Christian Müller ist so etwas wie der Vorzeigepapa für die neue Aufklärungskampagne des Bildungsministeriums: Der Journalist mit den dunklen Locken ist einer von geschätzten 750 Elternvertretern auf Grundschulebene im Land und schmückt die Broschüren und den Videoclip, mit dem das Ministerium Eltern über ihre Rechte und Pflichte informieren und neue Elternvertreter gewinnen will. Denn im Oktober sind Wahlen. Zunächst werden die Elternvertreter pro Schule gewählt. Im Februar 2020 folgen dann die Sprecher auf Landesebene.
Das heißt: Wenn sich welche finden. Denn oftmals ist es für die Schulen nicht einfach, motivierte Eltern für das Amt zu gewinnen. Viele Mütter und Väter fürchten den Arbeitsaufwand, die Aktivität ist ehrenamtlich, wird also nicht bezahlt, und es gibt auf der Ebene der Schule keinerlei Freistellungen für sie. Andere haben Sorge, ihr Engagement könnte sich auf ihr Kind negativ auswirken. „Vielen Eltern ist nicht klar, was auf sie zukommt. Ich musste mir meine Informationen erst zusammen suchen“, erinnert sich Müller.
Als Journalist fiel ihm die Recherche leichter: Er klopfte beim Ministerium an, las Gesetzestexte und landete bei der Fapel. Der Verein ist die Dachorganisation der Elternvereine, die sich in den vergangenen Jahren gegründet haben. Lange Zeit war die Fapel die einzige Ansprechpartnerin für Eltern, die bei einem Konflikt mit einem Lehrer nicht weiter wussten, die Fragen zum Schulsystem hatten oder die ganz einfach andere Eltern zum Austausch suchten. Inzwischen wird die 1974 gegründete Fapel langsam aber stetig vom ehemaligen Pionier in Sachen Elternarbeit zur Randerscheinung. So sehr, dass sie auf Land-Nachfrage nicht einmal zu sagen wusste, wie die Wahlen im Oktober organisiert werden: „Wir haben bisher keine Informationen, wie das Ministerium das Partenariats-Gesetz umzusetzen gedenkt“. Es klingt eine gewisse Verbitterung aus den Worten heraus. Am Dienstag sprach der Verband in der Angelegenheit beim Minister Claude Meisch (DP) vor.
Die neue Form der Elternbeteiligung, die das Parlament im Sommer 2018 verabschiedete, ist demokratischer als die alte: Statt auf freiwillige Vereinsarbeit zu setzen, wählt künftig jede Elternschaft einer Schule ihre jeweiligen Fürsprecher. Sie wiederum wählen regionale (sektorielle) Vertretungen, aus denen die nationalen Vertreter gewählt werden. Dies sowohl in Grund- und Sekundarschulen als auch in den sonderpädagogischen Fördereinrichtungen, neuerdings Kompetenzzentren genannt. Der pyramidenhafte Aufbau soll sicherstellen, dass die Gewählten die Interessen aller Eltern im Blick haben. Sie sind die Kontaktstelle auf Landesebene für das Ministerium, sollen sich zu Gesetzesvorhaben, Lehrplänen, Bildungsberichten, kurz: zu allen schulpolitischen Belangen, die die Eltern angehen, äußern können. Die Sprecher sind im Obersten Bildungsrat vertreten, die Grundschulvertretungen zudem in der Schulkommission. Der Clou: Die Landessprecher werden acht Stunden im Jahr für ihr Engagement freigestellt. Die Kosten dafür übernimmt der Staat.
Ob sich so mehr Eltern für eine Mitarbeit gewinnen lassen, steht allerdings in den Sternen. Tatsächlich liest sich die bisherige Beteiligung auf dem Blatt besser, als sie es in Wirklichkeit oft ist. Für viele Mütter und Väter sind schulische Probleme des eigenen Kindes der Anstoß, sich zu engagieren. Eltern sind sich oft unsicher, wie sie ihre Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen sollen und wünschen sich eine gezielte Beratung seitens der Schule. Studien belegen: In der Beteiligung der Eltern liegt großes Potenzial, um Schulleistungen der Kinder zu verbessern. Elternmitarbeit ist hier auf den Lernprozess des Kindes bezogen. Leider scheitert manche Schule schon daran, Müttern und Vätern pädagogisch wertvolle Tipps zu geben, wie sie die Hausaufgabenhilfe für alle konstruktiver gestalten können.
Andere Eltern fordern mehr Mitbestimmung. Die Fapel war viele Jahre lang die einzige Organisation, die Eltern, die sich in der Schule inhaltlich einbringen wollten, auf die anspruchsvolle Aufgabe über Weiterbildungen vorbereitet hatte. Denn sich aufstellen zu lassen und gewählt zu werden, heißt noch lange nicht, dass jede/r versteht, was mit dem Amt auf sie zukommt. Der Name sagt es: Es geht nicht darum, die Interessen des eigenen Kindes zu vertreten, sondern die aller Eltern. Das erfordert die Fähigkeit zuzuhören, Gemeinsamkeiten zu erkennen, zu abstrahieren, Konflikte zu lösen, Prioritäten zu setzen, aber auch Paroli zu bieten, wenn die eigene Position im schulischen Gefüge kein Gehör findet.
„Manche Eltern verstehen die demokratische Herausforderung nicht genügend“, sagt Marc Bodson. Der Leiter der Regionaldirektion Differdingen hatte vorm Sommer sämtliche Elternvertreter seines Bezirks zusammengerufen, um sich mit ihnen über ihre Rolle, ihre Ambitionen und ihre Frustrationen auszutauschen. „Der Eindruck war sehr divers, denn die Elternschaft ist heterogen“, fasst der ehemalige Lehrer die Herausforderung zusammen. Sein Bezirk beteiligt sich an einem Projekt zur Eltern(mit)arbeit der Uni Luxemburg. Manche Mütter und Väter seien sehr gut informiert, kannten ihre Rechte gut und auch die Gesetze. Andere wussten nicht einmal, dass die Inspektorate abgeschafft und die Regionaldirektionen nun für die Aufsicht und Begleitung der 157 Grundschulen im Land zuständig sind. Die Regionaldirektionen organisieren gemeinsam mit den Schulen im Bezirk die Elternwahlen in den Regionen. Sie veranstalten Treffen mit den Schulkomitees und mit den Eltern – selbst wenn das nicht in allen Bezirken regelmäßig zu klappen scheint. Sie sind Vermittler und Ansprechperson, wenn es mal auf der Schulebene klemmt.
Und dort klemmt es erfahrungsgemäß öfters mal. Denn obwohl Minister Meisch seit Jahren verspricht, die Rolle der Eltern in Bildung und Erziehung zu stärken und Leitartikel gerade zur Schul-Rentrée gerne ans Verantwortungsbewusstsein von Eltern in der Erziehung appellieren, geht es eher langsam voran mit realen Beteiligungsmöglichkeiten für sie. Das liegt nur zum Teil an fehlenden Informationen. Das Ministerium hat jetzt eine Broschüre ausgearbeitet, die darüber aufklären soll, welche Ansprüche und Aufgaben die Eltern haben, was es mit dem Sprecheramt auf sich hat.
Eine andere Hürde ist ungleich schwieriger abzubauen: Nicht jeder Lehrer, nicht jede Lehrerin freut sich über Input seitens der Eltern, sondern sieht das mit gemischten Gefühlen. Unterstützung beim Schulfest ja, aber Kommentare und Kritik von Eltern werden oft als Einmischung in den Schul- und Unterrichtsbetrieb empfunden. Auch die zunehmende kulturelle Vielfalt verunsichert Lehrer, so die Studie Eltern als Bildungspartner: Wie Beteiligung in den Grundschulen gelingen kann des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen zu Integration und Migration. Viele Lehrer sehen die Demokratisierung schulischer Entscheidungsprozesse daher skeptisch; manch einer, das zeigen die Rückmeldungen, die die Fapel von ihren Mitgliedern bekommt, bremst sie sogar aktiv aus.
Christian Müller kann ein Lied davon singen: „Als ich angefangen habe, tat der Präsident der Schule alles, um es uns so schwer wie möglich zu machen.“ Dank einer jüngeren aufgeschlossenen Lehrergeneration und viel Beharrlichkeit gelang es den Eltern, nach 25 Jahren das erste Fest an der Schule zu organisieren. Den Entwicklungsplan (plan de développement scolaire), den jede Schule im Land erstellen muss, der pädagogische und organisatorische Entwicklungsziele festlegt und eine Beteiligung der Eltern vorsieht, bekam Müller kurz vor der Vorstellung in der Schulkommission der Gemeinde vorgelegt: „Wir sollten dann irgendwo unterschrieben, und das war’s. Dabei hatten wir den nicht einmal gelesen.“ Seit der Lehrer in Rente ist und ein neuer Lehrer die Leitung übernommen habe, habe sich die Zusammenarbeit verbessert. „Es ist wichtig, dass das Schulkomitee und die Lehrerschaft grundsätzlich hinter der Elternmitarbeit steht, sonst wird es sehr schwierig“, so Müllers Erfahrung.
Das bestätigen internationale Studien. Wie stark Schulen Eltern einbeziehen, ist abhängig von der Leitung und der Lehrerschaft. Sind sie offen, steigen die Chancen, dass Mütter und Väter als gleichberechtigte Partner wahrgenommen, in Beratungen eingebunden werden und so eine echte Partnerschaft auf Augenhöhe entstehen kann. Manche tun sich damit leichter, Schulen wie Eis Schoul haben die Demokratie quasi in der DNA. Auch das deckt sich mit Studienergebnissen: Reformschulen haben oft einen demokratischen Vorsprung, weil sie ohnehin vor der Herausforderung stehen, die Eltern in den Reformprozess einzubinden und ihnen die Angst vor unbekannten Lernkonzepten zu nehmen. Will heißen: Um politische und öffentliche Unterstützung zu bekommen, binden diese Schulen Mütter und Väter von vornherein mehr ein.
Aber das bedeutet nicht, dass Eltern dort automatisch Zugang zu allen relevanten Informationen haben. Daten beispielsweise, die Aufschluss über die Performance einer Schule geben, werden hierzulande gehütet wie ein Staatsgeheimnis, egal ob in der Grundschule oder auf der Sekundarstufe. Dabei könnten die Ergebnisse der Épreuves standardisées, richtig aufbereitet und sachlich präsentiert, Aufschluss geben über Defizite auch auf struktureller Ebene. Lehrer und ihre Berufsvertretungen fürchten den Vergleich mit anderen Schulen (obwohl der Vergleich zum Landesdurchschnitt auch ohne öffentliches Ranking ginge) und lassen sich deshalb ungern darauf ein.
Das Ministerium weiß um diese Vorbehalte und Hindernisse, die Eltern tagtäglich in der Schule erfahren. Vom Land auf der Rentrée-Pressekonferenz zur Elternbeteiligung befragt, sagte Schulminister Meisch, er wünsche sich, Beteiligung sei mehr „als nur eine formale Abstimmung über den PDS“. Das Ministerium will Elternvertreter über Plattformen vernetzen, damit sie Best practises austauschen können. Auch Meischs Erster Regierungsrat, Lex Fol-
scheid, räumte ein: „Wir sind noch nicht da, wo wir gerne wären.“
Sprachrohr für alle Eltern
Im Oktober werden neue Elternsprecher in den Schulen des Landes gewählt. Ein konkretes Datum ist nicht vorgesehen, damit die Schulen und Regionaldirektionen genügend Zeit haben, die Wahlen zu organisieren. Eine Broschüre, ein Videoclip und eine neue Webseite www.elteren.lu klären über das Verfahren sowie über die Rechte und Pflichten auf, die mit dem Amt einhergehen. Im Februar 2020 folgt dann die Wahl der nationalen Elternvertretung. Dort sitzen je vier gewählte Vertreter/innen der Grundschulen, sechs aus den Sekundarschulen und zwei Elternsprecher der Kinder mit spezifischen Bedürfnissen. Gewählt werden die Sprecher von regionalen Versammlungen, die sich ihrerseits aus den Elternsprechern der Schulen der Region zusammensetzen. Jede Grundschule hat zwei Stimmen. Bewerbungen sind bis spätestens drei Tage vor der Abstimmung bei der jeweiligen Regionaldirektion einzureichen, wahlberechtigte Eltern sind spätestens 15 Tage vor dem Wahltermin über die anstehende Abstimmung in Kenntnis zu setzen. In den Lyzeen werden die Elternsprecher von den Elternkomitees gewählt, wobei jede öffentliche Schule zwei und jede andere Schule einen Vertreter bestimmt. Sie bilden die sektorielle Vertretung. Die Sprecher der Eltern mit Kindern in den Kompetenzzentren wählen ihrerseits auf der Ebene des Zentrums je zwei Vertreter. Aus deren Mitte werden die nationalen Elternvertreter gewählt.