Bankenabwicklung

Teufelskreis

d'Lëtzebuerger Land du 03.01.2014

„Wir führen revolutionäre Veränderungen im europäischen Bankensystem durch, damit die Steuerzahler nicht länger die Rechnung zahlen müssen, wenn Banken Fehler machen, und beenden dadurch die Zeit der massiven Bankenrettungen“, prahlte EU-Binnenkommissar Michel Barnier nachdem die EU-Finanzminister vor knapp zwei Wochen einen Kompromiss zum gemeinsamen Bankenresolutionsfonds genannt Single Resolution Mechanism (SRM) gefunden hatten. „Den Teufelskreis zwischen Bank- und Staatsschulden zu brechen, war und ist noch immer unser oberstes Ziel“, so Barnier weiter. Und genau das ist das Problem: „noch immer“. Denn der Banken­union, welche die Europäischen Staats- und Regierungschefs Mitte 2012 in Auftrag gaben, werden die im Dezember erreichten Kompromisse kaum gerecht, auch wenn die Entscheidungen nicht zuletzt am Bankenstandort Luxemburg für große Veränderungen sorgen werden.

Zur Erinnerung: Im Frühling 2012 erreichte die europäische Schuldenkrise einen neuen Höhepunkt. Spanien musste den Europäischen Rettungsschirm in Anspruch nehmen, um die maroden Sparkassen zu retten. Wodurch die Schulden des spanischen Staates anstiegen. So begann die Diskussion über die Möglichkeit, Krisenbanken direkt durch den ESM zu rekapitalisieren, ohne den Umweg über den Staatshaushalt des jeweiligen Euro-Landes zu nehmen. Dadurch würde die Bonität der betroffenen Staaten nicht weiter belastet – und Wertberichtigungen auf ihren Anleihen in den Portfolios der Banken verhindert. Doch als Bedingung dafür, dass der ESM Banken direkt Kapitalspritzen verabreichen dürfte, forderte Deutschland eine strikte, gemeinsame Bankenaufsicht. Es entstand die Idee der Bankenunion aus drei Bausteinen. Erstens: die gemeinsame Bankenaufsicht. Und um die Aufsicht und Haftung auf der gleichen Ebene anzusiedeln zweitens und drittens: ein gemeinsames System mit gemeinsamen Fonds zur Bankenabwicklung und eine gemeinsame Einlagensicherung. Doch vom ESM, Ausgangspunkt der Diskussion, ist aufgrund des deutschen Drucks im Kompromiss nur insofern die Rede, dass er nach den bereits bestehenden Regeln Geld vergeben könne, also an Staaten, nicht an Banken, und das nachdem sich die Geberländer, je nach den eigenen Prozeduren, die Zustimmung ihres Parlaments gesichert haben. Deswegen sieht es auch nach der Einigung zum Resolutionsfonds so aus, als ob künftige Rettungsmaßnahmen von der Zustimmung des deutschen Bundestags beziehungsweise dem Bundesverfassungsgericht abhingen.

Mit etwas Abstand betrachtet, fällt die Bilanz der bisherigen Arbeiten an der Bankenunion demnach eher nüchtern aus. Die gemeinsame Aufsicht, genannt Single Supervisory Mechanism (SSM), die bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt ist, hat seit vergangenem Oktober eine legale Basis und seit Mitte Dezember mit Da­nièle Nuoy eine Chefin. Aktuell laufen die Vorbereitungsarbeiten zur „Asset quality review“, der Prüfung der Bilanzen der rund 130 größten Banken im Kontrollbereich des SSM – in Luxemburg werden die BCEE, Clearstream, UBS, State Street Bank, RBC Investor Services Bank sowie Precision Capital, also eigentlich KBL und Bil, analysiert. Die Europäische Bankenaufsicht wird außerdem einen Stresstest durchführen, bevor der SSM die Aufsicht der Banken nächsten Herbst tatsächlich übernimmt.

Vor zwei Wochen wurden sich EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament über die Einlagensicherung einig. Doch statt auf einen gemeinsamen Topf für alle Länder, die bei der Bankenunion dabei sind, einigten sie sich einstweilig darauf, dass jedes EU-Land einen eigenen Fonds einrichten muss, der im Fall einer Bankpleite die Kunden bis zu maximal 100 000 Euro entschädigt. Einen solchen Fonds gab es bisher in Luxemburg nicht. Die AGDL hat bislang erst Geld bei ihren Mitgliedern, den Banken, gesammelt, wenn es zur Insolvenz kam. Das hatte für die Banken den Vorteil, dass sie erst im konkreten Fall in die Tasche greifen mussten, statt Vorschüsse leisten zu müssen. Nach den neuen Regeln müsste ein Fonds eingerichtet werden, der mit einer Summe ausgestattet wird, die mindestens 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen entspricht, das wären 240 Millionen Euro.1 Parallel dazu schlossen Parlament, Kommission und Rat einen weiteren „Trilog“ über die so genannten „Bail-in-Regeln“ ab, die festlegen, dass Banken künftig Krisenpläne erstellen und regelmäßig aktualisieren müssen. Die neuen Regeln bestimmen auch die Reihenfolge, nach der Aktionäre, Anleihehalter, Kunden, nationale Abwicklungsfonds, die nun jedes Land einrichten muss, und schließlich die Staaten selbst einspringen, um insolvente Banken zu stützen. Regeln, die ebenfalls für alle EU-Länder gelten, egal ob sie bei der Banken­union dabei sind oder nicht. Das Bail-in-Regelwerk, sagt Serge de Cilia, designierter Nachfolger von Jean-Jacques Rommes als CEO der Luxemburger Bankenvereinigung ABBL, werde dazu führen, dass die Banken, die Passivposten ihrer Bilanz umorganisieren müssen. Nämlich so, dass dort ausreichend Instrumente zur Verfügung sind, die im Falle des Falles in Kapital umgewandelt werden können, um Verluste aufzufangen. Bankanleihen riskierten deswegen teurer zu werden, um dem neuen Ausfallrisiko Rechnung zu tragen.

Der SRM, erklärte Barnier vor zwei Wochen in Brüssel, sei die Umsetzung dieser Bail-in-Regeln innerhalb der Bankenunion. Der Mechanismus setzt sich wiederum aus zwei Teilen zusammen. Es gibt einerseits den Fonds, der binnen zehn Jahren aufgebaut wird, indem die nationalen Abwicklungsfonds graduell vergemeinschaftet werden. Ist der Prozess abgeschlossen, sollen 55 Milliarden Euro im Topf sein, welche die Banken über Abgaben einzahlen. Der Luxemburger Anteil daran, so Finanzminister Pierre Gramegna (DP) vor zwei Wochen: 300 Millionen Euro, welche die Banken über zehn Jahre einzahlen müssen. Die neuen Regeln würden eine Kombination aus Einlagensicherungs- und Abwicklungsfonds nicht ausschließen, sagt Serge de Cilia. Deswegen hofft man bei der ABBL auf eine solche kombinierte Lösung. Die Vorlage dazu liegt schon in der Schublade. Denn vor mehr als drei Jahren hatte die Luxemburger Zentralbank unter ihrem damaligen Chef Yves Mersch einen Vorschlag ausgearbeitet (d’Land, 7.10.2010). Darauf eingegangen war die Regierung nie. Werden der oder die Fonds erst einmal aufgebaut, sagt De Cilia, muss für die Gelder eine richtige Asset-Management-Struktur eingerichtet werden. Mit einer kleinen gemeinnützigen Vereinigung, wie es die AGDL bisher war, sei es dann nicht mehr getan.

Zweites Element des Mechanismus ist das Abwicklungsgremium, das entscheidet, ob und wie eine Bank abgewickelt wird. Das Gremium wiederum besteht aus einer Plenarversammlung aller Mitgliedstaaten der Bankenunion, angeführt von einem Exekutivkomitee von fünf „unabhängigen“ Direktoren. Wer die fünf „Unabhängigen“ sein werden, wird auch in Luxemburg mit Spannung verfolgt. Die ABBL hätte es, per Ausschlussverfahren, bevorzugt, wenn im Falle des Falles die EU-Kommission selbst auf den Knopf gedrückt hätte, um die Abwicklungsprozedur zu lancieren, erklärt De Cilia, „wegen der Neutralität“. Bei der Bankenvereinigung bezweifelt man, dass das Exekutivkomitee die Interessen aller Länder, also auch der kleinen, gleichermaßen berücksichtigen wird.

Als ein Journalist Barnier vor zwei Wochen fragte, ob er am Beispiel Dexia erläutern könne, wie das Ganze funktioniert, zog der Kommissar es vor, seinen Berater die komplizierte Prozedur erklären zu lassen. Wenn also die gemeinsame Aufsicht SSM Alarm schlägt, weil eine Bank in Schieflage gerät, sagt sie der Abwicklungsbehörde Bescheid. Deren Exekutivkomitee bereitet dann auf Basis der bankinternen Abwicklungspläne eine Entscheidung vor, die sie der EU-Kommis­sion mitteilt. Wenn die Kommission einverstanden ist, geht das Dossier weiter an den EU-Rat und kann durch ein Schweigeverfahren angenommen werden. Ist die Kommission nicht einverstanden, kann sie mit dem Exekutivkomitee verhandeln oder das Dossier verändern und ohne Einverständnis des Exekutivkomitees an den Rat weitergeben, der dann abstimmt. Für die Abstimmung im Rat wurden Sonderegeln festgelegt – schließlich sind dort auch die EU-Länder vertreten, die weder beim Euro, noch bei der Bankenunion mitmachen. Deren Stimmen müssen im Verfahren „sterilisiert“ werden, wie Barniers Berater erklärte. Kann sich das Exekutivkomitee aus den fünf unabhängigen Direktoren nicht mit den Vertretern der Länder, in denen die betroffene Bank aktiv ist, auf eine Marschrichtung einigen, kann es über deren Kopf hinweg entscheiden. Das hängt davon ab, wie hoch die Summen sind, um die es konkret geht. Müssen mehr als 20 Prozent des Kapitals des Abwicklungsfonds für Liquiditätshilfen, beziehungsweise mehr als zehn Prozent für eine Kapitalspritze ausgegeben werden, entscheidet die Plenarsitzung mit den Vertretern alle Länder nach einem doppelten Mehrheitsverfahren: 66 Prozent der Länder müssen einverstanden sein und sie müssen 50 Prozent der in den Fonds eingezahlten Summen darstellen. Nicht unbedingt die einfachste und eleganteste Lösung, wenn man bedenkt, dass solche Bankrettungen meistens über ein Wochenende, oder wie Falle Dexias im Laufe einer Nacht organisiert werden müssen. Kein Wunder demnach, dass der Kompromiss höchst umstritten ist und der Präsident des Europaparlaments (EP) Martin Schulz in Brüssel erklärte, das sei, als ob man nach der Einlieferung eines Patienten in der Notaufnahme das Einverständnis des Krankenhausverwaltungsrats brauche, um mit der Behandlung zu beginnen. Deswegen ist davon auszugehen, dass die EU-Parlamentarier versuchen werden, hier nachzubessern, denn auch Vertreter der EZB und die Kommission sind keine wirklichen Fans dieser Prozedur.

Zumal im Fall einer Bankpleite die Limits, bei denen sich die Plenarversammlung einschaltet, ganz schnell erreicht werden können, wie just das Beispiel Dexia zeigte. Im Laufe der verschiedenen staatlichen Rettungseingriffe wurden 10,9 Milliarden Euro Kapital in den Finanzkonzern gepumpt, und erhielt er in den ersten Programmen Refinanzierungsgarantien über 135 Milliarden Euro und später weitere Staatsgarantien über 85 Milliarden Euro. Ende Dezember 2013 wurden davon laut Belgischer Nationalbank rund 76 Milliarden beansprucht. Was aber passiert, wenn der Abwicklungsfonds nicht genug Geld hat? Zumal in der zehnjährigen Aufbauphase, die jeweils kleineren nationalen Fonds einspringen müssen? Kredite zwischen nationalen Fonds sollen möglich sein und an einer Kreditlinie für den SRM wird noch gearbeitet. Bei Bankpleiten, die so groß sind, dass auch nach Bail-in und dem Einspringen des nationalen Abwicklungsfonds, das Loch immer noch nicht gestopft ist, können sich Staaten, die zum Eingreifen gezwungen sind, an den ESM wenden und dort Schulden aufnehmen. An diesem Punkt schließt sich der (Teufels-)Kreis.

1 Wenn die Luxemburger Banken laut Finanzminister Pierre Gramegna (DP) 300 Millionen Euro in den Abwicklungsfonds einzahlen, eine Summe, die laut Bail-in-Richtlinie einem Prozent der gedeckten Einlagen entsprechen muss, hieße das, die gedeckten Einlagen auf Luxemburger Bankenkonten würden 30 Milliarden Euro betragen. Nach BCL-Angaben betrugen die Kundeneinlagen Ende Oktober 2013 insgesamt 302 Milliarden Euro.
Michèle Sinner
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