Negativsteuer

Ein Gespenst geht um

d'Lëtzebuerger Land du 27.09.2007

An diesem Wochenede will die Regierung den Vertretern von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden erklären, wie sie sich die Steuergutschrift vorstellt, die im Tripartiteabkommenvom vergangenen Jahr als Trostpreis für die Desindexierungder Familienzulagen versprochen wird. Die entsprechendeGutschrift, deren Kosten ebenso wie eine teilweise Anpassung der Steuertabelle an die Inflation aus den Ersparnissen der Desindexierung finanziert werden soll, muss in den Staatshaushalt für 2008 gepackt werden. Sonst werden die Familienzulagennächstes Jahr wieder an den Index angepasst. So steht es jedenfallsim Tripartiteabkommen.

Obwohl im Tripartiteabkommen wohlweislich keine Rede von einerNegativsteuer geht, wird die Steuergutschrift allgemein als solche bezeichnet. Schließlich liebäugelte bei den letzten Wahlen fast jede Partei, von ganz links bis ganz rechts in ihren Wahlprogrammen mit einer Negativsteuer. Die Vorstellung ist wohl zu verlockend, dass das Steueramt nicht nur Geld eintreibt, sondern auch welchesan die Steuerzahler verteilt. 

Deshalb versprach die CSV in ihrem Wahlprogramm zu prüfen, „ob die Negativsteuer als grundlegende Umverteilungsmaßnahme in die Praxis umgesetzt werden kann”. Die ADR wollte „die bisher in der Steuertabelle gewährten Nachlässe für Familienlasten durch eine Negativsteuer (Crédit d‘impot), d.h. durch eine entsprechendeZahlung an die betreffenden Familien ausgleichen“. Die LSAPstellte ebenfalls: „die Einführung einer allgemeinen Negativsteuer“ inAussicht, und die Lénk verlangte „eine ‚Negativsteuer’ als Nettoauszahlung an die steuerfreien, kleinen Einkommensbeziehenden (wer keine Steuern zahlt, bekommt Geld für absetzbare Ausgaben zurück)”. Eine Negativsteuer muss also ein ziemlich vertracktes, wenn nicht widersprüchliches Ding sein, wenn LSAP und ADR, CSV und déi Lénk sie gleichermaßen sympathisch finden. Tatsächlich scheint sie das Ergebnis eines größeren Missverständnisses zu sein. 

Die Idee einer negativen Einkommenssteuer wurde während desZweiten Weltkriegs von der liberalen britischen Politikerin JulietRhys-Williams in Umlauf gebracht und 1962 vom Papst des Monetarismus, Milton Friedman, aufgegriffen. Für die Radikalliberalen ist die Negativsteuer in Verbindung mitder Abschaffung der Progressivität der Steuertabelle ein Ersatz fürsämtliche sozialstaatliche Leistungen. Außerdem soll der Staat mitihrer Hilfe einspringen, damit die Löhne für unqualifizierte Arbeitergesenkt werden können. Wichtige Teile der Linken benutzendie Negativsteuer als Synonym für Bürgergeld und universelle Zuwendung, ein von der Arbeitsleistung unabhängiges Einkommen für jeden. Sozialutopisten halten dies sogar für den ersten Schritt zur Einlösung von Paul Lafargues Recht auf Faulheit.

Die Diskussion über die Einführung einer Negativsteuer wird dadurch noch verwirrender, dass sie zwar in fast allen Wahlprogrammen aufgeführt wird, aber bisher nirgends existiert. Was Zweifel an ihrer praktischen Durchführbarkeit aufkommenlassen könnte. Die umfassendsten Versuche zur Einführung einer Negativsteuer wurde zwischen 1968 und 1979 bei knapp über 8 700 Haushalten in den US-Staaten NewJersey, Pennsylvania, Iowa, North Carolina, Indiana, Washington und Colorado durchgeführt. Dabei wurde unter anderem festgestellt, dass Steuerpflichtige,die Negativsteuern ausgezahlt bekamen, statt Steuern zu zahlen, sieben Prozent weniger arbeiteten und ihre Scheidungsrate stieg. Die Versuche wurden nie wiederholt oder ausgeweitet.

Dafür gibt es in Großbritannien der Vorstellung der Tripartite näherkommende Steuergutschriften, das Working tax credit und das auch inden USA bestehende Child tax credit, die beide als Negativsteuern bezeichnet werden. Diese Steuergutschriften verfallen nicht, wenn sie höher als die Steuerschuld eines Haushalts sind, sondern die Differenz wird an die Bezieher entsprechend niedriger Einkommen ausgezahlt. In Anlehnung an diese Steuergutschriften führte die französische Regierung im Jahr 2001 unter dem sozialistischen Premier Lionel Jospin eine Negativsteuer genannte Prime pour l’emploi ein und erhöhte sie unter den rechten PremierministernJean-Pierre Raffarin und Dominique de Villepin. Die Steuergutschriftzur Förderung der Beschäftigung in den Niedriglohnsektorenwird von der Einkommenssteuer abgezogen; übersteigt sie diese Steuerschuld, wird die Differenz ohne weitere Antragspflicht ausgezahlt. Die Prämie beträgt derzeit maximal 948 Euro jährlich.In Österreich gibt es eine ebenfalls Negativsteuer genannte Steuergutschrift für Kleinstverdiener. Durch die Arbeitnehmerveranlagung erhalten Steuerpflichtige, die wenigerals 1 130 Euro verdienen und somit keine Lohnsteuer zahlen müssen, auf Antrag bis zu 110 Euro jährlich ausgezahlt. Unter ähnlichen Bedingungen können auch die Absetzbeträge für Alleinerziehende und die Kinderzuschläge auf Antrag erstattetwerden. 

 

Romain Hilgert
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