Innerhalb eines Jahres wurden CSV und LSAP zur in Unternehmerkreisen bestgehassten Koalition seit langem

Sozialmonolog

d'Lëtzebuerger Land du 14.10.2010

Am heutigen Freitag soll die Regierung erneut die Vertreter der Unternehmerverbände treffen. Denn vier Stunden hatten am 1. Oktober nicht gereicht, um ihnen den mit den Gewerkschaften beschlossenen Indexkompromiss schmackhaft zu machen. „Aber wir warten noch immer auf die Einladung“, ärgerte sich am Dienstag der Vorsitzende des Industriellenverbands, Robert Denne­wald.

„So kann man die Unternehmer nicht behandeln“, fand vergangene Woche sogar der ADR-Abgeordnete Gast Gibéryen, als Ehrenpräsident der Neutral Gewerkschaft Lëtze­buerg nicht unbedingt im Verdacht übertriebener Unternehmerfreundlichkeit. Einen „Affront“ nennt Denne­wald dann auch, wie sich die Regierung am 29. September „hinter dem Rücken der Unternehmer“ mit den Gewerkschaften geeinigt habe. Und dass der Index bloß so lange ausgesetzt werden soll, wie wahrscheinlich sowieso keine Tranche fällig wird. Er sei „entsetzt“ darüber, so Dennewald, „was derzeit in Luxemburg läuft“.

„Das Luxemburger Sozialmodell ist kaputt“, klagte deshalb DP-Frak­tions­sprecher Xavier Bettel am Montag. Sein Parteipräsident Claude Meisch nannte „CSV und LSAP die Totengräber des Luxemburger Modells“, und am Abend glaubten die Fernsehnachrichten, Meischs Metapher mit Bildern einer Beerdigung illustrieren zu müssen.

Als der Handwerkerverband Ende Juni vor dem Parlament demonstrierte, wehte sich sein Vorsitzender Norbert Geisen, dass der Sozialdialog nicht von den Unternehmern, sondern durch den „parteipolitischen Streit in der Tripartite“ und die kompromisslose Haltung der Gewerkschaften gefährdet worden sei.

Schon vor dem Sommer hatten die Unternehmerverbände angekün­digt, ihre Mitarbeit im Wirtschafts- und Sozialrat ruhen zu lassen. Und Fedil-Direktor Nicolas Soisson gab sich am Dienstag nicht gerade optimistisch, dass sie demnächst wieder in die Wirtschafts- und Sozialrat zurückkehrten. Denn sie hätten allerlei Vorschläge zur Reform des Rats gemacht, doch die Gewerkschaften hätten ihnen lediglich „die kalte Schulter gezeigt“.

Vor einer Woche drohte zudem der Dachverband Union des entreprises luxembourgeoises erneut, sich auch aus den Mitbestimmungsgremien der Krankenversicherung zu verabschieden. Denn dort werde „absolut nicht“ auf ihn gehört, seine Reformvorschläge würden seit Jahren einfach „ignoriert“. Wenn nicht der betriebliche, so sei doch der nationale Sozialdialog „nicht weit vom Nullpunkt entfernt“, resümiert Nicolas Soisson.

Als er vor 14 Tagen den wartenden Journalisten den gerade getroffenen Index-Kompromiss erklärt hatte, war Premier Jean-Claude Juncker noch einmal vor die Mikrofone zurückgekehrt und hatte triumphierend hinzugefügt: „Das Luxemburger Modell hat seinen Stresstest bestanden“, den er nach dem Abbruch der Tripartiteverhandlungen vorhergesagt hatte. Doch selbst Koali­tionspartner und LSAP-Präsident Alex Bodry musste ihn vergangene Woche korrigieren: Das Luxemburger Modell habe seinen Stresstest noch nicht bestanden, denn „zwei Bipartite machen noch keine Tripartite aus.“ Für die DP ist der Stresstest „katastrophal“ ausgegangen, für die Fedil ist er „fehlgeschlagen“.

Merkwürdig war es schon, dass die Regierung, nachdem der Premier die Tripartite-Verhandlungen im April abgebrochen hatte, sich einseitig mit OGB-L, LCGB und CGFP auf eine Indexmanipulation einigte. Denn bisher wurden zwei Generatio­nen Politiker nicht müde, die vor über 30 Jahren erfundenen dreiseitigen Krisengespräche unter Sozialpartnern als „Luxemburger Modell“ gelungener Wirtschafts- und Sozialpolitik zu preisen. Die Rückkehr von der sakrosankten Tripartite zu einer „Bipartite“ war folglich so, als ob die katholische Kirche nach dem Konzil von Konstantinopel, wo sie gerade die Dreifaltigkeit beschlossen hatte, zurück zum Konzil von Nicäa gekehrt wäre, das die Zweifaltigkeit erfunden hatte.

In der Regierungskoalition sieht man das etwas gelassener. Sie hatte die für den Herbst versprochene Fortsetzung der Tripartite-Verhandlungen wohlweislich abgesagt und auf den sich abzeichnenden wirtschaftlichen Aufschwung gesetzt, um in einer ersten Etappe das Einverständnis der Gewerkschaften zu einer einstweilen minimalistischen Indexmanipula­tion zu erkaufen. Der Preis: der Erhalt der Kilometerpauschale und die Abschaffung der Krisensteuer nach einem Jahr.

In einer zweiten Etappe will die Regierung nun das Einverständnis der Unternehmer erkaufen. Die haben schon die Rechnung auf den Tisch gelegt: Den Anstieg der Lohnkosten innerhalb von 15 Monaten beziffern sie auf eine Indextranche am 1. Juli 2010 (+2,5 Prozent), eine Mindestlohnerhöhung am 1. Januar 2011 (+2,0 Prozent), eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeträge am 1. Januar 2011 (+0,2 Prozent) und eine Indextranche am 1. Oktober 2011 (+2,5 Prozent), macht insgesamt +7,2 Prozent. Seit 2000 seien die Lohnstückkosten nominal um 33,4 Prozent gestiegen gegenüber 22,9 Prozent in Belgien, 20,8 Prozent in Frankreich und bloß acht Prozent in Deutschland. Weil sie nicht mehr daran glauben, mit ihren Forderungen nach einem zweijährigen Indexmoratorium und dem Verzicht auf die Mindestlohn­erhöhung durchzukommen, versuchen sie um so energischer, die geplante Erhöhung der Solidaritätssteuer und der Krankenkassenbeiträge erlassen zu bekommen.

Doch selbst wenn es der CSV/LSAP-Koalition in den nächsten Tagen gelingt, die wichtigsten Unternehmerforderungen zu erfüllen, hat sie es innerhalb eines Jahres fertig gebracht, zu einer der in Unternehmerkreisen bestgehassten Regierungen seit langem zu werden. Dass die Unternehmer androhen, ihre Zeit nicht mehr in sozialpartnerschaftlichen Gremien vertrödeln zu wollen, wo nicht auf sie gehört werde, ist für die Gewerkschaften Ausdruck „extremistischer Positio­nen“, die auf eine Demontage des Sozialstaats abzielen. Aber in Wirklichkeit ist es auch ein Zeichen der Hilflosigkeit.

Denn die Fedil-Sprecher verglichen Luxemburg am Dienstag mit Belgien oder den Niederlanden, wo „Minderheitsregierungen“ herrschten, die bei jeder Entscheidung auf Sukkurs von außen angewiesen sind. Was wohl heißen soll, dass die Regierung zur Beschlussfähigkeit auf die Duldung durch den OGB-L angewiesen sei wie die niederländische Regierung auf die Duldung durch Geert Wilders Partij voor de vrijheid. Das kämpferische Auftreten des OGB-L und seine breite Front, die er mit allen anderen Gewerkschaften schließen konnte, lassen die Fedil befürchten, dass Luxemburg einer „Diktatur einer Minderheit von Druckgruppen ausgesetzt“ ist.

Dagegen scheinen die Unternehmer, obwohl „auro loquente omnis oratio inanis est“, nicht in der Lage, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Dass also das allgemeine Wahlrecht schwerer wiegt als die Wirtschaft, vielleicht sogar als ökonomische Gesetze, halten die einen für Demokratie, die anderen für Populismus. Da konnte Robert Dennewald nur warnend die Standortverlagerungen der vergangenen Jahre aufzählen: TDK, Villeroy [&] Boch, Husky, Duscholux, Buck...

Für die politischen Verhältnisse machen die Unternehmer selbstverständlich vor allem die LSAP verantwortlich, die sie nur als verlängerten Arm des OGB-L ansehen, aber auch Premier Jean-Claude Juncker, dem die Koalition mit den Sozialisten wichtiger als die Wett­bewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts sei. Umso schmerzlicher empfinden die Unternehmer es deshalb, dass nun auch der rechtsliberale Flügel der CSV sie im Stich zu lassen und mit dem Index-Kompromiss und dem Budgetentwurf einverstanden scheint.

Und wenn die Unternehmer klagen, dass die politischen Verhältnisse „blockiert“ seien, dann geben sie am Ende vielleicht der DP die Schuld dafür. Weil die Liberalen noch immer nicht gerüstet sind, um eine vertrauenserweckende Alternative abzugeben und die regierende Koalition ablösen zu können.

Romain Hilgert
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