Ein Gespräch mit der Physikerin Susanne Siebentritt

Untersuchungen am dünnen Film

d'Lëtzebuerger Land du 21.10.2010

d’Land: Guten Tag, Frau Siebentritt. Woran forschen Sie gerade?

Susanne Siebentritt: Zum einen an Dünnfilm-Solarzellen, ihren Eigenschaften und den Prozessen zu ihrer Herstellung. In 85 Prozent der heute weltweit eingesetzten Fotovoltaikmodule stecken Siliziumzellen. Gegen diese Technologie ist nichts einzuwenden, aber sie ist ziemlich material- und energieaufwändig. Dünnfilmzellen können ein Ausweg sein. Zum anderen arbeiten wir daran, die Halbleiter besser zu verstehen, die in diesen Solarzellen zum Einsatz kommen. Weil sie nur in Solarzellen benutzt werden, gibt es nicht viele Wissenschaftler, die an der grundlegenden Physik dieser Materialien arbeiten. Wie sie Licht absorbieren, wie sie Strom transportieren – diese Fragen sind noch nicht vollständig beantwortet.

Ist bei Solarzellen womöglich ein Durchbruch zu erwarten?

Ausschließen kann man nichts. Realistischerweise aber denke ich, dass es in der Fotovoltaik eine Evolution geben wird, keine Revolution.

Es soll eine Technologie geben, bei der ein Lichtquant nicht nur ein Elektron im Solarchip anregt, sondern mehrere.

Ja, das ist ein Ansatz, der Nano-Strukturen nutzt. Er ist gar nicht so neu, es gibt ihn schon seit über zehn Jahren. Das Problem ist nur: Man bekommt die vielen Elektronen nicht raus aus dem Chip, und ich finde, wenn es von solchen neuen Ansätzen nach so langer Zeit noch immer keinen Labor-Prototyp gibt, dann wird das wohl nicht klappen. Das heißt aber nicht, dass man aufhören soll zu hoffen, dass jemand eines Tages eine ganz tolle Idee hat. Diese Hoffnung treibt uns Forscher schließlich an.

Was ist das Besondere an Dünnfilmzellen?

Sie enthalten Materialien, die das Licht viel besser absorbieren als Silizium. Man bringt sie in dünner Schicht auf ein billiges Substrat auf, normales Fensterglas zum Beispiel. Ihre aktive Schicht ist nur drei Mikrometer dick, ein menschliches Haar hat 50 bis 100 Mikrometer Durchmesser. Der dünnen Schicht wegen braucht man weniger Mate-rial, weniger Energie und hat folglich weniger Kosten. Hinzu kommt, dass die Strecke, die der Strom zurücklegen muss, in Dünnfilmzellen kürzer ist. Dadurch sind die Ansprüche an das Material nicht so hoch.

Boomt die Dünnfilmtechnik?

Ihre Anwendung nimmt zu. Schon seit Mitte der Achtzigerjahre sind Dünnfilmzellen aus amorphem Sili-zium auf dem Markt. Leider hat dieses Material ein gewisses Stabilitätspro-blem in der Stromausbeute. Das hat der Dünnfilmtechnik zunächst einen etwas schlechten Ruf eingebracht. Mittlerweile gibt es auch Zellen aus Kadmiumtellurid. Die haben einen erstaunlichen Höhenflug genommen. Viele dachten, weil Kadmium giftig ist, wird das nie was. Kadmiumtellurid ist aber eine ganz stabile Verbindung, und der momentan weltgrößte Zellenhersteller baut Kad-miumtellurid-Zellen. Drittens schließlich gibt es CIS-Zellen; das steht für Kupfer-Indium-Selenid. Die haben vergleichbare Kostenvorteile, wie die beiden anderen Dünnfilmtypen, liefern aber im Labor und in der Produktion die höchsten Wirkungsgrade. Mitte dieses Jahres wurden mit CIS-Zellen im Labor über 20 Prozent Wirkungsgrad erreicht. Auf dem Dach liefern sie bis zu 13 Prozent, etwa so viel, wie die kostengünstigsten klassischen Siliziummodule. CIS-Module sind aber deutlich preiswerter herzustellen. An ihnen arbeiten auch wir.

Was genau tun Sie da?

Wir arbeiten einerseits an einem Low cost-Prozess der CIS-Zellenherstellung. Die in der Ausbeute besten Solarzellen stellt man im Aufdampfverfahren her. Dabei werden die Ausgangsmaterialien in einem Vakuum auf 1 200 Grad erwärmt und verdampft. Anschließend trifft ein Strahl von zum Beispiel Kupfer- oder Indiumatomen auf das Substrat. Das Substrat ist beheizt, und während die Materialien auftreffen, bildet sich der Halbleiterfilm. Bei Low cost versucht man, Vakuummaschinen zu vermeiden, weil die teuer sind und viel Energie verbrauchen. Und man benutzt Verfahren, bei denen die Ausgangsmaterialien möglichst nicht erhitzt werden müssen.

Wir benutzen eine elektrochemische Abscheidemethode, ein galvanisches Verfahren, wie man es etwa auch beim Verchromen von Türklinken nutzt. Wenn wir es schaffen, damit gute Solarzellen zu produzieren, ist es vielleicht eine brauchbare Alternative: Sie mögen nicht dieselben Wirkungsgrade haben wie die mit anderen Verfahren hergestellten. Aber wenn diese Zellen sich deutlich kostengünstiger produzieren lassen, gibt es einen Markt dafür.

Könnte es sein, dass eines Tages so viele Solarzellen produziert werden, dass die Vorräte an einem Material wie Indium erschöpft sein werden?

Schon vor fünf Jahren hat das US Geological Survey den Indiumverbrauch simuliert und fand heraus, dass die Vorräte fünf Jahre später, also jetzt ungefähr, aufgebraucht sein würden. Daraufhin explodierte der Indiumpreis. Es wurde noch mal nachgerechnet und korrigiert, worauf der Preis wieder sank. Jetzt werden gar keine Zahlen für Indium mehr publiziert, weil die Angaben unsicher sind und die Spekulation so stark reagiert. Der volatile Preis hat allerdings dazu geführt, dass versucht wird, vom Indium wegzukommen. Daran arbeiten wir ebenfalls. Das Material, das wir erproben, heißt Kupfer-Zink-Zinn-Sulfid oder -Selenid. Es besteht ausschließlich aus Elementen, die reichlich vorhanden und nicht toxisch sind. Um die Jahreswende 2010 hat IBM mit einem sehr speziellemn Prozess zehn Prozent Wirkungsgrad erzielt. Wir haben kürzlich fünf Prozent geschafft. Gar nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass wir erst vor einem Jahr damit begonnen haben.

Wie kommt man auf solche neuen Materialien? Durch Versuch und Irrtum?

Nein, dahinter steckt Systematik! Im Periodensystem stehen jene Elemente untereinander, die die gleiche Anzahl äußerer Elektronen besitzen. Daraus ergibt sich, mit wie vielen anderen Atomen sie in Verbindung treten können. Silizium zum Beispiel steht in der vierten Hauptgruppe, hat also vier äußere Elektronen. Gehe ich von ihm aus jeweils eine Gruppe nach links und nach rechts, finde ich Gal-lium und Arsen. Und siehe da: Gal-liumarsenid ist ein bekannter Halbleiter. Da hat man drei und fünf äußere Elektronen, im Mittel macht das vier und ergibt die gleiche schöne Kristallstruktur wie beim Silizium. Man kann noch einen weiteren Schritt nach links und rechts gehen, fin-det wiederum andere Elemente und kann diese obendrein untereinander ersetzen. Ziel ist immer, ein Material zu finden, das eine ähnliche Kristallstruktur verspricht.

Sind die Materialien, die man findet, dann auch elektronisch ähnlich gut?

Nicht unbedingt. Das ist ein Punkt, an dem noch Grundlagenuntersuchungen nötig sind. Die Materialforschung für Fotovoltaikzellen ist ziemlich anwendungsorientiert: Oft konzentriert man sich darauf, den Wirkungsgrad zu verbessern, nicht so sehr die grundlegende Materialphysik zu verstehen.

Ihr Lehrstuhl wird von TDK finanziert. Wie arbeiten Sie mit dem Unternehmen zusammen?

TDK finanziert den Stiftungslehrstuhl fünf Jahre lang. Die Uni finanziert ihn allerdings zum Teil mit und wird ihn übernehmen, wenn der Vertrag mit TDK in fünf Jahren ausläuft. Die Zusammenarbeit funktioniert im Moment so, dass ich TDK Forschungsberichte schicke. Soll ein Patent angemeldet werden, tun wir das gemeinsam. Wir arbeiten gerade an dem zweiten Patent, das aus unserem Labor kommt. Wir haben auch Mitarbeiter von TDK, die für ein bis zwei Jahre hier arbeiten und dann zurück nach Japan gehen. Schließlich gibt es bei TDK eine kleine Gruppe, die ein Entwicklungsprojekt zu CIS-Solarzellen verfolgt und vielleicht sogar ein Produktionsprojekt. Aber das ist noch nicht entschieden.

Sie arbeiten TDK also nicht zu?

Als ich 2007 hier zu arbeiten begann, haben wir uns auf einen Forschungsplan geeinigt. Es war durchaus anstrengend, den Weg zu finden zwischen einerseits Produktentwicklung, andererseits Wissenschaft, aber nach zwei Tagen Meeting hatten wir ein Konzept, mit dem alle zufrieden sein konnten. Es enthält für meinen Geschmack genug Wissenschaft und für TDK auch genug Bauteilentwicklung. Was wir hier machen, sind ja keine Produkte. Was wir entwickeln können, sind neue Strukturen für Bauteile und neue Prozesse auf kleiner Fläche. Wir sind ja ein Uni-Labor. Bevor eine unserer Entwicklungen in die Industrie gehen kann, braucht man noch eine Pilotierungsphase, wo man den Prozess von der kleinen Fläche hoch „auf Quadratmeter“ bringt. Danach kann man über eine großindustrielle Fertigung nachdenken.

Dauert es lange, bis Fotovoltaik-Forschunsgergebnisse den Weg in Industrie finden?

Das kommt drauf an: Um eine ganz neue Idee zu verfolgen, wird ein Doktorand wohl so mutig sein müssen, eine Firma zu gründen. Ich glaube, es ist zurzeit nicht sehr schwer, Venture-Kapital dafür zu finden, sofern man sein Vorhaben gut begründen kann. Dagegen gibt es für Ideen, die nur ein wenig anders sind als das, was es schon gibt, Entwicklungsprojekte mit der Industrie. Über die kann eine solche Idee innerhalb von ein bis drei Jahren ihren Weg in die Produktion machen.

Es heißt immer wieder, in rund fünf Jahren werde Strom aus Fotovoltaikanlagen im Preis mit „grauem Strom“ konkurrieren können. Wird das eher durch Zugewinne beim Wirkungsgrad oder billigere Anlagen möglich sein?

Es passiert beides. Die Kosten sinken, auch die der ganz klassischen Siliziumscheiben – zum Teil einfach dadurch, dass die Produktion wächst. Aber man vereinfacht auch die Prozesse, gewinnt Erfahrungen. Dadurch gelingt es, den Wirkungsgrad zu steigern. Bei Dünnfilmzellen gibt es zwei Richtungen: Einerseits werden die Zellen billiger als das über 20 Jahre alte amorphe Silizium. Am billigsten in Dollar pro Watt sind derzeit die Kadmiumtellurid-Zellen. Für CIS-Zellen gibt es momentan noch nicht die richtig große Produktion. Allerdings hat ein japanischer Hersteller angekündigt, pro Jahr CIS-Zellen für ein Gigawatt Leistung zu fertigen und nächstes Jahr damit beginnen zu wollen. CIS wird wohl am Ende eine Mittelstellung einnehmen: Im Wirkungsgrad konkurriert es schon mit dem unterem Rand der klassischen Siliziummodule, aber es ist kostengünstiger.

Das würde aber heißen, über 20 Prozent Wirkungsgrad kommt man auf absehbare Zeit nicht hinaus?

Der einzige brauchbare Ausweg, um viel mehr Wirkungsgrad zu erzielen, besteht darin, dass man mehrere Fotovoltaik-Zellen übereinander stapelt. Jeder Halbleiter in der Zelle hat eine so genannte Absorptionskante. Rotes Licht geht einfach durch, blaues Licht wird absorbiert. Da sucht man ein Optimum. Man will die Absorptionskante einerseits niedrig halten, damit viel Licht absorbiert wird. Andererseits wird die nutzbare Spannung umso höher, je höher die Absorptionskante ist. Stapelt man drei Zellen, lässt sich die Absorption maximieren, denn die eine Zelle fängt das blaue Licht ein, die zweite das aus der Mitte des Spektrums, die dritte das rote Licht. Das funktioniert. Erst jetzt kam eine Meldung, dass ein neuer Weltrekord von 42,3 Prozent Wirkungsgrad mit den Dreier-Zellen aufgestellt wurde.

Hin und wieder wird behauptet, die Herstellung von Solarzellen würde mehr Energie verbrauchen als die Zellen je abgeben könnten. Was halten Sie davon?

Das ist ein Gerücht, das noch nie gestimmt hat; allenfalls vielleicht in der Anfangszeit, als Fotovoltaikzellen nur an Satelliten eingesetzt wurden. Aber seit sie auch auf der Erde installiert werden, ist das sicherlich falsch.

Misst man das Verhältnis zwischen dem Energieaufwand bei der Produktion und dem Output der Zelle später?

Ja, mit der so genannten Energie-Rückzahlzeit. Der Energieaufwand ist ja ein wichtiger Faktor, und er wird umso wichtiger, je größer die Fa-briken werden. Die Rückzahlzeit drückt aus, wie lange eine Zelle betrieben werden muss, um die zur Herstellung nötige Energie zurückzugeben. Da wird alles Mögliche einbezogen: beim Silizium von Wegschaufeln des Sandes, beim Indium vom Bergbau, weiter über Transport und Reinigung bis hin zur Herstellung der Module. Manche Modelle betrachten sogar noch den Energieeinsatz für die Entsorgung. Normalerweise sind die Szenarien für Südeuropa gerechnet. Hierzulande müsste man die Rückzahlzeiten deshalb um den Faktor 2 verlängern. In Südeuropa gelten für die klassischen Silizium-Module zwei Jahre Rückzahlzeit, für Dünnfilm-Module ein Jahr. Die Rückzahlzeiten sinken aber ständig.

Es ist gar nicht so lange her, da war Luxemburg wegen seiner Förderpolitik Solarstromweltmeister in der Pro-Kopf-Anschlussleistung. Merken Sie davon etwas?

Nun, ich sehe, dass es viele Anlagen gibt, auf dem Lande etwa, und ich freue mich darüber. Aber ich finde, für das derzeitige Luxemburger Fotovoltaik-Förderprogramm wird wenig geworben. Das merke ich, wenn ich mit den Leuten rede. Die wissen, dass es in Deutschland ein Förderprogramm gibt, doch das hiesige kennen sie nicht. Dabei ist es gar nicht so schlecht.

Manche Solarstromaktivisten meinen, 15 Jahre garantierter Einspeisepreis für den Fotovoltaikstrom seien zu wenig.

In Deutschland ist der Preis für 20 Jahre garantiert, das stimmt. Aber dafür erhält man in Luxemburg mehr Investitionsförderung. Es gibt 25 Prozent weniger Einspeisevergütung, aber 30 Prozent mehr Investi-tionsbeihilfe als in Deutschland. Das finde ich nicht übel.

Die Regierung hat im Sommer ihren Aktionsplan zur Förderung der erneuerbaren Energien veröffentlicht. Sie will auch die Fotovoltaik fördern und die Wertschöpfungskette in diesem Bereich ausbauen. Was, meinen Sie, könnte am besten Ihnen als Forscherin in der Kette nachgelagert kommen?

Mein Traum wäre eine Dünnfilmfabrik. Wenn es die nach uns gäbe, das wäre richtig toll! Aber dazwischen brauchte man noch eine Art Technologiezentrum, das bei der Pilotierung hilft. So ein Zentrum wäre auch wichtig, wenn es anschließend keine Dünnfilmproduktion gibt. Neben unserer Fotovoltaik-Materialforschung gibt es Systemforschung am PV Lab des CRP Henri Tudor in Esch, und an der Uni noch eine Gruppe, die sich allgemein mit erneuerbaren Energien beschäftigt. Zwischen uns drei Akteuren fehlt etwas – jemand, der mehr in Richtung Modultechnologie ausgerichtet ist.

Wie groß könnte in Zukunft der Solaranteil an der Stromversorgung sein?

Die Internationale Energieagentur schätzt, dass es in Nord- und Zentraleuropa 30 Prozent des heutigen Strombedarfs sein könnten. Darunter würden auch Deutschland und die Benelux-Länder fallen. Dabei ist die IEA nicht dafür bekannt, sonderlich fotovoltaikfreundlich zu sein. Ihr Szenario geht davon aus, dass EU-weit alle vernünftigerweise nutzbaren Flächen mit Fotovoltaikmodulen ausgestattet würden: Dächer, Fassaden, Schallschutzwände. Die Möglichkeit, Fotovoltaik massiv auf der grünen Wiese zu installieren, ist darin also nicht berücksichtigt.

Könnte es nicht Versorgungsprobleme geben, wenn man viel Sonnenstrom in die Netze einspeist? Diese Stromart steht ja nicht kontinuierlich zur Verfügung steht.

Wenn wir ernsthaft auf Strom aus erneuerbaren Energien setzen wollen, brauchen wir europäische Verbünde – einerseits bei der Stromerzeugung, andererseits bei der Auslegung der Netze. In solchen Verbünden erhalten wir auch Fotovoltaikstrom aus Spa-nien, wo die Sonneneinstrahlung drei Mal stärker ist als hierzulande, sowie Windstrom aus der Nordsee. Ein ganz anderes, sehr wichtiges Kapitel in dem Zusammenhang ist die Steigerung der Energieeffizienz: Wir müssen Energie sparen! Tun wir das, wächst der erneuerbare Anteil automatisch mit.

Peter Feist
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