ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

High Noon

d'Lëtzebuerger Land du 20.06.2025

Nächste Woche veranstalten OGBL und LCGB eine Protestkundgebung in der Hauptstadt. Ihre Flugblätter rufen auf: „Géint dës Regierungspolitik!“

Die Gewerkschaftsfront kündigte die Kundgebung schon vor fünf Monaten an. Nach dem Motto: Haltet mich zurück, sonst geschieht ein Unglück! Die Regierung hielt sie nicht zurück. Das Totem des sozialen Friedens, der Sozialdialog als Beschwichtigungsritual haben ausgedient. Noch vor der Kundgebung kündigte der Premierminister eine Erhöhung des effektiven Renteneintrittsalters an. Nun hat die Gewerkschaftsfront eine überzeugende Losung.

Die Korporatismen von CGFP und LCGB behindern ihre Zusammenarbeit. Allein protestiert die CGFP „fir e richtege Sozialdialog“. OGBL, LCGB haben auch Umwelt-, Migranten-, Frauenorganisationen eingeladen. Einige zögern.

„La croissance prodigieuse de ces 30 dernières années – taux de croissance du PIB et de l’emploi dépassant trois pour cent l’an – appartient au passé.“ Klagt der Vorsitzende des Unternehmerdachverbands UEL: „[L]’économie s’effondre sans faire de bruit“ (Luxemburger Wort, 14.6.25).

Weil die Manager überfordert sind? Die Unternehmer unfähig sind? Sie den Betrieben zu viel Dividenden auf Kosten der Investitionen entziehen? Michel Reckinger schweigt sich darüber aus. Er bläst zum Klassenkampf. Befiehlt dem Regierungspersonal: „[L]es réformes structurelles doivent notamment concerner le socle social des entreprises avec le droit du travail et les régimes de protection sociale.“

Nach dem Bankenkrach, der Covid-Seuche, dem Überfall auf die Ukraine, der Machtergreifung in den USA nimmt international ein neues Akkumulationsregime Gestalt an. Wie in anderen Ländern droht es auch hierzulande, protektionistisch, undemokratisch, klimafeindlich, kriegerisch zu werden. Die UEL kündigte den Sozialkompromiss auf. Ziel ist die Verbilligung, die größere Verfügbarkeit der Arbeitskraft. Die Extensivierung der Arbeit – neben ihrer Intensivierung durch automatisierte geistige Arbeit. Welche Branchen am meisten davon profitieren würden, bleibt auszuhandeln: Michel Reckingers Handwerk, Industrie, Einzelhandel, Gaststättengewerbe, Schalterbanken, Bauwirtschaft, Fongenindustrie, Steuervermeidung, Landwirtschaft? Die Nutznießer wären abzusehen.

Der Regierungs-CEO und CSV-Präsident Luc Frieden will es richten. Zusammen mit der historischen Unternehmerpartei DP. Den Anfang sollen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit machen, Sonntagsarbeit und Ladenöffnungszeiten als Vorwand für die Aushebelung des Kollektivvertragswesens. Gepaart mit der prophylaktischen Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Die gesellschaftliche Militarisierung richtet sich gegen einen äußeren Feind. Sie braucht stets auch einen inneren Feind: Gewerkschaften, Linksparteien, neuerdings auch Klimaaktivistinnen.

Noch vor dem ökologischen Zusammenbruch prophezeit der UEL-Vorsitzende den ökonomischen. Vielleicht hat er recht. Vielleicht will er Panik schüren. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung hütet den Profitanteil an der Nettowertschöpfung als Staatsgeheimnis.

Vielerorts sollen die herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse mit autoritären Mitteln stabilisiert werden. Nationalkonservative, Halb- und Ganzfaschisten helfen lustvoll. Hierzulande ist dank der Steueroase die Staatsschuld niedrig. So können Parteien, Institutionen weiter ihren Zweck erfüllen.

Regierung und Unternehmer lassen es auf ein Kräftemessen ankommen. Luc Frieden hat für den 9. Juli zu einer Tripartite eingeladen. Die nicht so heißen darf. Die Regierung setzt auf einen Misserfolg der Protestkundgebung. Damit die Gewerkschaften gedemütigt, geschwächt antreten. Dann können Regierung, UEL durchstarten.

Wie die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse aussehen werden, entscheidet sich für die nächsten paar Jahre am 28. Juni. Die Kundgebung wird zum High Noon der Legislaturperiode: „And I must face the man who hates me / [...] Do not forsake me oh my darling.“

Romain Hilgert
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