Bald ist wieder Weltklimagipfel-Zeit. Die Luxemburger Klimaschutzpolitik aber ist so gut wie zum Erliegen gekommen

So what?

d'Lëtzebuerger Land du 16.11.2012

Als 2009 der Weltklimagipfel in Kopenhagen bevorstand, debattierte die Abgeordnetenkammer gleich zwei Mal über den Klimaschutz. Sogar der Premier trat im Plenum auf und meinte, die EU solle ihr CO2-Einsparziel für 2020 „unilateral“ von 20 auf 30 Prozent anheben. Luxemburg werde dann im gleichen Maße mitziehen.
In zehn Tagen beginnt erneut ein Klimagipfel. Es ist sogar der letzte, ehe das Kioto-Protokoll außer Kraft tritt, und niemand weiß, welches Regelwerk folgen wird. Große Parlamentsdebatten vorher aber gibt es diesmal keine. Das einzige öffentliche Ereignis bestand am Montag im Lëtzebuerger Klimadag im Düdelinger Rathaus, wo der delegierte Nachhaltigkeitsminister Marco Schank (CSV) sich mit Gemeindevertretern über kommunalen Klimaschutz unterhielt. Auf der Pressekonferenz zum Klimadag erwähnte Schank den Gipfel und was er womöglich mit Luxemburg zu tun hat mit keinem Wort.
Aber was hätte er auch berichten sollen? Die entscheidenden Konflikte werden auf europäischer Ebene ausgetragen. Ende Oktober konnten die EU-Umweltminister sich nicht darauf einigen, mit einem Extra-Vorschlag zum Gipfel zu reisen und das Treibhausgas-Einsparziel der Union über jene 20 Prozent anzuheben, die Anfang 2009 durch ein Richtlinienpaket Gesetz wurden. Luxemburg wurde darin als einem der Staaten mit besonders hohem Pro-Kopf-BIP auferlegt, seine Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 2005 um ein Fünftel zu senken.
Bei so viel Europa und in der anhaltenden Wirtchaftskrise fällt um so weniger auf, dass die Luxemburger Klimaschutzpolitik so gut wie zum Erliegen gekommen ist – abgesehen von dem im Juli verabschiedeten Gesetz über den „Klimapakt“, den Gemeinden mit dem Staat abschließen können. Was er bringen wird, muss sich zeigen: Zum einen ist er, wie der Wohnungsbaupakt, freiwillig. Zum anderen wird dadurch nicht nur das bezuschusst, was sich auch präzis in eingesparten CO2-Tonnen abrechnen lässt, obwohl über die Pakte bis 2020 insgesamt über 180 Millionen Euro an die Gemeinden fließen können.  Der Verdacht, dass mit dem neuen Instrument in Zeiten knapper werdender Gemeindefinanzen ein Ausgleich geschaffen werden soll, der ein wenig „begrünt“ wurde, wird erst dann entkräftet werden, wenn sich zeigt, wie viele Gemeinden sich wozu konkret verpflichten. So dass die Auswirkungen auf die Luxemburger CO2-Bilanz sich zurzeit nicht mal abschätzen lassen.
Dabei sieht diese Bilanz nach wie vor nicht gut aus. Selbst wenn man den „Treibstoffexport“ aus ihr herausrechnet, bleibt Luxemburg der größte Pro-Kopf-Emittent Europas. Zwar war der CO2-Ausstoß hierzulande in den letzten Jahren nie mehr so hoch wie 2005, als ein Rekord von 13,15 Millionen Tonnen erreicht wurde – beinah so viel wie die 13,17 Millionen Tonnen aus dem Jahr 1990, die eigentlich bis spätestens Ende 2012 um 28 Prozent gesenkt werden sollen. Doch nachdem 2009 ein Tiefstand von 11,5 Millionen Tonnen erreicht worden war, steigt der Ausstoß wieder stetig. Jüngsten Schätzungen der Europäischen Umweltagentur EEA zufolge lag er 2011 bei 12,3 Millionen Tonnen. Das Auf und Ab in Luxemburg, schreibt die EEA, sei bald durch die von Jahr zu Jahr unterschiedliche Industrieproduktion verursacht, bald durch Fluktuationen im Schwerlastverkehr, bald durch mal kältere, mal mildere Winter. Und spektakulär gewachsen, im BIP wie in der Bevölkerungszahl, ist Luxemburg seit 1990 schließlich auch. Wer bei so viel Volatilität des Treibhausgasaufkommens ernsthaft an Emissionsreduzierung dächte, müsste demnach schon genau wissen, wie.
Das ist eigentlich um so wichtiger, als Luxemburg im nächsten Jahr, der neuen europäischen Regeln wegen, nicht mehr emittieren darf als im Durchschnitt von 2008 bis 2010. Abzüglich der Groß-Emittenten aus Industrie und Energieproduktionsbranche, die in Zukunft rein europäisch bilanziert und mit Emissionsrechten versehen werden, sind das 9,7 Millionen Tonnen. Die aber wurden womöglich schon im vergangenen Jahr um eine halbe Million überschritten. Sollte sich das für 2011 bestätigen und der Trend dieses Jahr ähnlich gewesen sein, stellt sich ziemlich dringend die Frage, wie er ab 2013 gebrochen werden soll. Denn mit jedem weiteren Jahr darf laut einer in einer EU-Richtlinie vorgeschriebenen Trajektorie immer weniger Treibhausgas ausgestoßen werden. Hinzu kommt: Ein wichtiges Moment der neuen Regeln lautet, dass CO2-Einsparungen vorwiegend zu Hause erfolgen müssen. Noch kann Luxemburg, weil das Kioto-Protokoll das zulässt, sich von überschüssigem CO2 freikaufen. Im staatlichen Kioto-Fonds sind dafür 250 Millionen Euro eingeplant. Ab 2013 dagegen dürfen Jahr für Jahr nur noch vier Prozent der Emissionen von 2005 als „flexibler“ Anteil abgetragen werden, indem in Projekte im Ausland investiert wird oder CO2-Quoten von EU-Staaten gekauft werden, die zu viele davon besitzen. Vier Prozent des Ausstoßes von 2005 aber sind 0,38 Millionen Tonnen – deutlich weniger als der Überschuss von einer halben Million von 2011. Soll Luxemburg weiter wachsen, und wer wollte das nicht in Krisenzeiten, müsste eine Einsparstrategie her, die mehr enthält als die nur vage Aussicht auf Erfolg kommunaler Klimapakte.
In Sicht aber ist eine solche Strategie noch nicht. Obwohl ein Update des Klimaschutz-Aktionsplans von 2006 eigentlich schon bis Ende 2011 ausgearbeitet und öffentlich diskutiert werden sollte, ehe es Ende Juni dieses Jahres nach Brüssel geschickt worden wäre. Doch auch die Ankündigung des delegierten Nachhaltigkeitsministers vom Juli, nach den Sommerferien läge der neue Aktionsplan vor, ist mittlerweile nicht mehr einzuhalten. Nun soll er im Frühjahr 2013 diskutiert werden.
Grund für die Verzögerung ist einerseits, dass die zuständige Abteilung im Nachhaltigkeitsministerium personell so dünn besetzt ist, dass das Klimapakt-Gesetz einen Großteil ihrer Kapazitäten band. Und mit Henri Haine wurde die Rechte Hand Marco Schanks in Sachen Klimaschutz bei den Gemeindewahlen im vergangen Jahr Bürgermeister von Rümelingen mit einem Anrecht auf 20 Wochenstunden Congé politique.
Aber noch schwerer wiegt, dass der Aktionsplan eine ressortübergreifende Angelegenheit ist und nicht allein Sache des Nachhaltigkeitsministeriums. Das gilt diesmal mehr als 2006, als nur die Grünen und Umwelt-NGOs gegen den Freikauf von überschüssigen Emissionen wetterten, der Rückgriff auf die flexiblen Instrumente ansonsten aber politisch längst unumstritten war. Deshalb bestand die wichtigste Innovation damals in der CO2-abhängigen KFZ-Steuer und ihrer Kombination mit staatlichen Beihilfen beim Kauf effizienterer Autos. Die Kauflust des BMW-Volks sollte möglich machen, was durch Maßnahmen wie strengere Wärmeschutznormen beim Hausneubau oder die energetische Sanierung von Altbauten nicht zu haben war: eine rasche CO2-Reduzierung. Im Gebäudebereich anzusetzen, würde sich erst langfristig auswirken.
Heute findet die Regierung sich vor dem gleichen Problem wieder: Was sich bisher an Einsparungen ergab, wurde weitgehend durch Wachstum aufgefressen. Damit stellt sich auch vom Klimaschutz her die Frage nach einem Entwicklungsmodell für das Land. Aber so ratlos und improvisierend, wie die Regierung derzeit in Bereichen wie den öffentlichen Finanzen agiert, während die Opposition darauf lauert, ihr einen falschen Schritt nachzuweisen, so wenig Strategiebildung erfolgt zum Klimaschutz. Sollte zum Beispiel massiv öffentliches Geld in die energetische Gebäudesanierung investiert werden? Wer weiß, aber für Emissionszertifikate aus Litauen bezahlte der Staat letztes Jahr 13,5 Millionen Euro, die Litauen nun für die Wärmedämmung öffentlicher Gebäude nutzt. Auch ob den Staat die Einnahmen aus dem Treibstoffgeschäft demnächst womöglich zu teuer zu stehen kommen, könnte man fragen. Nämlich wenn sie Luxemburg als Emissionen angerechnet werden, aber andererseits ein Freikauf, den zum großen Teil Tanktouristen und Transitreisende durch einen „Kioto-Cent“ auf den niedrigen Spritakzisen finanzieren, ab nächstem Jahr nicht mehr in so starkem Umfang erlaubt sein wird wie heute noch.
Solche Auseinandersetzungen aber werden derzeit nicht einmal hinter den Kulissen geführt. Und die Klima- und Umweltpartnerschaft, die Diskussionsplattform zwischen Regierung, Sozialpartnern und NGOs, wurde lieber einschlafen gelassen, als sie, wie Marco Schank noch letztes Jahr versprochen hatte, per Gesetz zu einer hochrangigen Kommission zu machen. Mangels Klimapolitik entfällt nun sogar der wirksamste Hebel aus dem Aktionsplan von 2006: Nachdem die Car-e-Beihilfe für emissionsarme Autos schon laut dem Haushaltsentwurf des Finanzministers vom Oktober nur noch für Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeuge beibehalten werden soll, sorgte die Nachbesserung des Haushaltsentwurfs durch CSV und LSAP nun auch für eine Erhöhung der CO2-abhängigen KFZ-Steuer. Das entlastet zwar die Staatskasse, schmälert den 2006 geschaffenen Anreiz aber gleich zwei Mal. Und wer weiß, ob die Luxemburger nächstes Jahr nicht handeln wie die Belgier, die nach der Streichung der Effizienz-Beilhilfen prompt Neuwagen kaufen, die mehr CO2 ausstoßen, aber billiger in der Anschaffung sind? Letzten Endes wäre es ein Chaos-Szenario für Luxemburg, falls einträte, was der Premier sich vor drei Jahren noch wünschte: Dass die EU ihr Reduktionsziel tatsächlich erhöht.

Peter Feist
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