Nach der Teilverstaatlichung von RTL Télé Lëtzebuerg und der Einführung einer Pressehilfe für kostenlose Internetnachrichten soll die Abgeordnetenkammer nächsten Monat eine Debatte über die Rechtschaffenheit und Wahrheitsliebe der Luxemburger Presse führen. Der auch für Medien zuständige Premierminister Xavier Bettel (DP) hatte sie Ende vergangenen Jahres angeregt, um von seiner eigenen Verantwortung abzulenken, als er den einer Skandalsendung von RTL zum Opfer gefallenen Direktor des Mudam vor laufenden Kameras vorverurteilt hatte, um sich bei den Medien Liebkind zu machen.
Dass Parlament und Regierung über die Wahrhaftigkeit der Presse debattieren, entspricht nicht unbedingt dem liberalen Verfassungsideal, nach dem die Pressefreiheit ein privatrechtliches Gewerbe ist, in das sich, mit Ausnahme staatlicher Zuschüsse, der Staat nur in autoritären Regimen einmischt. Aber Ideal und Wirklichkeit liegen oft weit auseinander, und mit der Gründung eines Zentrums für politische Bildung oder eines Instituts für Zeitgeschichte hat die liberale Regierung schon gezeigt, dass sie sich in Zeiten antiliberaler Wählerrevolten auch berufen fühlt, Ingenieure der Seele in die politische Schlacht zu schicken.
Das neue Panikwort im Zusammenhang mit der Wahrhaftigkeit der Presse lautet bekanntlich „Fake news“. Nicht, als ob gezielte Falschmeldungen etwas Neues wären. Wer kennt nicht die Emser Depesche, die Protokolle der Weisen von Zion, die angeblichen Zwischenfälle von Gleiwitz und Tonkin, Colin Powells Ampulle im Weltsicherheitsrat oder Joseph Bechs Waffenfunde und Victor Bodsons Putsch? Neu an Fake news ist, dass durch ihre Verbreitung über Internet das in der Vergangenheit weitgehend gewahrte staatliche Monopol an Falschmeldungen verloren geht.
Wenn aber öffentliche Stellen nicht mehr alleine offen Falschmeldungen verbreiten oder diskret willigen Medien zustecken, wenn nunmehr jeder Verschwörungstheoretiker über Internet seinen Wahn verbreiten kann und dieser von willigen Medien aufgegriffen wird, entsteht ein Relativismus, der Regierung und Parlament beunruhigen muss. Denn unter dem Einfluss dieses Relativismus – wenn man plötzlich nicht mehr weiß, wem man glauben soll – droht die Öffentlichkeit, auch etabliertes Expertenwissen in Zweifel zu stellen und für Fake news zu halten, die Lohn-Preisspirale, die Laffer-Kurve, die unbefleckte Empfängnis, den Fontagné-Bericht, die humanitären Kriege, den 700 000-Einwohnerstaat, die Rentenmauer, den strukturellen Saldo...
Aus diesem Grund ist es nur zu verständlich, dass Regierung und Parlament dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben und den Fake news den Kampf ansagen wollen. Auch wenn sie Zweifel daran hegen müssen, dass sie sich gegen US-Firmen wie Google, Apple, Twitter und Facebook durchsetzen können, die das Internet unter Verschluss halten, um Kleinanzeigen neben Fake news setzen zu können. Aber vielleicht sind Zensurversuche sowieso nicht bloß vergebens, sondern falsch.
Auch einige Stunden Medienerziehung in der Schule sind sicher das falsche Rezept gegen Fake news, wenn diese Schule dabei ist, nicht mehr bloß für Arbeiterkinder, sondern nun auch für Bürgerkinder die letzten Reste Bildung, die Menschen autonom und kritisch macht, durch arbeitsmarktkonforme Ausbildung zu ersetzen. Und das tatsächliche Problem eines professionellen und verantwortungsvollen Journalismus ist das Verschwinden seines derzeitigen Geschäftsmodells, für das er bisher auch keinen Ersatz im Internet gefunden hat. Dadurch droht eine Aufspaltung in eine kostenlose, den Anzeigenkunden gefällige Unterhaltungspresse mit jeder Menge hysterischer Fake news für eine ausgebildete Mehrheit und eine teure, informative und kritische Nischenpresse für eine kaufkräftige und gebildete Minderheit.