Zehn Monate vor dem Launch hat die Kulturhauptstadt noch keinen Hauptsponsor. Nun geht Esch 2022 in die Offensive

„In Dubai machen sie es auch so“

d'Lëtzebuerger Land du 09.04.2021

Crémant „Ich möchte nicht, dass die Haupt-Location der Kulturhauptstadt ein Party-Zelt auf Belval wird, wo Lokalpolitiker und Unternehmer sich treffen, um Crémant zu schlürfen“, sagte der Dramaturg Andreas Wagner sinnbildlich in einem informellen Gespräch Anfang 2018. Damals koordinierte er noch zusammen mit Janina Strötgen die Vorbereitungen zur Europäischen Kulturhauptstadt Esch 2022. Die beiden hatten ihr Bidbook so ausgerichtet, dass die Projektträger, anders als 2007, nicht zu sehr auf die Unterstützung privater Sponsoren angewiesen sein sollten. Sechs Monate später übernahmen Nancy Braun und (der inzwischen durch Françoise Poos ersetzte) Christian Mosar die Leitung von Esch 2022. Am Hauptmotto Remix hielten sie (zwangsläufig) fest, doch fast alles andere verwarfen sie. Im März 2019 starteten sie einen Aufruf und beschlossen, dass die Kulturprojekte, wie 2007, nur noch maximal zur Hälfte von Esch 2022 finanziert würden. Den Rest sollten die Künstler/innen sich bei Institutionen und privaten Sponsoren holen. 600 Bewerbungen gingen ein, doch die Kriterien waren streng und die Auswahl dauerte vielen zu lang. Nicht wenige Künstler/innen wandten sich enttäuscht ab. Am Ende blieben 132 Projekte übrig.

Seit zwei Wochen wirbt Esch 2022 auf digitalen Kanälen aggressiv private Unternehmen an, die die Kulturhauptstadt mitfinanzieren sollen. Die Suche nach Sponsoren erweist sich als schwierig. Dabei hatte man extra die Beraterfirma Ernst & Young mit der Erstellung einer Strategie beauftragt. Elf Monate vor der Eröffnungsfeier ist noch kein Main Partner an Bord. Der ursprünglich vorgesehene Mindestbeitrag für Hauptsponsoren in Höhe von einer Million Euro wurde Anfang dieses Jahres als zu hoch eingestuft und gesenkt. Um wieviel, will Esch 2022 nicht verraten. Mit 20 Unternehmen sei man aktuell in Verhandlung, erklärt Anne-Catherine Richard, seit Juni 2020 Sponsorship Managerin von Esch 2022, gegenüber dem Land. Neben ArcelorMittal hat sie laut Jahresbericht auch Gespräche mit Delhaize, Proximus, PWC, Bank of China, Pictet Technologies, Post, BCEE und Banque de Luxembourg geführt. Zugesagt haben bislang nur die Hotelkette Accor, Bofferding und Domaines Vinsmoselle, mit denen Esch 2022 einen Vertrag als Supporting Partner unterzeichnet hat. In dieser Kategorie kostet die Eintrittskarte lediglich 200 000 Euro, die aber nicht in Form von Geldmitteln, sondern durch materielle Unterstützung (also Freibier, Wein und Crémant) beglichen wird. Auch die öffentlich finanzierten Betriebe CFL und TICE haben ihre Teilnahme als Supporting Partner bestätigt. Um Medienpartner für die Kulturhauptstadt zu finden, hat Esch 2022 die Agentur Ierace Dechmann + Partners (IDP) angeheuert. Für Medienpartner lag der Eintrittspreis bis zuletzt ebenfalls bei 200 000 Euro (in natura).

Um ihr Budget zu vervollständigen, muss die Kulturhauptstadt bis zu ihrem Launch am 22. Februar 2022 noch drei Millionen Euro an privaten Geldern sammeln. Dabei wurde der Sponsorenanteil Ende vergangenen Jahres bereits um zwei Millionen Euro gesenkt. Wegen der Coronakrise liegt das Gesamtbudget inzwischen nur noch bei 54,5 anstatt bei 56,6 Millionen Euro. 40 Millionen Euro steuert der Staat bei, die Stadt Esch zahlt 10,1 Millionen Euro. Die 1,5 Millionen Euro des von der EU verliehenen Melina Mercouri Preises sind zwar bereits veranschlagt, doch die Entscheidung, ob Esch 2022 die Kriterien erfüllt, fällt die Kommission erst nach dem dritten Monitoring-Meeting im Herbst. Viele Firmen seien wegen der ungewissen wirtschaftlichen Lage zurzeit nicht bereit, in Kultur zu investieren, bedauert Anne-Catherine Richard. Um Unternehmen trotzdem zur Teilnahme zu bewegen, bietet Esch 2022 nun maßgeschneiderte „Packages“ an. So sollen wichtige Sponsoren die Möglichkeit erhalten, als Gegenleistung für ihre Investition exklusive private Cocktail-Partys oder Abendessen für ihre Kunden in Aufführungs- oder Ausstellungsräumen der Kulturhauptstadt zu organisieren. Solche Deals seien nicht ungewöhnlich, sagt Richard: „In Dubai machen sie es auch so.“

Sexy Ein weiteres Instrument, um Kultur und Wirtschaft zusammenzuführen, ist der 2020 gegründete Business for Culture Club (BFCC). Ein finanzieller Beitrag sei nicht die Voraussetzung für eine Mitgliedschaft, materielle Unterstützung oder Beratung täten es auch, sagt Richard. Mit dem BFCC will Esch 2022 vor allem kleine und mittlere Unternehmen ködern, die Kulturprojekte entweder mit Geld oder Sachleistungen fördern. Um Künstler/innen und Firmen zusammenzuführen, hatte die Asbl. vergangenes Jahr bereits zwei Pitch-Sessions organisiert, an denen sich laut Jahresbericht zwölf Projektträger/innen und 20 Unternehmen beteiligt haben. Bei diesen Events, die pandemiebedingt über Zoom abgehalten wurden, hatten Kulturschaffende drei Minuten Zeit, um sich vorzustellen. Vor Beginn hätten die Veranstalter ihnen ans Herz gelegt, ihr Projekt möglichst „sexy“ zu verkaufen, erzählt ein teilnehmender Künstler, der namentlich nicht genannt werden will. Kurios sei gewesen, dass er nicht einmal gewusst habe, wer ihm am anderen Ende zusieht. Er habe bisweilen den Eindruck gehabt, dass auf Sponsorenseite überhaupt niemand gesessen habe und die „an Banalität nicht zu übertreffenden Fragen“, die den Künstler/innen anschließend gestellt wurden, sich die Mitarbeiter/innen von Esch 2022 selbst ausgedacht hätten. Da er nach dem Pitch kein Feedback erhalten habe und seine Bedürfnisse nach spezifischen Werkstoffen unerfüllt geblieben seien, habe er sich selbst auf die Suche nach Sponsoren gemacht, berichtet der Mann im Gespräch mit dem Land. Auf die Hilfe von Esch 2022 habe er in keinerlei Hinsicht zählen können.

Esch 2022 selbst beteuert, dass auf ihre Initiative hin viele Firmen Künstler/innen finanzielle oder materielle Hilfe zugesagt hätten. Als Musterbeispiel wird immer wieder der „sehr engagierte“ Gérard Thein angeführt, der Lieferwagen und Laster für den Transport von Material zur Verfügung stellt. Thein ist in Esch/Alzette bekannt, weil er neben seiner Haupttätigkeit als Generaldirektor der Baufirma Bonaria Frères noch die Blogs #icicestesch und Esch Biken mitbetreibt und das Escher Vereinsleben aktiv unterstützt. Andere Namen kann oder will Esch 2022 allerdings nicht nennen.

Battle Royal Radio 100,7 hatte Ende Februar berichtet, dass erst 20 der 132 Konventionen mit Esch 2022 unterzeichnet worden seien. Daran scheint sich bis heute kaum etwas geändert zu haben. Esch 2022 ließ auf Nachfrage verlauten, man werde vorerst keine Zahlen mehr veröffentlichen, man wolle sich lieber auf Inhalte fokussieren. Land-Informationen zufolge war vor allem der erste Entwurf der Konvention auf Widerstand gestoßen. Gemeinden und andere institutionelle Träger, die den Großteil der 132 Projekte stemmen, hätten daraufhin nachverhandelt und das Resultat sei für sie inzwischen weitgehend zufriedenstellend, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Insbesondere unabhängige Künstler/innen und Vereinigungen, die nicht auf große Verwaltungsstrukturen zurückgreifen können, tun sich aber noch schwer. Die Konvention, die uns in Teilen vorliegt, enthalte Passagen, die der Asbl. Esch 2022 umfangreiche Nutzungsrechte einräumen, sie aber gleichzeitig von Verantwortung entbinden, bemängelt eine Künstlerin, die anonym bleiben will. Demnach sollen die Träger sämtliche Eigentums- und Vervielfältigungsrechte an ihrem Werk an die Asbl. abtreten, bis die gesetzliche Frist für die Autorenrechte abgelaufen ist. Änderungen an ihren Projekten können sie nur mit schriftlicher Zustimmung der Asbl. vornehmen. Unter Artikel 7 verpflichten sie sich dazu, alle behördlichen Genehmigungen selbst zu besorgen, sich ordnungsgemäß bei der Steuerverwaltung anzumelden und ihre Mitarbeiter über Arbeitsverträge einzustellen. Auch für die Sicherheit von Mitarbeiter/innen und Besucher/innen sollen die Träger selbst sorgen.

Während die arbeitsrechtlichen Vorgaben institutionellen Trägern selbstverständlich erscheinen dürften, sind sie für unabhängige Kulturschaffende nur schwer umzusetzen. Deshalb möchten manche ihre Konvention neu verhandeln und wünschen sich, dass die spezifischen Bedürfnisse ihres Projekts berücksichtigt werden. Ein vom Land kontaktierter Künstler will die Konvention erst unterzeichnen, wenn er alle Sponsorenverträge unter Dach und Fach hat. Ein Träger aus dem assoziativen Bereich steht Land-Informationen zufolge sogar kurz davor, sein Projekt wegen der Regelung über die Autorenrechte zurückzuziehen.

In einem Punkt sind sich alle Beteiligten einig: Die Zeit drängt. In genau 323 Tagen (am 26. Februar 2022) soll in Belval die Eröffnungsfeier mit 30 000 Besucher/innen stattfinden. Produziert wird sie von der Berliner Agentur Battle Royal, die solch bedeutende Events wie die Eröffnungsshow der Ferrari World in Abu Dhabi, eine Vereidigungszeremonie der Dubai Police Academy oder den Nationalfeiertag der Vereinigten Arabischen Emirate mit Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktum als Stargast spektakulär in Szene setzte.

Luc Laboulle
© 2024 d’Lëtzebuerger Land