.
Doch kurzfristig ist das ein schwacher Trost. Nachdem aber die eine oder andere Beschäftigungstripartite sich schon Dutzende Beschäftigungsmaßnahmen hatte einfallen lassen, tun sich die Sozialisten schwer damit, die Wähler mit einem überraschenden und einleuchtenden Rezept gegen die Arbeitslosigkeit zu mobilisieren. Am originellsten ist die versprochene Schaffung eines staatlichen Investitionsprogramms für „beschäftigungsfreudige Unternehmen“. Wie bei den Rabattmarken im Supermarkt sollen die Unternehmen für jede Neueinstellung einen Bonuspunkt erhalten, unter gewissen Voraussetzungen auch mehr. Haben sie eine feste Anzahl Bonuspunkte gesammelt, winkt ihnen dann eine Investitionsprämie, welche die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze und Fortbildungsmaßnahmen bezuschussen soll. Ob Unternehmen über den Mitnahmeeffekt hinaus an ihren Personalbedürfnissen vorbei Leute einstellen, um Punkte zu sammeln, müsste allerdings noch bewiesen werden. Daneben soll der Arbeitsmarkt weiterhin „um eine starke solidarische Komponente ergänzt werden“, sollen die Unternehmer „steuerlich begünstigt werden“, die „unqualifizierte Arbeitnehmer und Langzeitarbeitslose“ einstellen.
Die Partei verbreitet in ihrem Wahlprogramm weniger euphorische Aufbruchstimmung, als dass sie sich als gewissenhafte und sozial verantwortungsbewusste Verwalterin der Staatsgeschäfte andient. Keine Rede ist mehr von der vor fünf Jahren im Wahlprogramm versprochenen sechsten Urlaubswoche und dem kostenlosen öffentlichen Transport oder der noch 1999 versprochenen 35-Stundenwoche.
Die LSAP trägt so der Tatsache Rechnung, dass laut Meinungsumfragen die sozialistischen Minister deutlich populärer sind als die sozialistische Partei. Und sie wäre schon zufrieden, wenn sie ihre Koalition mit der CSV weitere fünf Jahre fortsetzen könnte. Auch wenn sie sich selbstverständlich von der CSV zu unterscheiden versucht und weiterhin eine Scheidungsreform, die Fristenlösung bei der Abtreibung, die Homosexuellenehe, den Werteunterricht und das schwedischen Modell verspricht – diesmal nicht eines Prostitutionsverbots, sondern einer rein zeremoniellen Monarchie.
Aber vielleicht entscheiden sich gerade im größten Wahlbezirk, der LSAP-Hochburg Süden, Wahlen nicht über Gesellschaftspolitik und schon gar nicht in Konkurrenz zum dortigen CSV-Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker. Nachdem ein Parteitag die Parteiführung vor einem Jahr überstimmt hatte, hält die LSAP deshalb ohne Wenn und Aber an „der integralen Wiedereinführung des Indexmechanismus nach 2009“ fest; die „neue Regierung muss in Absprache mit den Sozialpartnern den Übergang zum bewährten Indexsystem nach den Parlamentswahlen regeln“.
Hatte die Partei 2004 noch eine Kindergelderhöhung um 75 Euro versprochen, kommt das Wort „Kindergeld“ diesmal gar nicht mehr im Wahlprogramm vor. Dafür soll neben Kinderbonus und Dienstleistungsschecks ein sozial gestaffelter „Erziehungszuschuss“ ausgezahlt werden, von dem Alleinerziehende „überdurchschnittlich stark profitieren“ sollen. Die Dienstleistungsschecks sollen nicht nur auf „Fortbildungs-, Mobilitäts- und Kulturangebote“ ausgeweitet werden, sondern auch „die Ansparung von Rentenansprüchen“ ermöglichen. Ohne verbindlichen Zeitplan, wie die DP, meinen die Sozialisten: „Mittelfristig sollten die Betreuungsplätze für Kleinkinder und Grundschüler aber gratis angeboten werden.“
Nachdem Mady Delvaux’ Grundschulreform nun wenige Monate vor den Wahlen das Parlament passierte, kann die Partei aufatmen und kündigt mutig an: „Nach der Reform der Grundschule und der Berufsausbildung müssen auch die Strukturen der Sekundarschulen überprüft werden.“
Um der Rentenmauer zu entgehen, verpflichten sich die Sozialisten lediglich „zu einer bedachtsamen Ausgabenpolitik“. Zur Absicherung der Krankenkassenfinanzen soll ein Gesundheitsfonds geschaffen werden, der aus den Einnahmen einer Sondersteuer auf gesundheitsschädlichen Produkten gespeist wird. Die LSAP will auch „den schrittweisen Ausstieg aus dem Treibstoffexport und den sich daraus ergebenden Steuerausfall durch eine zusätzliche Speisung des Umweltfonds vorbereiten“.
Besonderes Augenmerk widmet die LSAP der Wohnungsnot. Weil Mieter gegenüber Eigenheimbesitzern benachteiligt seien, die staatliche Zinsvergütungen für ihre Immobiliendarlehen erhalten, will die LSAP einen Mietzuschuss einführen. Originell daran ist, dass der Zuschuss nicht an die Mieter, sondern an die Vermieter gehen soll, um die Mieten „nicht weiter in die Höhe zu treiben“. Die Partei scheint ihre noch 2004 gehegten Hoffnungen aufgegeben zu haben, dass der Markt die Wohnungsprobleme löst. Denn Herzstück ihrer Wohnungspolitik soll eine öffentliche Immobilienagentur werden, die Wohnungen bauen und verwalten, aber auch Vermittlerin zwischen Mietern und Vermietern sein und mit einem Garantiefonds für die Mieten ihrer Kunden bürgen soll, wenn die Vermieter bereit sind, weniger als den gesetzlich erlaubten Höchstsatz zu verlangen. Vielleicht will die Partei mit einer solchen von anderen Parteien wohl als staatlicher Interventionismus verteufelten Agentur auch bloß sozialpolitisch Farbe bekennen.