Neulich entdeckte Premier Luc Frieden die Kinderarmut. „D’Kanneraarmut existéiert zu Lëtzebuerg an ass eppes wat mech immens touchéiert.“ Ließ er einfühlsam über Instagram verbreiten (17.05.24).
Einst warf das Luxemburger Wort ihm „[e]in kaltes Herz“ vor (26.11.99). Deshalb beteuert er: „Et läit mir um Häerz do Léisungen ze fannen, sou dass jiddereen an eisem Land eng gesond a flott Kandheet kann hunn.“ Oder für McKinsey und Baker McKenzie arbeiten kann. Wie seine eigenen Kinder.
Einfühlsam begleiten CSV und DP die Bereicherung von Unternehmen und Besserverdienenden. Im gleichen Atemzug versprechen sie soziale Maßnahmen. Zur Legitimation der Bereicherung. Sie wollen die Lage der „Kanner verbesseren, déi am Aarmutsrisiko liewen. [...] Kanner déi deels net gesond iessen oder hire Gebuertsdag feiere kënnen“ (Lag vun der Natioun 2024).
Die Kammerwahlen ließen Luc Frieden als Kandidaten der Besserverdienenden erscheinen. Eine Volkspartei braucht auch Wählerstimmen der schlechter Verdienenden. Deshalb übt er sich nun in Herzenswärme.
Im Mai nahm er am Armutsforum der Caritas teil. Er gab sich bescheiden: „Bei der Kanneraarmut muss ech nach vill léieren.“ 2019 wurde er Präsident der Handelskammer. Diese veröffentlichte wenig später eine 188 Seiten lange Schrift Pauvreté: de la juste mesure aux mesures appropriées. Sie beschrieb „le grand objectif de la fin de la pauvreté des enfants“ bis 2030 (S. 17). Er scheint sie nicht gelesen zu haben.
Die Handelskammer mäkelte an den Statistiken herum: Armut dürfe nicht länger am Medianeinkommen gemessen werden. Sonst komme noch jemand und verlange eine „hausse généralisée des bas salaires“ (S. 173).
1986 entdeckten CSV und LSAP die Armut. Sie stellten sie umgehend als soziales Problem dar. Nicht als ökonomisches. Seither nennen die Regierungen Arme „Armutsgefährdete“. Und pflücken sich politisch nützliche Arme aus den Statistiken: Unter der DP/LSAP/Grünen-Regierung waren es Alleinerziehende. Ihre Armut wird mit dem Familienstand erklärt. Mit der Steuerklasse, nicht der gesellschaftlichen Klasse. Für die CSV/DP-Regierung sind es Kinder. Sie sind die guten, unschuldigen Armen. Nicht die schlechten, schuldigen Armen: Bettler, Obdachlose, Dauerarbeitslose, Eltern.
Regierung und Handelskammer mögen arme Kinder. Die arbeiten noch nicht. Deshalb verlangen sie keine „hausse généralisée des bas salaires“. Dass sie per procura arm sind, ist kein Thema: Dass sie Kinder unterbezahlter Putzfrauen, Lagerarbeiter, Pizzaboten sind.
Im Mai war Christoph Butterwegge Hauptredner des Caritas-Forums. Der Wissenschaftler wandelt Max Horkheimer ab: „Wer über den Reichtum nicht reden will, sollte auch von der (Kinder-)Armut schweigen“ (WSI-Mitteilungen, 5/2005).
Die Regierung hält es lieber mit der Handelskammer: Konkurrenz, Nischenpolitik, „attirer les capitaux et les talents, [...] pourraient mener à une nouvelle hausse des inégalités dans le pays“ (S. 9). Mehr Reiche brauchen mehr Arme. Die Armen müssen der Kapitalakkumulation Opfer bringen. Von Kindesbeinen an.
Luc Frieden hat ein kostengünstiges Mittel gegen Kinderarmut. Er kündigte an, dass „déi administrativ Vereinfachung och bei der Aarmutsbekämpfung e Kärstéck vun der Léisung muss sinn. Et geet dofir net ëm méi Hëllefen, mee ëm besser Hëllefen“ (Lag vun der Natioun 2024).
Bürokratieabbau ist das liberale Allheilmittel gegen Wohnungsnot, Klimaveränderung, Bauernsterben. Weshalb nicht gegen Armut? Armut soll nicht beseitigt werden. Sie soll effizienter verwaltet werden. Menschen mit wenig Geld sollen weiter gedemütigt und diszipliniert werden. Aber es soll schneller, unkomplizierter gehen. Dafür dürfen sie dann dankbar sein.