Der Staatsrat kritisiert den Vorschlag der CSV für eine Transsexuellen-Regelung als zu vage. Die Autorinnen muss das nicht stören: Ihr Hauptziel haben sie bereits erreicht

Junckers Erbinnen

d'Lëtzebuerger Land du 21.04.2017

„Wir wissen, dass unser Vorschlag nicht perfekt ist. Jetzt können wir in der Fraktion darauf zurückkommen“, sagt Françoise Hetto-Gaasch (CSV) selbstbewusst, ihre Parteikollegin Sylvie Andrich-Duval nickt zustimmend. Ende März hatte der Staatsrat sein Gutachten zu dem Gesetzesvorschlag veröffentlicht, den die beiden Abgeordneten mit dem Segen ihrer Fraktion im Februar 2016 dem Parlament vorgelegt hatten und der das Verfahren für die Änderung des Geschlechtseintrags von Menschen regeln soll, die sich im falschen Körper geboren fühlen.

Das Gremium droht formalen Einspruch an, weil in seinen Augen der Vorschlag große Rechtsunsicherheiten birgt. Es geht um die Frage, wie der Nachweis für die Transsexualität künftig erbracht wird. Die CSV-Politikerinnen hatten sich dafür ausgesprochen, dass ein Mediziner diese nach einer umfassenden Beratung schriftlich bestätigt. Das ärztliche Attest diente dann als Beleg, um per Gericht die Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister anzuordnen, ohne dass aber künftig eine operative Geschlechtsumwandlung quasi als Nachweis für die „Irreversibi-lität“ der Entscheidung erfolgen muss.

Der Staatsrat bemängelt, dass klare Kriterien für die Feststellung von Transsexualität im CSV-Vorschlag fehlten und weist – zu Recht – darauf hin, dass der Vorschlag dem formulierten Anliegen widerspricht, Transsexuelle nicht länger als Kranke zu stigmatisieren. Dazu brauche es kein ärztliches Gutachten, erst recht nicht, wenn die betroffene Person sich keiner Geschlechtsumwandlung unterziehen will (Transgender-Personen statt Transsexuelle), weil sie zum Beispiel die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken nicht eingehen will. Bisher ist es so, dass Luxemburger Richter dann eine Änderung im Personenstandsregister anordnen, wenn die Transsexualität als irreversibel betrachtet wird, das ist meistens mit der Einleitung der Geschlechtsumwandlung der Fall. Ein regelrechtes Transsexuellen-Gesetz gibt es hierzulande nicht. Eben das wollen Hetto-Gaasch und Andrich-Duval mit ihrem Vorstoß ändern.

Keine Störung, keine Zwangs-OP

Transsexuellen-Selbsthilfegruppen, wie der Verein Intersex und Transgender Luxemburg Asbl, setzen sich seit Jahren dafür ein, diesen Zwang zur Operation sowie die damit verbundene medizinisch-defizitäre Betrachtungsweise zu beenden. Dänemark hat Transsexualität zum 1. Januar 2017 von der Liste psychischer Leiden gestrichen. In den meisten Ländern jedoch gelten Menschen, die mit dem falschen Geschlecht geboren wurden, als psychisch krank. Auch im Diagnose-Katalog der Weltgesundheitsorganisation wird Transsexualismus als Störung der Geschlechtsidentität eingestuft. Für die Betroffenen heißt das, dass sie, bevor sie sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen können, sich langen, oft zermürbenden psychologischen Untersuchungen unterziehen müssen. Gleichzeitig galt die operative Geschlechtsumwandlung in der Vergangenheit als Bedingung, um das im Personalausweis und in anderen Dokumenten eingetragene Geschlecht dem empfundenen Geschlecht angleichen zu können.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hat aber Anfang April entschieden, dass Transsexuelle nicht dazu gezwungen werden dürfen, sich in einer geschlechtsanpassenden Operation fortpflanzungsunfähig zu machen, weil dies gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Achtung des Privat- und Familienlebens) verstoße. Anlass für das richtungweisende Urteil, das mit nur einer Gegenstimme aus Liechtenstein fiel, waren die Klagen von drei Mann-zu-Frau-Transsexuellen aus Frankreich, die auf ihren Geburtsurkunden das Geschlecht und den Vornamen ändern wollten, die aber von französischen Gerichten abgewiesen wurden.

Der defizitäre Blick der Mehrheitsgesellschaft auf Transsexuelle – geradeso wie auf Intersexuelle, also Menschen, die mit uneindeutigen Geschlechtsorganen oder uneindeutigem Hormonhaushalt auf die Welt kommen – ändert sich erst allmählich, nicht zuletzt durch die Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit der Betroffenen selbst. Auch in Luxemburg ist es dem Engagement des Vereins Intersex und Transgender (www.itgl.lu) zu verdanken, sowie professionellen Menschenrechtsgruppen wie dem Centre pour l’égalité de traitement (CET), das das Thema mehrfach in Gutachten und mit Veranstaltungen aufgriffen hat und sich im Rahmen seiner Antidiskriminierungsbestrebungen für eine vereinfachte Personenstandsänderung einsetzt. Europas Dachverband der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen, Ilga, bemängelt, dass in vielen EU-Ländern Gerichte entscheiden und ein Antrag der Betroffenen nicht ausreicht.

CSV unterstützt Transgender

Bemerkenswerterweise fanden viele der Sensibilisierungsaktionen und Diskussionsanstöße insbesondere in den Reihen christlich-sozialer Abgeordneter aktive Unterstützer. Es war der 2012 verstorbene Abgeordnete Mil Majerus, der sich seinerzeit dafür einsetzte, dass Betroffene das erste Mal in der zuständigen parlamentarischen Familienkommission angehört wurden und von ihrer Odyssee vor Gerichten und Behörden berichten konnten. 2013 nahm sich eine Plattform aus Professionellen aus dem Bereich der Kinderrechte dem Thema im Rahmen des Monitoring-Verfahrens der Luxemburger Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention an. Es ist der Beharrlichkeit und fachlichen Versiertheit der (ehrenamtlichen) Transgender-Leute zu verdanken, die Teil der Plattform waren, dass dem Kinderrechtsbericht ein zweiter Bericht über die Lage und Rechte von trans- und intersexuellen Kindern (und ihren Eltern) beigefügt wurde. Dieser fand in Luxemburg und am UN-Sitz in Genf zunächst kein großes Echo; das sollte sich aber bald ändern.

Während Transsexualität in Luxemburg lange ignoriert wurde, setzten sich einige CSV-Abgeordnete und -Parteimitglieder für die Minorität ein. Es soll nicht zuletzt dem damaligen Premier Jean-Claude Juncker zu verdanken gewesen sein, der im Nationalrat eine Lanze für Trans- und Intersexuelle brach und insistierte, man müsse ihre rechtliche Situation regeln. Das fand in einem Passus im CSV-Wahlprogramm von 2013 Niederschlag, das in diesem Punkt dem der Grünen, die sich gerne als Modernisiererpartei verstehen, in nichts nachstand. Juncker war in der CSV Garant für fortschrittliche gesellschaftliche Positionen gewesen, siehe Homoehe und Adoption, Trennung von Kirche und Staat, sehr zum Leidwesen des konservativ-katholischen Parteiflügels.

Dieses Erbe verteidigen heute die gelernte Psychologin Sylvie Andrich-Duval und die Ex-Radio-Moderatorin und Erzieherin Françoise Hetto-Gaasch, die sich gut kennen und „wegen ähnlicher Interessen“ einen guten Draht zueinander haben. „Ich habe mich in meiner Zeit als Gleichstellungsministerin mit Transgender getroffen“, erinnert sich Hetto-Gaasch. Was die unklare rechtliche Situation für die Betroffenen bedeutet, sei ihr zudem in ihrer Funktion als Luxemburgs Vertreterin in der parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg bewusst geworden. „Da wurde mir klar, dass in Luxemburg Transsexuelle im Prinzip gezwungen sind, sich operieren zu lassen, wenn sie den Personenstand ändern wollen. Das hat mich geschockt“, erklärt Hetto-Gaasch. Die parlamentarische Versammlung stimmte vor fast genau einem Jahr eine Resolution, in der die Abgeordneten fordern, das Selbstbestimmungsrecht und den Schutz von Transsexuellen zu stärken. Luxemburg wurde als Land kritisiert, in der Zwangssterilisation vorgegeben ist – obwohl es eigentlich gar keine Gesetzgebung für Transsexuelle gibt.

Als Rechtsgrundlage für die Änderung von Namen und Geschlecht aufgrund von Transsexualität gilt ein Urteil des Bezirksgerichts Luxemburg vom Dezember 2014. Laut Nathalie Morgenthaler, Direktorin des CET, ist die Intervention der Richter dabei nicht unbedingt zwingend, denn der Antrag auf geänderten Geschlechtseintrag und neuen Namen werde ans Justizministerium geschickt, das ihn an die Gerichte weiterleitet. Das führt zum Teil zu absurden Prozeduren, beschreibt Nathalie Morgenthaler. Wenn Transsexuelle beispielsweise in Schule, Uni oder auf der Arbeit im empfundenen Geschlecht auftreten, weil aber keine offiziellen Papiere ihr Geschlecht bestätigen, es plötzlich zu Verwirrungen über Namen und Geschlechtszugehörigkeit kommt. Was eigentlich nur ein Verwaltungsakt ist, hat für die Betroffenen schwere Folgen: Rechtsunsicherheit, neue Verunsicherung, im schlimmsten Fall Zwangs-Outing und Diskriminierungen durch Kollegen, Schulkameraden, Arbeitgeber.

In Luxemburg geht die Ächtung von Transsexuellen nicht so weit wie etwa in der Türkei, wo sie um ihr Leben fürchten. Wie tief Vorurteile gegenüber Menschen sitzen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zugehörig sind, zeigte sich aber an Reaktionen bei einer Debatte des CSV-Vorschlags im Juni 2016 in der Abtei Neumünster, wo Zuhörer warnten, Transsexuelle könnten vereinfachte Prozeduren ausnutzen, um hin- und herzuswitchen, so als sei es ein Vergnügen, aus der gesellschaftlichen Norm zu fallen, und falle eine Geschlechtsänderung leicht. Sie ist mit juristischen und administrativen Folgen verbunden, die tief in das Leben der Betroffenen eingreifen. Etwa wenn, wie das in der Vergangenheit in Deutschland der Fall war, Ehepartnern, von dem einer im Laufe des Lebens entdeckte, im falschen Körper geboren zu sein, von Gerichts wegen erklärt wird, sie müssten sich scheiden lassen, weil sie sonst in einer Homoehe lebten, die in Deutschland nicht erlaubt ist. Das Bundesverfassungsgericht erklärte den Scheidungszwang 2008 als nicht mit den Grundrechten vereinbar.

Für Hetto-Gaasch und Andrich-Duval ist das skeptische Gutachten des Staatsrats kein Rückschlag, sondern, im Gegenteil, Ermunterung, weiterzumachen. Tatsächlich könnte es ihnen helfen: Denn in der CSV-Fraktion wurde die Rolle des Mediziners kontrovers diskutiert. Andrich und Hetto, um eine Entpathologisierung bemüht, sprachen sich für ein psychologisches Gutachten aus, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. „Nun können wir auf den Staatsrat verweisen“, sagt Hetto-Gaasch. Den Vorsprung, als wertkonservative Partei sich eines tabuisierten Minoritätenthemas angenommen zu haben, kann ihr niemand nehmen: Justizminister Félix Braz (Déi Gréng) hatte zwar angekündigt, einen umfassenden Gesetzentwurf zu Trans- und Intersexualität im Dezember 2016 vorzulegen, aber davon ist nichts zu sehen. Inzwischen sind selbst die Koalitionspartner nervös, denn jeder Tag, an dem Braz nicht liefert, bleibt Luxemburg auf der Liste der diesbezüglich rückständigen EU-Länder, und das Versprechen, die Amtsperiode für den gesellschaftlichen Aufbruch zu nutzen, leeres Gerede.

Ines Kurschat
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