CSV

Unfehlbare Vierzigjährige

d'Lëtzebuerger Land du 19.11.2009

„Der Kongress der Erneuerung“, so der scheidende Parteipräsident François Biltgen, sollte es am Samstag im Kulturzentrum von Moutfort werden. Geworden ist es dann der Kongress der Selbstgefälligkeit. Noch im Rausch ihres Wahlsiegs vom Juni, präsentier­te die Christlich-soziale Volkspartei sich so, wie sie schon vor Jahren sich nicht mehr zu präsentieren beschlossen hatte: als schulterklopfender Männerverein, der nach dem Motto „uns kann keiner“ vor keiner Peinlichkeit zurückschreckte, um sich stundenlang selbst zu loben, zu danken, zu besingen, zu beschenken, zu beweinen und zu feiern.

Wahlergebnis, Wahlanalysen und Meinungsumfragen bewiesen dem scheidenden Parteipräsidenten François Biltgen, dass die CSV die Partei ist, die „alles richtig gemacht“ habe, als einzige eine richtige Volkspartei sei und als einzige in „der ersten Liga“ spiele. Dass es auch noch andere Parteien im Land gibt, kam keinem der Redner mehr in den Sinn. Außer Biltgen, der feststellte, dass an mancher Sektionsversammlung der CSV mehr Mitglieder teilnähmen als an einem Landeskongress der Grünen. Ob man mit soviel Testosteron und Unfehlbarkeitsanspruch neuen Wählerschichten die Angst vor dem CSV-Staat nimmt, ist ungewiss. Aber so sollte zumindest das Zusammenhörigkeitsgefühl gestärkt werden, das nach der Euthanasiedebatte, der Regierungsbildung und den Spekulationen über die Juncker-Nachfolge gelitten hatte.

Dabei wollte es die Ironie der Geschich­te, dass für die 338 Delegierten und über 100 Ersatzdelegierten die wichtigste Erneuerung Tabu auf dem Erneuerungskongress blieb. Denn die Nachfolge der bis dahin amtierenden Parteiführung wurde zwar ohne Zwischenfälle und für die wichtigsten Ämter ohne Gegenkandidaten geregelt – aber die Partei, die sich selbst in ihrer Wahlwerbung „déi mam Juncker“ nannte, verlor kein Wort über die Nachfolge ihres Premiers.

Jean-Claude Junckers Schicksal sollte sich zwar erst einige Tage nach dem Kongress entscheiden. Doch ganz unabhängig vom Erfolg von Junckers Bewerbung für das Amt des ständigen Vorsitzenden des EU-Rats zeigte schon die Bewerbung an sich, dass der einsame Star der CSV Lust hatte, etwas Anderes zu tun, als bei den nächsten Kammerwahlen 2014 Pierre Werners 20-jährigen Amtsrekord zu brechen. Doch die Partei wusste beim besten Willen nicht, wie sie mit Junckers Überdruss umgehen sollte.

Auch von Juncker selbst erfuhren die Parteimitglieder kein Wort mehr. Er legte seinen Kollegen lediglich in ei­nem kurzen Schlusswort nahe, etwas umsichtiger und bescheidener aufzutreten. Die Meinungen gehen offenbar auseinander, ob der CSV-Staat ein Projekt der Dominanz (Biltgen) oder der Hegemonie (Juncker) sein soll.

Mit 89,9 Prozent beziehungsweise 88,4 Prozent der Stimmen wurden die beiden Söhne ehemaliger CSV-Minister Michel Wolter und Marc Spautz zum Parteivorsitzenden beziehungsweise Generalsekretär gewählt. Minister Claude Wiseler und Ministerin Octavie Modert wurden mit 92,0 Prozent beziehungsweise 83,7 Prozent der Stimmen Vizepräsidenten der Partei. So ist die Parteiführung nun in die Hände der Vierzigjährigen übergegangen.Claude Wiseler, der bereits zwischen 1995 und 2005 Generalsekretär der CSV war und nun als Bauten-, Transport-, Landesplanungs- und Umweltminister ausgelastet sein könnte, vermochte in seiner kurzen Ansprache nicht zu erklären, weshalb er sich auch noch für das Amt des Vizepräsidenten bewarb. So dass der Verdacht aufkam, dass der „Superminister“ seine Position in der Partei für den Augenblick festigen will, wenn der Nationalvorstand dem Landeskongress einen neuen Premier vorschlagen soll.

Michel Wolter, der schon einmal Minister und Fraktionsvorsitzender war, zeigte sich zu Tränen gerührt über die „große Ehre, CSV-Präsident zu sein“. Er, dessen Markenzeichen lange seine lümmelhaften Auftritte waren, versprach, sich diplomatisch um den Ausgleich in der Partei und den Konsens zu bemühen, was für ihn „eine neue Dimen­sion“ darstelle. Was auch bedeutet, dass der rechtsliberale Präsident die Politik der Partei nicht mit dem neuen Generalsekretär aus dem LCGB teilen will. Marc Spautz, der nach seiner Wahl gar nicht mehr zu Wort kam, soll sich mit dem Administrativen begnügen.

Wolter widersprach seinem Vorgänger François Biltgen, der nach 38 Prozent der Stimmen dieses Jahr eupho­risch aufrief, bei den nächsten Kammerwahlen 40 Prozent anzustreben. Für den neuen Vorsitzenden ist es dagegen wichtiger, notfalls auch unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen, selbst wenn die­se einige Prozentpunkte Stimmen kosten.

Michel Wolter hatte seine Fraktionskollegen nicht nur vor drei Jahren mit seinem Kampf für den Roten Löwen in der Landesfahne überrascht, sondern 2005 auch schon einen Putschversuch gegen die angeblich zu großzügige Haushaltspolitik von Jean-Clau­­de Juncker und Luc Frieden mit angezettelt. Statt für das „belgische Modell“ des Krisenauswegs, des verhängnisvollen Sich-blind-Stellens, sprach er sich am Samstag in Moutfort für das „schwedische Modell“ aus. Nicht des Kampfs gegen die Prostitution (Grüne) oder der parlamentarischen Monarchie (LSAP), sondern dafür, „alle zusammen nach sozialen Kriterien“ einen „Schritt zurück zu gehen“.

Romain Hilgert
© 2024 d’Lëtzebuerger Land