LEITARTIKEL

Tarif vom Minister

Enttäuschte Laien behaupten, der Erzbischof könne nicht auf Augenhöhe mit ihnen diskutieren
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 16.12.2022

„Et geet elo duer“, ließ LSAP-Sozialminister Claude Haagen am Mittwochabend vom Pressedienst der Regierung verbreiten. Am Tag zuvor war die Schlichtung zwischen der CNS und dem Therapeutenverband Fapsylux um einen Kassentarif für Psychotherapie für gescheitert erklärt worden. Nach fast fünf Jahre langen Verhandlungen über eine Kassen-Psychotherapie sieht das nicht gut aus. Nun soll es schnell gehen. Claude Haagen wird den Tarif mit einer großherzoglichen Verordnung festschreiben lassen. Das hatte er schon Mitte September angedeutet, ehe die Schlichtung begann: Er werde „keine zwei Monate“ zum Nachdenken brauchen und habe bereits einen Tarif „im Kopf“.

Für die demonstrative Entschlossenheit besteht politischer Bedarf. Aus der Koalition wie aus der Opposition wurde schon Haagens Vorgänger Romain Schneider signalisiert, die Verhandlungen dauerten viel zu lange. Alle sind sich einig, dass bei psychischen Erkrankungen Notstand herrscht. Ins Wahljahr zu gehen mit der Bürde Psychotherapie am Hals, kann der Sozialminister sich nicht leisten.

Doch einen Tarif vom Minister gab es noch nie, seit alle Gesundheitsdienstleister vertraglich mit der Kasse verbunden sein müssen. Im Gegenzug für das conventionnement obligatoire gilt zwischen der CNS und den national repräsentativen Dienstleisterverbänden Tarifautonomie. Die war so sakrosant, funktionierte aber auch so gut, dass bis zur Gesundheitsreform von 2010 nicht vorgesehen war, dass der Minister zur Verordnung greift, wenn nichts mehr geht. Schreibt Claude Haagen nun einen Tarif vor, ist das auch ein Hinweis darauf, dass im Luxemburger Gesundheitssystem etwas grundsätzlich nicht mehr klappt.

Es ist nicht so sicher, ob die Psychotherapie ein besonderes Problem ist. Zwar fürchtete die CNS stets, dass die Kostenübernahme für die nicht leicht zu fassenden Behandlungen zu einem Fass ohne Boden würde. Entsprechend defensiv verhandelte sie über die Modalitäten von Kassen-Therapien und über den Tarif pro Sitzung. Hinzu kam aber in letzter Zeit eine weitere Sorge: Ein zu guter Tarif könnte zu viele Therapeut/innen aus dem Ausland anlocken. In der EU herrscht Niederlassungsfreiheit. Und das conventionnement hierzulande ist nicht nur obligatoire, sondern auch automatique: Sämtliche Angehörigen einer mit der CNS konventionierten Berufsgruppe dürfen bei ihr abrechnen, was in der Gebührenordnung steht. Deshalb steigt in Luxemburg die Zahl der Kinesitherapeut/innen. Seit ein paar Jahren auch die der Zahnärzt/innen. Immer mehr Dentisten-Zentren öffnen, die sogar sonntags von morgens acht bis abends 22 Uhr ihre Dienste anbieten. Die Frage stellt sich, ob Luxemburg eine Bedarfsplanung von Gesundheitsdienstleistern benötigt, und die Antwort lautet vermutlich ja.

Neu ist das nicht. Gefürchtet wird die Konsequenz, vor allem bei den Ärzt/innen. Nähme die CNS eine begrenzte Zahl pro Disziplin unter Vertrag, gäbe es Kassenärzte und Nicht-Kassenärzte. Für Letztere müsste dann her, was keine politische Partei will, nicht nur die LSAP: eine Gebührenordnung für Privatmedizin. Sie wäre der Einstieg in ein Zwei-Klassen-System.

Doch andererseits ist auch die LSAP nicht gegen eine deutliche Ausweitung des Gesundheits-Angebots außerhalb der Spitäler. Die Gesundheitsministerin und heimliche LSAP-Spitzenkandidatin stellt sich vor, dieser Bereich, in dem allein Freiberufler agieren und der überhaupt nicht reguliert ist, lasse sich über Konventionen und Tarife regulieren. Der Sozialminister will nun die Psychotherapie per Tarif regulieren. Offenbar so, dass sie im Ausland nicht zu attraktiv erscheint. Das ist nicht nur eine Ironie angesichts aller Erklärungen, wie „wettbewerbsfähig“ Luxemburg in der europäischen Konkurrenz um knappe Gesundheitsberufler sein müsse und dass dazu sogar Handelsgesellschaften nötig seien. Claude Haagen muss auch aufpassen, dass sein Tarif die freiberuflich ausgeübte Psychotherapie in Luxemburg nicht generell unattraktiv macht. Am Ende könnte der Tarif jenen 154 Euro ähneln, die das dem Jugendministerium unterstehende Office national de l’enfance freibeuflichen Therapeut/innen pro Sitzung aus der Staatskasse zahlt. Die Fapsylux soll damit beim Schlichter einverstanden gewesen ein, die CNS nicht.

Peter Feist
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