Zwei Fragen hatte eine Frau aus dem Publikum während eines Public-Forums zu EU-Politik: Was unternehmen EU-Abgeordnete gegen den Sexualunterricht und weshalb setzen sie sich nicht für Impfgeschädigte ein. Der EU-Abgeordnete Marc Angel (LSAP) antwortete, didaktische Einheiten zum Sexual- und Beziehungsleben seien Teil der UN-Kinderrechtskonvention. „Natürlich müssen die Themen altersgerecht aufgegriffen werden.“ Es gehe darum, Kinder vor Pädophilie, Mobbing und sexuellen Übergriffen zu schützen. Ihm sei bewusst, dass „rechtsextreme Kanäle Fake News“ verbreiten würden, und behaupten, Kinder würden in der Schule lernen, „zu masturbieren“. Eine weitere Frau aus dem Publikum ergriff daraufhin das Mikrofon, sie wolle eine Petition gegen Unterrichtsthemen die emtionale und sexuelle Gesundheit bettefend lancieren – das sei „ganz, ganz schlëmm, wat do geschitt“. Ihr seien massenhaft Fälle von Kindern bekannt, die durch diesen Unterricht traumatisiert worden sind.
Das war vor vier Monaten. Seit letztem Samstag kann eine Petition gegen „die Aufnahme von Inhalten zu LGBT-Themen in Lehrpläne für Minderjährige“ unterschrieben werden. Der Petent Helder Rui De Almeida Neves schreibt: „Jede Familie hat das Recht, diese Themen gemäß ihren eigenen Überzeugungen zu behandeln.“ In einer „modernen Gesellschaft“ sollte eine „verantwortungsvolle und aufmerksame Regierung“ den Unterricht von LGBT-Themen aus Programmen für Minderjährige ausschließen – oder lediglich optional anbieten. Am Dienstag hatte die Petition bereits das nötige Quorum von 4 500 Unterschriften erreicht. Kurz vor Redaktionsschluss lag sie bei 6930. Auf Facebook freute sich der ADR-Abgeordnete Tom Weidig über die „Rekordpetition“, sie würde „beweisen“, dass es richtig war, sich „gegen die radikale LGBT-Ideologie“ einzusetzen. Er rät Eltern: „Traut iech dem Léierpersonal an Schouldirekter eng rout Kaart ze ginn!“. ADR-Fraktionspräsident Fred Keup schreibt in den sozialen Medien, die Petition habe den „Nerv der Zeit getroffen“. Mit „die Botschaft sei klar: „Fasst unsere Kinder nicht an!“ ruft das Kolletiv Fräi Liewen, das mit impfkritischen Aktionen während der Pandemie bekannt wurde, zum Unterschreiben der Petition auf.
Vieso-Leher/innen sind schockiert über die Petition. Sie greifen die Themen sexuelle Ethik, sexuelle Orientierung und Identität punktuell auf. In dem zweiten Sekundarjahr wird beispielweise „Liebe ist …“ diskutiert, - dabei darf sie auch bunt sein. Man eruiere Stereotypen: Warum wird rosa mit Weiblichkeit assoziiert? Und muss das so sein? Die wöchentliche Vieso-Stunde sei allerdings kein Wertevermittlungsunterricht, die Anschuldigung der „Indoktrination“ sei völlig gegenstandslos – den Rahmen des Sagbaren setzt die Verfassung und Menschenrechtskonvention. Manchmal fallen trotzdem krude Aussagen von Jugendlichen, wie „Homosexuelle sind krank, und wäre mein Bruder schwul, würde ich nicht mehr mit ihm reden“.
Rechtspopulisten und Rechtsextremen kommt die Petition gelegen: Mit Angstbildern rund um den Bildungsbereich der emotionalen und sexuellen Gesundheit können sie in die Mitte der Gesellschaft vorstoßen, ohne große politische Analysen anbieten zu müssen. Im Umfeld der Petition werden sachliche Debatten durch „roud Karten“ ausgetauscht. DP-Bildungsminister Claude Meisch sagte am Donnerstagmorgen gegenüber RTL-Radio, er müsse wohl den Petenten in einer Chamberdebatte erklären, was in der Schule der Fall sei und was nicht – und zwar mit einer klaren Position: Er sehe nicht, weshalb Themen, die die Gesellschaft betreffen, in der Schule tabuisiert werden sollen.