Vier Jahre nach ihrem Start hat Eis Schoul immer noch Gegner. Dabei versucht die inklusive Ganztagsschule, Kernziele des blau-rot-grünen Regierungsprogramms umzusetzen

Häutungen

d'Lëtzebuerger Land du 13.12.2013

„Eis Schoul virum Enn“ behauptete die ADR am 26. November frech mitten in die Koalitionsverhandlungen von DP, LSAP und Déi Gréng hinein. Das Dementi folgte prompt. Man habe „nie daran gedacht, die Schule zu schließen“, entgegnete Regierungsberater Marc Barthelemy aus dem Schulministerium noch am gleichen Tag.

Die ADR veröffentlichte daraufhin einen internen Sitzungsbericht. Aus dem geht hervor, dass die Zukunft der Schule durchaus Gegenstand von Gesprächen zwischen Stadt, Unterrichtsministerium und Inspektorat war. Und zwar bereits im Juli 2013. Von Zumachen kann allerdings keine Rede sein: Es ging darum, ob die Schule, die sich seit ihrer Gründung deutlich verändert hat, auch künftig ein eigenes Gesetz braucht, oder sie nicht als reguläre Stadtteilschule mit einem besonderen pädagogischen Projekt der Stadt unterstellt werden sollte. Dass die ADR die Meldung zu jenem Zeitpunkt brachte, war kein Zufall: Die letzten Tage der LSAP-Schulministerin Mady Delvaux-Stehres waren angezählt, der erzkonservative ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser war von jeher gegen die Reformschule. Die Gegner witterten Morgenluft.

Ortsbesuch Ein Monster liegt vor der Tür im Untergeschoss von Eis Schoul. Von unsicherer Kinderhand mit Pinselstrich gezeichnet. Ein Torso aus drei bemalten Blättern, die zusammengesetzt werden müssen. Aber nicht mehr heute, denn die 97 Schüler sind fast alle ausgeflogen. Die Schule auf Kirchberg, sonst voller Leben, liegt jetzt ruhig und still. Es ist kurz nach vier, nur in einem Klassenraum brennt noch Licht. Zwei Mädchen und zwei Jungen warten auf ihre Lehrerin. „Wir machen hier Appui“, erklärt diese einige Minuten später. Ein Junge will unbedingt, dass die Journalistin seine Meinung zur Schule aufschreibt: „Mein Lehrer ist zwar streng, aber gerecht.“

Sein Lehrer und zugleich Präsident des Schulkomitees ist Marc Hilger. Sein Klassensaal befindet sich im hinteren Teil des Hauptgebäudes. Auf dem Tisch liegen Wochenpläne und Bücher, an den Wänden hängen bunte Zeichnungen. Oben auf einer Plattform können sich Schüler zurückziehen. Ein Computer dient zur Lernhilfe. Hilger arbeitet, wie die anderen Zyklen, im Team mit zwei Kollegen, mit denen er regelmäßig das Programm für die Klasse und das einzelner Schüler bespricht: „Wir planen die Stunden mit den Erziehern gemeinsam. Das klappt in der Regel ganz gut. Im Zweifelsfall entscheide ich, wie der Unterricht gestaltet wird.“

Lernende Schule Was nach klaren Rollen klingt, ist in Wirklichkeit das Ergebnis eines langen, teils schmerzhaften Lernprozesses. Als die Schule 2008 als inklusive Ganztagsschule gegründet wurde, war zwar geplant, dass Lehrer, Erzieher, Heilpädagogen und Psychologen Hand in Hand zusammenarbeiten und gemeinsam entscheiden sollten. Doch was auf dem Papier gut klingt, klappte im Schulalltag nicht. Die Kompetenzen abzustecken, dauerte mehrere Jahre – und blieb nicht ohne Konflikte.

Hohe Ansprüche Die Schule hatte keinen leichten Start. Von Anfang an herrschte Personalnot, einige Gründer waren mehr an der Uni als in der Schule (Eis Schoul sollte Rechercheschule mit wissenschaftlicher Begleitung sein), andere verließen das Projekt nach dem ersten Jahr. Eine Schule gründet sich aber nicht so einfach, das verlangt Wissen über Organisation, Personalführung, Kofliktmanagement. Dass Eis Schoul sofort sämtliche Zyklen von eins bis vier anbot und nicht von unten her allmählich aufgebaut wurde, belastete das ambitiöse Projekt zusätzlich: Nicht wenige Eltern, die ihr Kind anmeldeten, taten dies in der Hoffnung, eine Alternative zur Regelschule zu finden. „Wir mussten feststellen, dass der Anteil der Kinder mit besonderem Betreuungsbedarf viel höher war als geplant“, so Marc Hilger. Der Anspruch, die inklusive Betreuung zu organisieren, stellte sich als schwieriger heraus als gedacht: Wie die Psychologin und die Heilpädagogin in Beratungen und Unterricht integrieren? Manche Kinder benötigten zudem keine psychologische, sondern logopädagische oder psychomotorische Hilfe. Inzwischen ist ein multidisziplinäres Team eng an die Schule angeschlossen, wird aber von der Éducation différenciée gestellt.

Steiniger Weg „Es war ein weiter Weg mit vielen Änderungen. Aber jetzt hat die Schule ihren Rhythmus gefunden“, ist Tonia Clement überzeugt. Die Mutter von drei Kindern ist die Präsidentin des Elternkomitees und war von Anfang an dabei. Sie hat alle Hochs und Tiefs miterlebt – und auch aktiv angepackt, wenn und wo nötig. Das schätzen sie und andere Eltern an der Schule sehr: „Hier sind wir wirklich Partner.“ Anne Piazza, ebenfalls im Elternkomitee aktiv, fügt hinzu: „Manchmal war es anstrengend. Aber ich sehe, wie gerne mein Sohn zur Schule geht. Und das entschädigt für alles.“

Eine Zeit lang schien das nicht mehr so sicher. Im Herbst 2012, als Eis Schoul nach Startschwierigkeiten dank mit Hausordnung und überarbeitetem Konzept endlich halbwegs gefestigt schien, brachen erneut Konflikte auf. Diesmal war der Stein des Anstoßes der so genannte offene Unterricht. Eltern klagten, nicht genügend über die Lernfortschritte ihrer Kinder informiert zu zu sein, schwache Leistungen bei internen Tests verunsicherten zusätzlich. Besonders in einem Zyklus schienen sich Schwierigkeiten zu häufen: Schüler, die im unteren Zyklus noch Spaß am Lernen hatten, wollten plötzlich nicht mehr in die Schule gehen. Sie berichteten von Streit und Stress. Von den Eltern zur Rede gestellt, schottete sich eine Gruppe Lehrer immer mehr ab. Die Spannungen nahmen zu, so dass die Eltern die Ministerin um Hilfe baten. Sogar eine Mediation fragten sie an. Der Inspektor der Stadt wurde hinzugeschaltet, Aussprachen gesucht. Fazit: Die Fronten zwischen verschiedenen Lehrern, aber auch zwischen einem Lehrer und Eltern seien so verhärtet, dass an eine interne Lösung nicht mehr zu denken sei. Einige Eltern hatten schon, andere spielten noch mit dem Gedanken, ihr Kind aus der Schule zu nehmen. Der Fortbestand des Projekts war ernsthaft gefährdet.

Machtwort Im Frühjahr 2013 sprach die Ministerin ein Machtwort, es war nicht ihr erstes: Der umstrittene Lehrer musste gehen. Und noch etwas forderte Mady Delvaux-Stehres: Das pädagogische Konzept müsse so überarbeitet werden, dass für alle ersichtlich sei, entlang welcher Methoden unterrichtet werde – und vor allem, wer im Konfliktfall entscheide. Im September war das neue Regelwerk geschrieben – und fand Zustimmung bei den Eltern und dem (neu) zusammengesetzten Lehrpersonal. Der Unterricht sollte abwechseln zwischen „apprentissage individualisé et collectif“. Angeleitete Unterrichtseinheiten würden durch freies Lernen abgelöst, Kinder rund um Themen lernen. Der Wochenplan wurde verbindlich festgeschrieben, ebenso, dass das didaktische Material mit dem nationalen Lehrplan übereinstimmen müsse. Pädagogische Entscheidungen obliegen dem Schulkomitee, im Konfliktfall entscheidet der Präsident. „Heute würde ich keine Schule basisdemokratisch aufbauen. Das geht nur so lange gut, wie man sich einig ist“, so Marc Hilger im Rückblick.

„Die meisten unserer Forderungen wurden berücksichtigt“, freut sich Tonia Clement. Zur Rentrée erschienen alle gemeinsam: Lehrer, Erzieher, Elternm Schüler. „Es fühlte sich an wie im ersten Jahr. Es war dasselbe Gefühl von Gemeinsamkeit und Bemühen“, erinnert sich Clement. Wie ein Schock traf es die Eltern daher, als sie von den angeblichen Plänen zur Schließung erfuhren. „Gerade jetzt, wo doch alles so gut läuft“, entrüstet sich Clement. Würde die Schule denn nie zur Ruhe kommen? „Und die Kinder? An die denkt niemand“, ärgert sich Anne Piazza. Verstärkend kam die Sorge hinzu, dass mit dem Fortgang der LSAP-Ministerin eine der wichtigsten Fürsprecherinnen von Eis Schoul nicht mehr da ist.

Neue Zeiten „Wir werden zunächst mit dem neuen Minister sprechen“, beruhigt Colette Mart. Die liberale Schulschöffin bestätigt gegenüber dem Land, dass im Sommer und auch im November Gespräche über Eis Schoul stattfanden. Da sei es aber nicht um die Existenz, sondern vielmehr um die „zukünftige Organisation“ gegangen, ein weiteres Treffen wurde ausgesetzt. „Ich bin für Vielfältigkeit. Ich gebe der Schule gerne eine Chance, aber an mir allein hängt es nicht“, betont Mart. Wichtig sei auch, dass die Kinder genügend lernen.

Die Schöffin bestätigt außerdem, was Insider schon länger wissen: dass in der hauptstädtischen Schulkommission gewichtige Gegner sitzen, darunter Gewerkschafter und die ADR, die wahrscheinlich dafür verantwortlich sind, dass interne Sitzungsdokumente nach außen drangen. Lehrer des Comité de cogestion hatte seinerzeit zudem ein eigenes Konzept für eine Ganztagsschule vorgelegt, das aber von der Ministerin damals mit Verweis auf Eis Schoul abgelehnt wurde. Die Hauptstadt unterscheidet traditionell zwischen Foyer scolaire und Schule.

Inzwischen geht der Trend landesweit zur Annäherung beider Betreuungssysteme: Externe Strukturen sind teuer, die Absprachen klappen zwischen Schule und Hort nicht reibungslos, oft ist nicht klar, was wo gelernt werden soll. Um Inhalte und Zuständigkeiten besser aufeinander abzustimmen, hat die neue Regierung die beiden Ressorts Kinderbetreuung und Bildung zusammengelegt. Auch die Stadt plant Mart zufolge eine Ganztagsschule, sie soll nicht „auf Kosten“ von Eis Schoul gehen.

Vom Ausland gelobt So falsch kann Eis Schoul nicht liegen. Der Bildungsforscher Hans Brügelmann von der Universität Siegen, als externer Gutachter herbeigezogen, lobte das „höchst ambitionierte und für die Schulreform über Luxemburg hinaus interessante Konzept“. Eis Schoul habe „unter schwierigen Bedingungen angefangen und einige Krisen durchgemacht. Dies sei aber „für radikale Schulreformen nicht ungewöhnlich“, heißt es im Evaluationsbericht vom April 2012. Und weiter: „Gewöhnlich und beeindruckend ist dagegen, wie engagiert und zugleich systematisch sich die Schule mit dem Problemen auseinandergesetzt und tragfähige Lösungen entwickelt hat.“ Vom Land kontaktiert, bestätigt Brügelmann den damals gewonnenen Eindruck: Eine Schule neu zu gründen, die völlig anders unterrichtet als herkömmliche Schulen, sei ein „sehr ehrgeiziges Projekt. Das braucht Zeit.“ Unter Bildungswissenschaftlern ist das Interesse an dem Luxemburger Modellversuch groß: Die Uni Siegen forscht am Beispiel von Eis Schoul zur Schulentwicklung. Ein Rechercheprojekt mit der Uni Lorraine, über Unterrichtspraktiken bei Eis Schoul, ist in Vorbereitung. Auch die Luxemburger Uni ist mit zwei Projekten dabei: zu den pädagogischen Methoden und zur inklusiven Pädagogik, sowie zur Entstehungsgeschichte von Eis Schoul.

Politikum Eines lässt sich festhalten: Eis Schoul stand von Anfang an unter strenger Beobachtung, nicht nur seitens der politischen Opposition. Der per Gesetz geregelte Sonderstatus von Eis Schoul, ein Startkapital von rund einer Million Euro, sowie der teure Schultransport sorgen immer wieder für Neid und Polemik. Vor allem Gewerkschaften ist die Schule ein Dorn im Auge, auch weil sie in der doch recht uniformen Schullandschaft Luxemburgs wegen ihres inklusiven und reformpädagogischen Charakters heraussticht. Die DP, die jetzt den Schulminister stellt, hatte 2011 schonmal die Schließung der Schule gefordert. Doch will die Regierung Ernst machen mit ihrem Programm, dann muss der neue Minister Eis Schoul eine faire Chance einräumen. Programmatische Kernziele sind schließlich ein differenziertes Schulangebot, individuelle (Ganztags-)Betreuung, Elternbeteiligung und mehr Inklusion. „Alles das bietet Eis Schoul“, betont Marc Hilger. Das Elternkomitee sieht Pläne, aus Eis Schoul eine gewöhnliche Stadtteilschule zu machen, kritisch: Dann werde sich die soziale Zusammensetzung ändern, fürchtet Tonia Clement. Dem Land sagte Schulminister Claude Meisch, er wolle das Projekt „in Ruhe prüfen“. Das werde frühestens im neuen Jahr geschehen. Dann will er auch mit den unterschiedlichen Akteuren sprechen: „Wir brechen nichts übers Knie.“

Ines Kurschat
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