Festival Queer Little Lies

Selbstfindung

d'Lëtzebuerger Land du 07.12.2018

Was ist queere Kunst und welche Rollen belegen Körper, Sexualität und Identität darin, so die Fragestellung des ersten queeren Festivals, das am vergangenen Wochenende im Escher Theater stattfand und vom Theaterkollektiv Independent Little Lies (ILL) ins Leben gerufen wurde.

Ob in expliziten schwarz-weißen Fetisch-Zeichnungen der französischen Trans-identitären Céline Le Gouail, in herrlich ehrlichen Interviews der queer-lesbischen Künstlerinnen des Wiener Club Burlesque Brutal im Film Femme brutal, beim Drag King Workshop oder während der Performance der im schweizerischen Zürich lebenden Luxemburgerin Valérie Reding: Der Körper mit seinen Grenzen und Verletzungen, seinen binären Zuschreibungen und aufregenden Energien, in seiner Macht und Ohnmacht war omnipräsent. Mal in spielerischer Pose als an Judith Butler angelehntes Gender trouble wie in Redings autobiografischem Stück Wild Child, bis das Spiel kippt und zu bitterem Ernst wird, wenn Reding eigene MeToo-Momente verarbeitet. Mal schonungslos und in your face im Film Femme brutal (2015) der Österreicherin Liesa Kovacs, in dem die Burlesque-Künstlerinnen intime Überlegungen darüber anstellen, was Nacktsein auf der Bühne für sie bedeutet, was es heißt, den eigenen Körper in den Fokus der Show und des Publikums zu stellen, als Projektionsfläche für (die Lust) andere(r) zu dienen und sich dem gleichwohl zu verweigern. Oder melancholisch bis zart in den Kollagen von Laura Pfeiffer. Schließlich explorativ, wenn Festivalbesuchende sich in Werkstätten schreibend und kleidend mit ihren Identitäten auseinandersetzen. Queere Kunst geht nicht ohne die Konfrontation mit Körper, Geschlecht und Gender, so das Motto. Und sei es als ironischer Kontrapunkt in der One (Wo)Man Show La Nature contre-nature, tout contre von und mit Camille Pier alias Josie, eine kabarettistische populärwissenschaftliche Annäherung an die sexuelle Vielfalt im Tierreich.

Insofern war es konsequent, dass die Fragen von Moderatorin Sandy Artuso (neben Jill Christophe und Frédérique Colling Festival-Organisatorin) an die Künstler*innen während der abschließenden Podiumsdiskussion am Sonntagnachmittag fast alle in diese Richtung zielten. Ebenso die Antworten, sofern bei der schlechten Akustik verständlich. Da wurde der Anspruch formuliert, queere Kunst dürfe nicht nur ästhetisch sein. Hinter den Ikonografien und Inszenierungen stünden Lebenserfahrungen, sagte Céline Le Gouail, deren Schnurrbart Gesagtes wie ironisch untermalte. Ein Beitrag, der gewissermaßen den Finger in die Wunde legte: Das Drag-Element, ohne das kein queerer Auftritt auszukommen scheint, kommt eben doch oft eher fetischisierend, ästhetisch-oberflächlich herüber denn als politisches Statement. Mal läuft es gar Gefahr, Stereotypen zu untermauern, statt sie ironisch zu brechen. Valérie Reding betonte, das Spiel mit der Verwandlung zu genießen, sie möge es, Erwartungen zu unterlaufen. Kunst müsse berühren und könne so, ohne dass das zugrunde liegende theoretische Konzept allen einleuchte, Menschen erreichen.

Wobei die Frage erlaubt sein muss: Ist das alles? Geht es bei queer wirklich (nur) darum, wer sich wo wie verortet im Geschlechterspektrum, wer wen liebt, wie und womit – und bleibt queere Kunst nicht so gezwungenermaßen auf sich selbst zurückgeworfen und somit auf die Subkultur begrenzt? Was folgt danach, wenn alle Tiefen und Untiefen der Sexualität, des Körpers, der Lust und der Identität einmal ausgeleuchtet sind? Provokant gefragt: Gelangt die Szene mit ihren kreativen Produktionen, ähnlich wie Homo-Filme im Mainstream-Kino, nie über das Coming-out hinaus?

Ist queer (immer) gleich feministisch, politisch links, und wie verhält es sich zu anderen Diskriminierungen, Marginalisierungen und Machtbeziehungen? Den Organisatorinnen von Queer Litte Lies war es wichtig, die Kunstschaffenden angemessen zu bezahlen. Das ist ein politisches Statement, reicht aber nicht aus, um über den subkulturellen DIY-Charakter hinauszuführen.

Es ist das erste Mal, dass das Theaterkollektiv ILL zu solch einem Festival eingeladen hat. Das an sich ist bemerkenswert, denn queere Kultur ist in der Großregion so gut wie abwesend. Doch die Veranstaltung muss sich gewissermaßen noch selbst finden, inhaltlich-konzeptuell und im Anspruch präziser werden. Geladen waren alle, gekommen war vor allem die schwul-lesbische, trans-, bi-, und asexuelle Gemeinschaft (die oft weniger Wir-Gruppe ist als Zweckbündnis). Für die Aufführung Valérie Redings, deren Akt als einziger Besuchende jenseits der Wohlfühl-Nische anzog, war kein Publikumsgespräch vorgesehen. Das war schade, denn so wurde eine der raren Gelegenheiten verpasst, sich über die übliche Abgrenzung hinaus von „hier die Minderheit und da die Mehrheit“ auszutauschen. Wenn das überhaupt gewollt ist.

Ines Kurschat
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