In Zürich vermitteln die Nachfahren von „El Dorado“, wie sie die Welt sehen. Und wie man richtig mit Kokain umgeht

Gold ist nicht so wichtig

d'Lëtzebuerger Land du 05.07.2024

Die Museen für außereuropäische Kulturen stecken in der Krise. Immer mehr Völker wollen die Antiquitäten zurück, die ihren Vorfahren geraubt wurden. Dazu hagelt es Vorwürfe: Rassismus, Kolonialismus, Eurozentrismus und andere hässliche Ismen mehr. In der Internationalen Vereinigung der ethnographischen Museen (ICME) gibt es gar schon Überlegungen, ob man sich selbst abschaffen muss. Zumindest muss statt Völkerkunde ein neuer Name her, etwa Museum Fünf Kontinente in München, Weltkulturen Museum in Frankfurt oder Weltmuseum in Wien. Auf jeden Fall sind neue Wege gefragt.

Das Museum Rietberg in Zürich und drei große amerikanische Museen haben nun erstmals gemeinsam mit einer indigenen Gemeinschaft eine ganze Ausstellung gestaltet: mit Vertretern der Arhuaco eine Schau zum vorspanischen Kolumbien. Der Nordwesten Südamerikas ist vor allem für Goldkunst berühmt. Legenden vom Goldmann „El Dorado“ locken seit 500 Jahren Eroberer und Schatzsucher dorthin, wo einst ein mit Goldstaub bedeckter Herrscher goldene Opfergaben in einem See versenkt haben soll.

Die Arhuaco bewohnen schwer zugängliche Hänge des Küstengebirges. Bis vor kurzem bekämpften sich dort Regierungstruppen und Rebellen, Drogenhändler und andere Verbrecher. In den Urwald zu gelangen, ist selbst heute nicht einfach. An der Ausstellung, die wohl zu einem Modell für die künftige Museumsarbeit werden soll, wurde mehr als sechs Jahre lang gearbeitet.

Im Museum Rietberg sind jetzt rund 400 archäologische Funde, Kunstwerke und Alltagsobjekte zu besichtigen, die Hälfte davon aus dem Goldmuseum in Bogotá. Die Exponate stammen meist aus dem Zeitraum 600 bis 1600 n. Chr. Anders als bisher in Museen üblich, sind bei den Objekten keine Altersangaben zu lesen. Die Arhuaco finden, dass heilige Gegenstände keine brauchen. Jahreszahlen würden sie an Verfallsdaten erinnern und außerdem suggerieren, dass es Unterschiede gäbe zwischen ihnen und den Menschen vor ihnen.

Wie die heutigen Arhuaco legten auch ihre Ahnen bei Gold und Edelsteinen keinen Wert auf Reinheit. Smaragde wurden nicht poliert. Funkelnde Totenmasken, Brustpanzer, Nasenringe und Votivfiguren sind mit voller Absicht aus einer Tumbago-Legierung gefertigt: Das ewig unveränderliche Gold, das für die Sonne und Männlichkeit steht, wurde vereint mit korrodierbarem Kupfer, das den Mond und Weiblichkeit repräsentiert. Den Indigenen kommt es mehr auf den symbolischen Wert an: Schöne Vogelfedern und Käferschalen sind auch kostbar.

Weil alle Dinge beseelt seien, sehen die Arhuaco in den Exponaten „verschleppte Familienmitglieder“. Zur Überraschung der Museumsleute verlangen sie keine Rückgabe. Vielmehr sorgen sie sich, ob die Ausstellungsstücke in der Fremde „richtig ernährt“ werden. Goldschmuck zum Beispiel müsse man immer wieder in die Sonne legen, quasi zum Auftanken. In Zürich werden die Exponate nun mit Landschaftsfotos und Okarina-Musik bei Laune gehalten. Zwischenrein soll auch eine Arhuaco-Delegation vorbeikommen, um im Rieter-Park mit Opfergaben „das Gleichgewicht mit der Natur und den Wesen der Welt zu halten“ und zu meditieren. Versprochen wird „tiefes Reflektieren“.

Koka ist den Arhuaco wichtiger als Gold: Statt Händeschütteln tauschen die Männer zur Begrüßung ein paar Blätter aus. Immer haben sie einen Behälter mit Pulver aus gebrannten Muschelschalen und als Löffel einen Holzstab zum Ablecken dabei: Kokablätter müssen zusammen mit Kalkmehl zerkaut werden, dann wirken sie leicht stimulierend, fördern Konzentration und Nachdenken. Chemisch verändertes Kokain ist dagegen stark berauschend und pustet das Hirn weg.

Dass im Museum nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Indigene zu Wort kommen, ist sicherlich politisch korrekt und informativ. Die Arhuaco, ein Stamm unter vielen, zur Autorität für das ganze vorspanische Kolumbien zu machen, ist allerdings etwas fragwürdig. Die heute bekanntesten Gold- und Platin-Schmiede waren in anderen Regionen zu Hause.

Die befragten Arhuaca erläutern nicht die Exponate genauer, sondern lieber ihre Sicht des Universums, etwa dass man „negative Energien entfernen muss, damit die Sonne im Gleichgewicht bleibt“. Vielleicht wissen sie schlicht nicht, was in dem riesigen Gebiet in den letzten Jahrtausenden alles passiert ist? Vielleicht erzählen sie zivilisationsmüden Besuchern einfach das, was die hören wollen? Interessant wäre auch zu erfahren, wie in den Videoclips aus der Wildnis die Arhuaca es schaffen, ihre Gewänder und Hüte immer makellos weiß zu halten. Der Regenwald birgt noch viele Geheimnisse.

Die Wanderausstellung Mehr als Gold. Glanz und Weltbild im indigenen Kolumbien ist noch bis 21. Juli in Zürich zu sehen. Das Museum Rietberg ist die letzte Station dafür und die einzige in Europa:

Martin Ebner
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